Erinnerungen

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"Du willst mir jetzt also sagen, dass du in der Zeit gereist und bei Clint und Sina gewesen bist?"

Steve schaute mich seit gut 10 Minuten böse an und glaubte mir kein Wort von dem, was ich sagte, auch wenn ich es schon zwei Mal in aller Länge erklärt hatte.

"Du warst doch derjenige, der Stephen angeheuert hat, um mir das Zeitreisen beizubringen. Schau, es hat funktioniert. Mom war immer dagegen gewesen, ich weiß es, aber du, du wolltest es so. Jetzt hast du es wie du es wolltest, also freu dich doch drüber."

Ich giftete ihn unglaublich zickig an. Ich wusste, dass er mir keinen Glauben schenken würde, dazu war er zu sehr Kontrollfreak und ich hatte keine Chance gegen ihn. Er würde mir so lang auf die Nerven gehen bis ich ihn wieder anschrie, dass er mich doch in Ruhe lassen sollte oder ich mich wieder auf den Friedhof schlich.

"Rebecca Barton, lüg mich verdammt nochmal nicht an. Du sagst mir sofort die Wahrheit oder du darfst das Haus gar nicht mehr verlassen!"

Steve's Stimme wurde immer lauter und er immer ungeduldiger, doch ich konnte ihm nicht mehr als die Wahrheit sagen, erwartete er, dass ich ihn jetzt anlügte? So sorry, bin aus meinem Stuhl verpufft weil ich Lust auf Stress hatte? In welchem Film lebte er denn bitte? 

Inzwischen war Onkel Bucky schon dazwischen gegangen und wollte ihn wegdrücken, doch sein Lebensgefährte stieß ihn rüde zur Seite, was ich zuvor auch noch nicht gesehen hatte. Auch mir platzte langsam der Kragen, wie schon einmal heute, weil er einfach nicht mehr ganz richtig tickte. Ich hielt das mit Onkel Steve nicht mehr aus. Ständig diese Drohungen, ständig die Verbote. Ich hatte das Gefühl, es ging hier gar nicht um mich - sondern um ihn.

"Ich darf das Haus doch sowieso nie verlassen, wann ich will!" fing ich jetzt auch an zu schreien und stand auf, ich hielt die Wut im Sitzen nicht mehr aus, ich hatte einfach keinen Platz dafür. "Ständig verbietest du mir alles, ich habe keinerlei Freiheiten. Dein Kontrollzwang macht mich so krank! Ich habe einfach keine Lust mehr darauf, du bist nicht mein Vater verdammt nochmal! Und du kannst sie auch nicht ersetzen, niemand kann das. Also tu verdammt nochmal nicht so, als könntest du es! Mom und Dad wären nie so gewesen wie du es jetzt bist! Eigentlich wäre es egal gewesen, hätte Thanos mich umgebracht, Leben darf ich ja sowieso nicht!"

Meine Worte hallten von den Wänden wider und keiner traute sich etwas zu sagen. Steve schaute mich entsetzt an und ich erwartete schon, dass er mich jetzt schlug, denn er hatte Bucky schon so zur Seite gestoßen, verrückt war er ja sowieso schon, doch er sah eher so aus als sei er der, der geschlagen worden war. Er wusste ziemlich eindeutig nicht, wie er jetzt reagieren sollte, doch ich sah, dass er mit den Tränen kämpfte, denn ich hatte wohl einen wunden Punkt getroffen. Auf der einen Seite bereute ich meine Worte, auf der anderen war ich extrem froh, dass es endlich gesagt war, ich musste mir Luft schaffen in dieser unterdrückenden Lage.

"Becca, jetzt bist du zu weit gegangen. Steve versucht nur dich zu beschützen, er meint das doch nicht böse." fing jetzt auch noch Bucky an. Der Einzige, der sonst immer zu mir gehalten hatte, fiel mir jetzt in den Rücken und bezog Steves Seite. Eigentlich hätte es mir klar sein müssen, aber mein Vertrauen hatte mich wohl blind gemacht. Entsetzt starrte ich den Braunhaarigen an und schüttelte den Kopf, bevor ich einen kurzen Entschluss fasste und Richtung Tür rannte. Ich rannte blind. Rennen war das einzige, was ich konnte, vor allem vor meinen Problemen wegzurennen.

Ich kam wieder in der Garage raus und da kam mir eine wohl sehr dumme Idee, aber die einzig Logische, die mir in den Sinn kam - ich wollte weg. Also schnappte ich mir einen der Autoschlüssel, die in dem verstaubten Kasten an der Eingangstür hingen und drückte auf den Entriegelungsknopf. Eins der Autos leuchtete auf und ich ging darauf zu, fest entschlossen, dass es Zeit war für mich, zu gehen. Es war eins der schwarzen Autos, ein etwas größeres Audimodell, welches ziemlich weit vorn stand war mein Ticket in die Freiheit. Mit einem weiteren Druck auf den Knopf der Fernbedienung, die mit einem Verbindungsring mit dem Autoschlüssel verbunden war, öffnete ich das Eingangstor, während ich mich in das Auto setzte. Ich wusste, wie man Auto fuhr, oft genug hatte ich schon ein Auto kurzgeschlossen und hatte damit geübt, denn Steve wollte mich auch nicht den Führerschein machen lassen und ich wollte vorbereitet sein. Zwar hatte ich nie eine solche Situation im Kopf gehabt, aber meine Fahrübungen waren nun nötig und ich schickte ein Dankgebet zum Himmel. Es war ein Automatik, was die ganze Sache nochmal einfacher machte, denn schon kurz nachdem ich den Motor gestartet hatte, drückte ich aufs Gas und verriegelte das Auto von innen, ich wollte mein Glück nicht testen. Ich sah Steve noch durch die Tür rennen, da flog das Gebäude auch schon an mir vorbei. Kurz danach und mit einem weiteren Knopfdruck auf den Knopf der zweiten Fernbedienung konnte ich das Tor öffnen, welches die Auffahrt begrenzte und auch dieses hatte ich relativ schnell hinter mir gelassen.

Ich folgte blind der Straße und war heilfroh, als ich sah, dass der Tank voll war. Entweder der Praktikant damals hatte die Aufgabe, jedes Auto zu tanken oder jemand hatte tatsächlich mal mitgemacht. Ein Blick in den Rückspiegel verriet mir ebenfalls, dass Steve mich vorerst nicht verfolgte und mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war wütend. Ich war so unglaublich wütend, doch ich wollte nicht anhalten, um mich abzuregen. Ich wollte fahren, einfach nur weg von hier. Wollte zu Mom, zu Dad, zurück in der Zeit, zurück zu ihnen. Es war zum verzweifeln, ich konnte einfach nichts tun außer fliehen wie ein Gefangener, denn mehr war ich nicht unter Steves Aufsicht.

Dann kam mir der erste Gedanke und ich schlug wie selbstverständlich den Weg zu meinem alten Zuhause ein. Den Weg, den ich mir in Gedanken immer wieder eingeprägt hatte, nachdem ich ihn gefunden hatte. Ich hatte in Moms Akte geschaut, als ich Steve's Tablet hatte, hatte nach der Adresse gesucht. Und Google Maps war nach wie vor frei zugänglich, was mir die ganze Sache deutlich vereinfachte. Ich war mir unglaublich sicher, ich wollte dort einfach hin. Ich wollte schauen, was noch davon übrig war, von dem schönen Landhaus. Vermutlich hatte die Natur es sich schon zurück geholt, mit allem, was darin war und jeder Erinnerung, doch als ich dort ankam nach ungefähr einer Stunde Fahrt, erwartete mich ein ganz anderer Anblick. Das Anwesen war gepflegt, sogar die weitläufige Wiese aus meinen Erinnerungen war gemäht. Ich überprüfte noch einmal, ob der GPS Tracker auch wirklich ausgeschaltet war, den ich auf dem Weg hier her eliminiert hatte, bevor ich ausstieg und zu dem Haus lief.

"Becca, kommst du bitte?" hörte ich Moms Stimme leise in meinem Ohr und vor meinem inneren Auge sah ich mich als kleines Kind auf sie zu rennen, mein Hund Buddy rannte voraus.

Beim Gedanken an meinen Labradormischling kamen mir die Tränen. Er war erst vor wenigen Wochen aufgrund seines hohen Alters gestorben und es brach mir bis heute das Herz. Er war das Letzte, was mir von Mom und Dad noch geblieben war, doch nun fehlte auch er, sowie ein weiteres Stück in meinem Herzen, die letzte physische Erinnerung, die ich an meine Eltern gehabt hatte und mein bester Freund, Tiere waren immer die besten Freunde, denn sie liebten ehrlich. Ein Hund verstieß dich nicht wegen Makeln, ob innerlich oder äußerlich, ein Hund liebte dich bis zu seinem letzten Atemzug und ich hatte ihn geliebt, so sehr geliebt. 

Traurig wischte ich die Tränen von meiner Wange und lief zur Haustür, die ich mit einer Leichtigkeit knackte, wobei knacken übertrieben war, es war fast, als wäre sie schon offen, denn ich brauchte nur an dem Türknauf zu drehen und sie öffnete sich. Ich beschädigte nichts, ich öffnete sie vorsichtig, sie war mir schon fast heilig. Als ich das Haus betrat kam mir ein sehr bekannter Geruch entgegen, so stark, als wäre das Haus keinen Tag gealtert, als wäre es erst gestern gewesen, dass Mom und Dad das Haus verlassen hatten, zusammen mit mir und Buddy, um noch etwas zu unternehmen. Und dann verstand ich es, nachdem ich einige Sekunden mit geschlossenen Augen in dem Eingangsflur gestanden war und es einfach nur genossen hatte, hier zu sein. Niemand kümmerte sich um das Haus. Stephen hatte das Anwesen in eine zugängliche Zeitschleife gesteckt, um die Erinnerung zu halten.

Schnell rannte ich in das Schlafzimmer der beiden, in denen das noch ungemachte Bett zu sehen war und Klamotten, die dort lagen, als hätten sie sie vorhin erst ausgezogen und über den Stuhl im Zimmer geschmissen. Ich nahm einen grauen Pullover, der Dad gehören musste und roch an ihm. Ich hatte noch nicht einmal richtig eingeatmet, da brach ich schon in Tränen aus. Ich roch ihn, als würde er mich umarmen, als würde er neben mir stehen und mich aufbauen wollen. Ich brach zusammen, lag auf dem Boden und weinte. Ich weinte so sehr, alles brach über mich herein. Ich vermisste Mom und Dad so unglaublich, ich hielt es kaum aus. Es zerriss mich, auch wenn ich es nicht zugeben wollte. Es zerriss mich seit 10 Jahren und es würde nie aufhören, nicht, bis ich sie zurück hatte und in diesem Moment wurde mir erneut klar, dass ich nicht aufgeben würde, niemals. Ich würde so lange eine Lösung suchen bis ich sie zurück hatte oder ich selbst daran zerbrechen oder sogar sterben würde.

Remember who you are [Fortsetzung zu Ordinary Girl]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt