SIEBEN

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Unsere Routine war offiziell nicht mehr beständig. Morgens sah ich ihn nicht mehr. Abends kam er nicht mehr zum Essen nach Hause. Wenn ich die Tür ins Schloss fallen hörte, blieb ich im Bett.

Es vergingen Tage. Mehr als ein Nicken im Flur warfen wir uns nicht zu.

Ich besuchte meinen Vater, er genau so. Doch wir taten es getrennt. Mein Vater fragte, weshalb und ich antwortete ihm, dass es an seiner Arbeit lag. Ich mochte seinen Blick nicht.

Im Atelier zeichnete ich gegen Abend für eine neue Ausstellung der nächsten Woche. Und nach den vergangenen Tagen hätte ich nicht damit gerechnet ihn im Türrahmen stehen zu sehen.

Das hatte er noch nie getan. Dieses Atelier hatte er noch nie betreten. Ich lächelte.

"Gefällt es dir?" 

Ich war so blind. Vor Freude.

Er nickte, näherte sich der Staffelei auf der ich arbeitete.

"Es gefällt mir" 

Seine Stimme hallte gegen die Glasscheiben, die das Atelier umrandeten.

Meine Hand zitterte, als ich den Pinsel in die Farbe tunkte. 

"Ich stelle es nächste Woche auf. Im Delouré. Du könntest mit. Dort sind noch einige andere meiner Gemälde" 

Er war noch nie mit gegangen, ins Delouré.

Die Augen dieses Mannes konzentrierten sich auf mich und meine Nervosität. Die Stille erdrückte den Raum grässlich.

"Ich meine, ich kann verstehen, falls nicht. Immerhin bist du kein Kunstfanatiker, was?" 

Ich setzte den Pinsel falsch an. Ich könnte laut aufschreien. Seine Präsenz verunsicherte mich.

"Ich komme vorbei" Ich sah zu ihm hin. 

"Du kommst vorbei?" Er nickte.

Meinen Kopf wand ich ab, so dass er mein ehrliches Lächeln nicht sah.

"Aber nicht lange" 

Meine Gesicht erfror. 

"Das ist nicht schlimm", entgegnete ich. 

Meine Hand bewegte sich wieder über das Gemälde. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er in meine Richtung sah. Ich wusste nicht, ob ich mir erhoffte, dass er das Gemälde oder mich ansah.

Abends saßen wir wieder gemeinsam am Esstisch. Ich sprach nicht, denn meine Frage hätte sich erneut auf seine Arbeit bezogen und so langsam verlor ich die Lust an immer ein und dem selben Thema.

"Wann hast du damit angefangen?", fragte er mich, gerade als ich aus meinem Glas trank. Fast hätte ich das Wasser wieder ausgespuckt. "Mit dem Zeichnen" 

Ich realisierte nicht, dass er mir diese Frage nach so langer Zeit stellte.

"Mit sechzehn" 

Das Alter. Es erinnerte mich an die Zeit, in der wir uns kennengelernt hatten.

Er war ein Mann, der sich kontrollieren konnte. Wenn er wollte, strahlte sein Gesicht. Wenn er nicht wollte, wirkte er verschlossen und desinteressiert. Die Mischung dieser Gemütszustände äußerte sich indem seine Mundwinkel leicht zuckten, er aber im selben Moment nicht interessiert wirkte.

SO WAR ERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt