Nicht zu retten

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Auch der nächste Tag in der Grundschule lief besser als gedacht und endete mit Yoga und einer Runde Joggen. Wie gewohnt hielten sie am Teich an und setzten sich davor.

Katsuki verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, ließ sich zurück ins Gras sinken und betrachtete die Sterne, die jetzt am dunkler werdenden Himmel nacheinander aufleuchteten. Eine fahle Mondsichel erhob sich ganz allmählich über den Horizont. Er genoss diese Zeit von Tag zu Tag mehr.

„Die Kinder waren nur halb so nervig, als ich erwartet hatte. Es hat ein bisschen gedauert, aber dann hatten wir sie gut im Griff", sagte er auf einmal grinsend.

„Ja, die waren echt nett. Die meisten zumindest. Unsere kleinsten Fans." Shoto lächelte.

„Du hast das echt gut gemacht. Die Knirpse haben dich geliebt. Besonders deine Eisrutschen und die Schlitterbahn kamen gut an. Ich hab dich noch nie so viel lächeln sehen. Steht dir, solltest du öfter tun. Du wirst bestimmt einmal ein guter Vater. Da bin ich mir sicher."

Shoto sah ihn mit offenem Mund an. „Was...?"

„Ja, aber ich war auch ganz gut, findest du nicht? Ich hab meine scheiß Dämonen ziemlich gut im Griff, oder nicht?"

„Das bezweifle ich." Shotos Stimme klang seltsam tonlos, fast etwas abwesend.

„Klappe Icy-Hot, ich bin doch auch mit diesen Hosenscheißern zurechtgekommen. Und manche waren echt anstrengend."

Shoto lehnte sich über ihn. In seinen Augen lag etwas, das Katsuki bisher darin noch nicht gesehen hatte. Eine seltsame Intensität, die ein eigenartiges Kribbeln in seinem Magen auslöste.

„Kommst du dann auch damit klar?"

Bevor Katsuki begriff, was er vorhatte, lagen Shotos Lippen auf seinen. Für einen Moment war er paralysiert. Durch seinen Körper schossen Funken mit der Intensität elektrischer Entladungen. Er riss die Arme unter seinem Kopf hervor und stieß ihn von sich. Explosionen, die sich in seinen Händen entzündeten, ließen Shoto gute fünf Meter durch die Luft segeln.

„Du Bastard, was sollte das denn?"

Shoto lachte schmerzverzerrt. „Autsch, das hat wehgetan. So viel zur Selbstbeherrschung."

Katsuki stand auf. Fuck! Wieso schlug sein Herz so schnell. „W... Was erwartest du, du Spinner? D... Du kannst mich doch nicht einfach küssen! D... Du bist doch völlig irre! Geschieht dir ganz Recht, du scheiß Vollpfosten!"

„Ja, das war gemein", gab er zu. „Aber du hättest mir beinahe beide Schultergelenke ausgekugelt."

„Tss, solche Scherze sind nicht lustig", keifte er und stampfte in die Nacht davon.

Völlig durcheinander rannte er los. Ignorierte das Herzstechen in seiner Brust. Wie gehetzt lief er weiter. Wollte nur noch ganz weit weg von hier. Er riss die Tür zum Wohnheim auf. Nahm die Treppe, da er nicht auf den Aufzug warten wollte. Er schloss die Zimmertür und lehnte sich dagegen. Was zur Hölle sollte das? War dieser Halb-Halb-Bastard jetzt völlig durchgedreht, oder hatte er ihn nur provozieren wollen? Aber auf diese Art? Wohl kaum. Nur darüber nachzudenken sorgte dafür, dass sich eine Gänsehaut auf seinem Körper ausbreitete. Er legte die Hand auf die Augen und atmete zittrig durch. Dennoch wollte sich sein pochendes Herz einfach nicht beruhigen. Was war nur mit ihm los? Er schwankte regelrecht zum Bett. Wieso irritierte der Typ ihn so. Aufgewühlt zog er die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Er wusste nicht warum, aber Tränen stiegen ihm in die Augen. Er versuchte, die verwirrenden Scheiß-Gefühle nicht weiter in sein Herz eindringen zu lassen. Verdammt, warum hat der Kuss ihn so angemacht? Ihn quasi überwältigt? Diese zarten Lippen auf seinen.

Das war so falsch. Das war alles so verdammt falsch. Und zu allem Elend tat es ihm noch leid, dass er Todoroki verletzt hatte. Er starrte seine Hände an. Was sollte er jetzt nur machen? Es übergehen, als ob nichts gewesen wäre? Sich von ihm fernhalten? Aber wollte er das? Irgendwie hatte er sich so schnell daran gewöhnt, den Bastard in seiner Nähe zu haben. Er konnte Shoto aus dem Weg gehen, aber nicht den verfickten Gefühlen, die er deutlicher denn je spürte. Das war es, was dieser Idiot gemeint hatte. Man kann nicht vor seinen Gefühlen weglaufen. Aber er war weggelaufen. Weggelaufen wie ein Feigling. Und dennoch vergeblich. Aber was war das für überwältigendes scheiß Gefühl, das ihm geradezu den Boden unter den Füßen wegzog? Er traute sich nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Es klopfte sachte an der Tür. Langsam öffnete sie sich.

„Darf ich hereinkommen?" Ohne eine Antwort abzuwarten, trat Shoto ein.

Was machst du hier, Todoroki?", fragte er bärbeißig. Man hörte deutlich die Frustration aus der Stimme heraus. „Willst du sterben?"

„Nach dir sehen", murmelte Shoto.

„Tss! Das hast du ja jetzt", knurrte er gereizt.

„Ist alles in Ordnung?" Ein schmerzhaftes Lächeln zeichnete sich auf Shotos Gesicht ab.

„Du fragst mich, ob alles in Ordnung ist? Du drängst dich in mein Leben, stellst alles auf den Kopf, so dass ich nicht mehr weiß, was oben und unten ist. Was richtig und was falsch. Und dann hast du die verfickten Nerven mich zu fragen, ob alles in Ordnung ist? EIN SCHEISS...!"

Shoto setzt sich neben ihn aufs Bett. Sagte aber kein Wort.

„Denk bloß nicht, das hätte mir gefallen", brach Katsuki das Schweigen.

Shoto lächelte. „Na dann muss ich es beim nächsten Mal besser machen."

Katsuki klappte der Mund auf und eine pochende Hitze stieg in seine Wangen. Beim nächsten Mal? Der Typ war echt schmerzfrei. Hatte dieser Idiot, vor ihn noch mal zu küssen? Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab. Er fragte sich doch tatsächlich, wie ein echter Kuss von ihm schmecken würde. Wie Todoroki schmecken würde. Hatte er jetzt den Verstand verloren?

„Aber natürlich nicht mehr, ohne dich vorher zu fragen. Vielleicht komme ich dann ohne blaue Flecken davon."

„Wenn die Hölle zufriert, du Spinner." Herz und Verstand sprachen eine unterschiedliche Sprache. Fochten mit ungleichen Waffen. Für gewöhnlich siegte sein blitzscharfer Versand gegen sein vernachlässigtes Herz. Aber was ging gerade in ihm vor? Sein Geist war auf einmal wie benebelt. Was sollte er jetzt machen? Er sollte ihn auf der Stelle töten. Oder ihn wenigsten verprügeln. Oder ihn packen und durchschütteln. Oder sollte er ihn wegschicken? Oder besser nochmal kü... „Fuck!"

„Verstehe. Du willst das also nie wieder spüren? Dann sollte ich wohl gehen. Vergiss es einfach." Schwermut lag in Shotos Stimme. Er wollte aufstehen.

Was hatte er da gesagt? - Nie wieder spüren? Sein Herz stolperte. Brannte in seiner Brust. Nie wieder, aber...? – Nein! Katsuki griff nach seinem Handgelenk und hielt ihn an Ort und Stelle. „Warte! Wie wäre es mit jetzt?", fragte er fast tonlos ohne ihn anzusehen und mit geröteten Wangen. Sein Verstand hatte kapituliert. Die weiße Flagge gehisst. Sich dem Inferno in seinem Herzen unterworfen. „Nur um sicher zu gehen, dass das total krank und falsch ist."

Sein Freund grinste schief. „Ich wusste, ich hätte nicht kommen sollen." Er beugte sich ganz langsam zu ihm. Hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Nicht mehr als eine flüchtige Berührung.

Für einen Augenblick vergaß Katsuki alles, selbst das Atmen. Ihm lief eine Gänsehaut über den Rücken und schüchtern erwiderte er den Kuss. Er spürte, wie Shotos perfekte Lippen ihm sanft seine öffneten. Die fremde Zunge drang ein und kosend berührte sie seine. Berauscht von Shotos Geschmack wollte er mehr. Er schloss die Lieder und ließ sich in den Kuss versinken. Es fühlte sich nicht falsch an. Viel besser, als er es sich vorgestellt hatte. Moment mal, hatte er sich das überhaupt vorgestellt? Sicher nicht, oder? - So verflucht gut! Scheiße, wie war das denn eigentlich möglich?

Nach einer Weile lösten sie sich voneinander.

„Oh, Fuck! – Wo hast du so küssen gelernt?" Er vergrub das Gesicht in den Händen. Verbarg die Hitze, die aus dem Herzen direkt auf seine Wangen stieg. Das hier war doch nicht wirklich passiert. „Verrate mir eins! Was willst du von mir? Ich bin ein Arsch und es gibt tausende, die besser sind als ich."

Shoto lächelte entwaffnend. „Und trotzdem will ich nur dich."

„Ich hasse dich, Icy-Hot!"

„Tust du nicht."

„Scheiß, nein."

Shoto stand auf. „Ich denke, wir sollten das erst mal für uns behalten. Bevor wir selbst nicht wissen, was das hier ist. Vor allem wegen meinem Vater. Naja, du kennst ihn. Ich gehe jetzt. Morgen wird ein langer Tag. Wir haben nach dem Unterricht unsere erste richtige Rettungsübung bei Nr. 13."

Katsuki schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich befürchte nur, wir zwei sind nicht mehr zu retten."

MY HERO I.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt