Mantra

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Nach dem Yoga liefen sie die gleiche Runde wie tags zuvor. Diesmal passte Katsuki das Tempo seinem Mitschüler an. Als sie am Teich ankamen, hielt er an, um dem Warmduscher eine Verschnaufpause zu gönnen. Sie setzten sich wieder ins Gras. Beobachteten die Fontäne, die in der tiefstehenden Sonne wie ein verwunschener Brunnen wirkte, der ohne Unterlass flüssiges Gold spie.

„Danke übriges, dass du mir das mit dem Yoga zeigst", brummte er in den Bart und fragte sich augenblicklich, was ihn geritten hatte, sich bei der Weichflöte zu bedanken.

Shoto lächelte, gab aber keine Antwort.

Hatte der gerade wirklich gelächelt? Er musste sich getäuscht haben. „Ich hab Endeavor heute in den Nachrichten gesehen. Was für eine Oberpfeife. Das mit deinen Eltern ist echt nervig", begann Katsuki erneut. „Dein Alter ist nicht gerade ein Vorzeigevater, was? Mag sein, dass er jetzt auf dem scheiß 1. Platz der Superhelden steht. Aber als Mensch ist er eine Niete."

„Tja, der Apfel fällt wohl nicht weit vom Stamm." Shoto ließ den Kopf sinken und wandte den Blick ab.

Katsukis Gesicht verfinstert sich. Er konnte es sich nicht erklären, aber Wut flutet seinen Körper. „HABEN SIE DIR INS HIRN GESCHISSEN, DU DÄMLICHER BASTARD? Du bist überhaupt nicht wie Endeavor. Natürlich willst du vorankommen und sicher machst du auch beschissene Fehler. Aber das heißt noch lange nicht, dass du so ein arrogantes, berechnendes und verbittertes Brechmittel wie dein Alter bist."

Shoto legte die Stirn in Falten. „Ich habe versucht mich mit ihm zu versöhnen. Aber der Stachel sitzt zu tief. Ich kann ihm nicht vergeben. Nicht jetzt!"

Katsuki schwieg. Was sollte er auch darauf antworten? Gegen Todorokis Probleme sah seine Welt wie ein bekackter Kinderspielplatz aus und dennoch hasste er sein scheiß Leben und seine eigenen verfickten Unzulänglichkeiten.

Er stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. „Komm schon Icy-Hot, wir machen uns auf den Rückweg!"

Als sie in den Gemeinschaftsraum kamen, waren die meisten ihrer Mitschüler schon auf ihren Zimmern. Nur noch Fumikage, Deku, Denki und Eijiro lümmelten auf den Sofas herum.

„Hey, da seid ihr ja", begrüßte sie Izuku. „Ihr habt doch morgen auch wieder Sondertraining, Kacchan?"

„Was geht's dich an, Deku?", knurrte er. Wieso sprach ihn diese Pusteblume überhaupt schon wieder an? Konnte ihn der Scheiß-Nerd nicht einfach mal in Ruhe lassen? Dieser beschissene Nerd verstand es immer, seine Drecksfinger in seine Wunden zu legen. Da wo es besonders schmerzte. Und eigentlich war Todoroki da auch nicht viel besser.

„Stimmt es, dass ihr morgen ehemalige Helden besucht?"

Wieso musste ihn diese nervige Pappnase jetzt daran erinnern? Wollte er ihn demütigen? Und woher wusste er davon? „WILLST DU STERBEN, DEKU?"

Izuku hob beschwichtigend die Hände „N... Nein ..."

„DANN HALT DEINE SCHEISS-FRESSE!"

„Wenn Blicke töten könnten, wäre er jetzt schon tot", meinte Fumikage.

„SCHNABEL, DU SPATZENHIRN!"

„He Bakugo, ist Yoga deine neue Superkraft?"

„FRESSE, KIRISHIMA!" Er hob den Mittelfinger und ohne ein weiteres Wort verschwand er im Aufzug.

Katsuki lag auf dem Bett. Die Arme hinterm Kopf verschränkt und starrte in Gedanken versunken an die Zimmerdecke. In letzter Zeit war so viel passiert, dass es ihm immer schwerer gefallen war nicht den Halt zu verlieren und einfach durchzudrehen. Der Überfall auf die USJ und das Sommercamp. Und Icy-Hot, mit dem er mehr gemeinsam hatte, als er dachte. Seine Entführung von der Schurkenliga. Den Halb-Halb-Bastard. Seine Freunde, die ihn gerettet hatten. Auch Todoroki. Der Kampf von All Might, seinem Idol, gegen den Anführer der Schurken, der ihn seine Kräfte gekostet hatte. Icy-Hot. Die vorläufige Heldenlizenzprüfung, durch die er gerasselt war. Zusammen mit Todoroki. Der Kampf gegen Deku und All Mights Geständnis über seine Kraft - One for All. Und Icy-Hot. Seine Gedanken drehten sich im Kreis und er fand keine Ruhe. Wieso dachte er ständig an Todoroki. Was war an diesem Halb-Emotionslos-Halb-Weichei-Bastard nur so anders? Wie schaffte er es immer in sein sich drehendes Gedankenkarussell einzusteigen? Auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, allein dass er da war, schien ihm etwas Halt zu geben, den er gerade dingend brauchte.

„So ein Mist!" Er warf einen Blick auf den Wecker. Es war fast ein Uhr. Genervt stand er auf und machte sich auf den Weg zur Küche. Vielleicht war noch etwas von Satos Kuchen übrig. Als er in den Gemeinschaftsraum trat, saß Shoto ganz alleine auf einem der Sofas. Für einen Moment blieb er an seinen faszinierenden Augen Hängen, die offensichtlich ins Leere starrten. Und auf einmal konnte er in ihnen etwas erkennen. Eine Sanftheit die seine Seele spiegelte.

„Todoroki, was zum Henker treibst du hier?"

„Habe ich dich geweckt?", fragte Shoto.

„Nee, kann nicht schlafen." Geweckt hatte er ihn nicht, aber wachgehalten.

„Ich auch nicht."

Katsuki ging in die Küche, nahm die Milch aus dem Kühlschrank und goss sie in zwei Tassen. Dann stellte er sie in die Mikrowelle und machte sich auf die Suche nach Honig. Kurze Zeit später kam er mit zwei dampfenden Tassen zurück in den Gemeinschaftsraum und hielt Shoto einen der Becher hin.

„Trink das! Heiße Milch mit Honig. Hat mir meine Mutter immer gemacht, wenn ich nicht schlafen konnte. - Bilde dir bloß nichts drauf ein, Icy-Hot!" Aber wahrscheinlich konnte er sich etwas darauf einbilden, denn für niemanden hatte er je so etwas gemacht.

Shoto seufzte ergeben und griff danach. „Danke. - Mhh, das ist echt gut und so schön warm." Er leckte sich über die Lippen und lächelte.

Da war es schon wieder. Dieses unschuldige Engelslächeln. Fast unheimlich. Taute das Gefrierfach an Emotionsreichtum tatsächlich auf? Katsuki setzte sich neben ihn und nahm ebenfalls einen Schluck. „Habe ich mich schon bei dir für meine Rettung vor der Schurkenliga bedankt?"

„Lass stecken."

„Was? Jetzt nimm gefälligst meinen Dank an, du Idiot!"

„Du hättest das Gleiche für mich getan und für jeden anderen."

„Nicht für Deku."

„Insbesondere für Deku."

„Wie auch immer. – Danke." Wieso klopfte sein Herz so nervös?

„Das morgen wird bestimmt interessant, denkst du nicht?"

„Willst du mich auf den Arm nehmen, Icy-Hot? Wir sollten an unseren Spezialitäten arbeiten und nicht alte Säcke besuchen."

„Ich glaube nicht, dass unsere Quirks der Grund waren, warum wir durch die Prüfung gerasselt sind. Zumindest nicht bei dir. Du weißt, dass sie dich da hinschicken, um an deinem Sozialverhalten zu arbeiten. Und diese ehemaligen Helden haben all unseren Respekt verdient. Also reiß dich zusammen, Bakugo!"

„Tss, wer bist du? Meine Mutter?"

„Nein, ein Freund der will, dass du nicht nochmal durch die Prüfung rasselst."

Katsuki starrte zähneknirschend in seine Tasse und gab keine Antwort. Am liebsten hätte er ihn angebrüllt, dass sie überhaupt keine scheiß Freunde waren und dass er sich ins Knie ficken könne. Denn schließlich bräuchte er niemanden. Aber tief im Innern wusste er, dass es nicht stimmte und er schluckte den Ärger runter.

„Wenn ich dir einen Rat geben darf, als Freund ..."

Katsuki schnaubte hörbar. Klugscheißer-Ratschläge waren genau das, was er nicht brauchte. Zumindest wollte er sie nicht.

„Wenn du spürst, dass dir deine Wut die Kontrolle entreißt, versuch es mit einem Mantra. So etwas wie: Das Leben ist so, wie man es sieht."

Katsukis Augenbrauen wanderten nach oben. War das sein fucking Ernst? „So, ein Mantra also? Und was ist dein scheiß Mantra?"

„Ich versuch's mit: Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter."

Katsuki verstand auf einmal. Todoroki wollte leben und aus seinem selbstgeschaffenen dunklen Eisgefängnis ausbrechen. Die Fesseln ablegen, die ihn an seinen Drecks-Vater banden. Er wollte etwas ändern und Katsuki war sich sicher, er würde es schaffen. Und ohne Zweifel wollte Shoto das auch für ihn. Er wollte, dass er sich auch auf den Weg machte etwas zu verändern.

„Wie wäre es mit: Die Erwartungen anderer sind die Erwartungen anderer."

Jetzt wurden Shotos Augen groß. So viel Tiefsinnigkeit hatte er wohl nicht erwartet.

„Wieso hast du dich wieder mit Midoriya angelegt?", fragte Shoto auf einmal.

„Der Pisser geht mir auf den Sack." Wieso fing er jetzt wieder mit dem Nerd an. Wollte er ihm unter die Nase reiben, dass er keine Selbstkontrolle hat. Oder war es was anderes?

„Er ist besorgt um dich und hat mich gestern gebeten, auf dich aufzupassen. Der Kleine denkt immer zuerst an andere."

„Na warum heiratet ihr zwei dann nicht? Ihr passt sicher gut zusammen."

„Bakugo, du bist echt anstrengend."

„Ach, halt die Fresse!"

MY HERO I.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt