Abschied (Prolog)

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"Sina war meine beste Freundin und sie hat mich beschützt bis zu ihrem Tod."

Steve stand auf dem Podium und sah auf das Grab unter welchem seine Freunde lagen, die kleine Kapelle war keine 10 Minuten mit dem Auto entfernt. Dann sah er zu Becca, die kleine Tochter, in der er seine beste Freundin und ihren Mann erkennen konnte. Sie weinte nicht, das hatte sie kein einziges Mal, seit Steve ihr erklärt hatte, dass sie ihre Eltern nicht mehr sehen würde, nie wieder. Sie sagte nichts, sie tat nichts, sie war einfach still und emotionslos. Keine 12 Jahre alt und Waise. Keine 8 Jahre alt und der Krieg nahm ihr alles, was sie hatte und dem blonden Avenger wurde erneut die Tatsache bewusst, dass sie jetzt schon Dinge erlebt hatte, die kein Kind in ihrem Alter erleben sollte.

Vater, Mutter, Haus, Familie, das alles war unerreichbar für sie, nicht nur, weil ihre Eltern tot waren, sondern auch weil Steve meinte, es sei das Beste, sie von allem fern zu halten, was sie an ihre verstorbene Familie erinnern würde. Lediglich ihr Hund, der schwarze Labradormischling Buddy war ihr geblieben, die einzige, süße Erinnerung an ihre Eltern.

Becca hatte niemanden mehr und Steve keine beste Freundin und auch Bucky trauerte um die beiden, nur hatte er nicht die Verbindung zu den beiden gehabt, die die kleine Barton und sein Lebensgefährte hatten, geschweige denn Wanda oder Natasha. Die letzten Überlebenden der ursprünglichen Avengers, die nun mit dem Schmerz zu leben hatten. 

Steve hatte Sina zwar versprochen auf Becca aufzupassen und sie wie sein eigenes Kind zu hüten, doch er wusste, dass es sich als äußerst schwierig erweisen würde, das sah er immer wieder, wenn er zu ihr schaute. Becca war für ihn kein einfaches Kind, das war sie noch nie gewesen und der Tod ihrer Eltern hatte sie noch verschlossener ihm gegenüber gemacht, als sie es ohnehin schon gewesen war.

"Als sie zu SHIELD kam, war sie eine Fremde. Sie kannte niemanden und sie hatte niemanden, kam als Vollwaise aus einer Familie, die sie ihr ganzes Leben misshandelt hatten. Anfangs dachte ich wirklich, zwischen Sina und mir würde etwas sein, was Bestand hätte, was weit über Freundschaft hinaus ging. Liebe habe ich es genannt. Doch es war Freundschaft. Tiefgründige Freundschaft, auch wenn ich mich wirklich verliebt hatte, in die starke, unabhängige und unnahbare junge Frau, die sie gewesen war, nicht auf eine romantische Art und Weise, sondern auf eine Freundschaftliche. Und sie wurde zu meiner Freundin, die Beste, die ich je hatte. Und als sie mir sagte, dass sie Clint heiraten würde - ich war noch nie so glücklich gewesen, ich hatte mich für sie gefreut als wäre es meine eigene Hochzeit gewesen. Auch die Nachricht, dass sie schwanger war erfüllte mich mit Glück, welches ich noch nie gefühlt hatte. Dann hielt ich sie in den Armen, das kleine Wunder, das kleine Knäuel voll Glück. Becca." Er sah zu dem Mädchen, doch sie bewegte sich keinen Zentimeter. Für Steve war es, als würde sie ihn komplett ignorieren, doch er konnte es ihr nicht übel nehmen, er hatte ihr die schlechten Nachrichten überbracht und sie sah in ihm den Schuldigen, auch wenn er es nicht war, aber das erwartete er nicht von ihr zu verstehen. "Von da an schwor ich mir, auf Sina aufzupassen. Auf Becca und auf meine Familie. Denn sie sind alles, was ich habe. Thanos hat mir meine Freunde genommen. Meine Kameraden und meine Zukunft mit ihnen, doch das wird er bitterböse bereuen. Keiner legt sich mit Steve Rogers an."

Wut durchbrach die schützende Mauer seiner Lippen und brodelte heiß in seiner Seele, nicht nur in Form von geballten Fäusten sondern auch in Form von Tränen, die sich über seine Wangen stahlen und sich einen Weg Richtung Boden bahnten. So viel Wut, so viel Hass, den er gar nicht zu kontrollieren wusste. Abgrundtiefer Hass. Und es gab nur ein Ventil: Thanos. Aber bis er die Chance bekommen würde, sich für all den Schmerz und den Hass, für all die Trauer und die kochende Wut persönlich zu revanchieren, dauerte es noch Jahre. Wenn nicht sogar Jahrzehnte, denn der Captain hatte weder die Möglichkeit noch die Kraft, der lilanen Traube in den Arsch zu treten.

Steve fing an zu akzeptieren, dass man im Leben nicht alles los werden konnte. Man musste schlucken, viel schlucken, denn das Leben war hart und unfair. Und bei jedem Schluck den er nahm und etwas Unveränderbares akzeptierte, stieg das Wasser seiner Kehle näher und der Druck auf seiner Lunge verstärkte sich. Er wusste, bevor er überhaupt ertrinken könnte, würde er an der Last auf seiner Brust ersticken, diese Wut war wahrlich unkontrollierbar.

Schweigend trat er die Stufe herab und stellte sich zu Bucky, welcher die Hand auf Beccas Schulter gelegt hatte, was sie wieder gekonnt ignorierte. Sie war noch so jung, doch so voller Hass, sie würde in wenigen Tagen erst 6 Jahre alt werden. Jetzt im Moment, das war Steve klar, wünschte sich hier niemand sehnlichster den Tod und gleichzeitig Vergeltung, wie Becca es tat und er schluckte. Das waren viel zu starke Gefühle für ein so junges Mädchen.

"Ich will auch noch was sagen." murmelte Becca leise, ihre kindliche Stimme klang doch so erwachsen, ihre wenigen Worte waren weise gewählt und sie schien ihrem Alter so sehr voraus, was Steve noch mehr Sorgen bereitete, er wollte nicht, dass sie abrutschte.

"Ich weiß." seufzte Bucky und strich durch ihr Haar, was sie mit einem leichten Kopfschütteln unterband. "Doch deine Worte sind von Hass getränkt. Sag es im Stillen, wenn du alleine bist. So dass deine Eltern sie auch wirklich hören."

James verstand Becca, denn ungefähr genauso fühlte er sich, als ihm klar wurde, dass er nie wieder James Buchanan Barnes werden konnte, sondern auf Ewig der gefürchtete Winter Soldier blieb. Bei allen, auch bei sich selbst. Nur nicht bei Steve und der kleinen Barton-Tochter, die ihn nie anders gekannt hatte. Bei Steve war er immer Bucky geblieben. Immer der Junge aus Brooklyn. Immer seine Liebe. Der Unschuldige. Auch wenn es immer jemanden geben würde, der Bucky positiv sah, zählte es nur wie er sich selbst sah. Und was er dabei empfand. Und genauso war es auch bei Becca. Es war egal und würde immer egal bleiben, was Steve im Bezug auf den Tod ihrer Eltern sagen würde. Für sie zählte nur, wie sie es empfand. Wie sie damit umging und was sie dabei fühlte. Und in diesem Moment schrie sie in sich drin, schrie die Wut, fühlte all den Schmerz, doch der Welt zeigte sie das ausdruckslose Gesicht, obwohl ihr Herz so sehr schmerzte und sie am liebsten zusammen brechen und weinen wollte. 

Selbst als die wenigen Menschen den Friedhof verlassen hatten und der Regen das Blut von den Grashalmen wusch und zu kleinen Pfützen wurden ließ, stand Becca noch immer vor dem Grab und schrie gegen ihren eigenen Körper, brüllte in ihrem Kopf das lilane Monstrum an, was ihr alles genommen hatte, brüllte Steve an und ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten. Wanda hörte alles, sie hörte, wie sie litt, aber sie konnte ihr nicht helfen, denn niemand konnte ihr diesen Schmerz nehmen.

"Becca. Es wird Zeit zu gehen." flüsterte Bucky ruhig und stellte sich neben sie, während ihre Fäuste immer noch verkrampft waren.

"Ob sie das wussten?" fragte sie leise und biss die Zähne zusammen, unterdrückte die aufkommenden Tränen als sie anfing zu sprechen, was ebenfalls ein Grund für ihre wenigen Worte war.

"Dass ihre Zeit zum Gehen gekommen war?" Sie nickte und Bucky sah sie an, verwundert über die Frage, dass sie sie so spezifisch gestellt hatte. "Vermutlich. Deine Mutter hatte ein Gespür für so etwas."

"Hilfst du mir Thanos zu vernichten?" meinte die Kleine nun und nun fielen James die verkrampften Fäuste und die Tränen in ihren Augenwinkeln, die sie nur ihm zeigen würde, weil sie niemand sonst vertraute.

"Sei realistisch. Du wirst ihn nicht alleine besiegen können. Auch nicht mit meiner oder Steves Hilfe. Und deine Eltern taten das, damit du leben kannst. Vergiss das niemals." seufzte der Attentäter und Steve schüttelte den Kopf. Wieso sprach Bucky nur so mit einem Kind? Doch genau das war der Grund, warum sie Bucky vertraute und Steve nicht. Steve nahm ihr zusätzlich zu dem Verlust ihrer Eltern auch noch das bekannte Landhaus, ihr Zuhause seit sie lebte und jegliche Erinnerung an ihre Eltern. James hingegen war ehrlich mit ihr, als wäre sie so alt wie er und würde jede Konsequenz ihres Handelns in vollem Umfang verstehen können.

"Es fühlt sich aber nicht wie leben an. Nicht ohne sie, nicht, solange dieses Monster noch lebt." presste sie zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und die erste Träne stahl sich aus ihren Augenwinkeln, die sie mit einer schnellen Bewegung wegwischte, als sie Steve näherkommen hörte. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde ging sie zurück zum stumm sein und stürmte an Steve vorbei zu seinem Auto, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Remember who you are [Fortsetzung zu Ordinary Girl]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt