Unerwünscht

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Der Schulleiter trug einen schicken Anzug. Mit seinen zurückgegelten Haaren und der aufrechten, steifen Haltung wirkte der Mittvierziger wie ein zweitklassiger Börsenmakler. Seine Hände hatte er ineinander verschränkt vor sich auf dem Tisch platziert. Auf seinem Schreibtisch stand ein Bild auf dem er und der Bürgermeister in die Kamera lächeln. Es war so platziert, dass jeder, der das Büro betrat, einen Blick darauf werfen konnte. Daneben lag ein signierter Baseball auf einem kleinen Podest. Auf seinem vergoldeten Namensschild stand in verschnörkelten Lettern MR. HENNING. Aus jeder seiner Poren strahlte Großgotzigkeit und Aufgeblasenheit. Mit grimmigen Blick fixierte er den Teenager vor sich.

Vor dem Schreibtisch auf einem Stuhl saß ein gertenschlanker Junge mit zierlichen Schultern. Er hatte den Blick auf seinen Schoß gesenkt, sodass nur sein wuscheliger Strubbelkopf erkennbar war. Die Hände versteckte er unter seinen Oberschenkeln.

Dumpf drangen betriebsame Geräusche aus den Schulfluren durch die geschlossene Tür des Direktorats. Das Warten war beinahe greifbar; in der Luft lag die Schwere wie eine schwarze Rauchwolke. Erst seit einem Semester besuchte der Junge die Schule. Zwar waren seine Leistungen zufriedenstellend - wenn nicht sogar überqualifiziert - aber die rote Armbinde an seinem Oberarm ließ ihn zum Ausgestoßenen werden.

Dem Schulleiter war bewusst, was unter der Schülerschaft passierte. Auch, was die Lehrerschaft für Vorbilder bildeten. Therianthropen gab es nur wenige auf der Schule. Sie besaßen rote Spinde, rote Tische und Stühle und einen kleinen abgetrennten Bereich auf dem Schulhof, den sie nicht verlassen dürfen. Der Schulleiter hat alles mögliche unternommen, damit sie keine Gefahr für die Menschen darstellen.

Manchmal versetzten die Frauen in der Schulkantine das Essen der Therianthropen mit Salz. Einige Lehrer legten ihnen extra schwere Aufgaben und Arbeiten vor, um schlechte Noten zu rechtfertigen. Die Schüler waren aber die Schlimmsten. Sie waren sehr kreativ in ihren Schikanen. Mal sperrten sie die Therianthropen in Räumen ein oder füllten ihre Spinde mit Widerlichkeiten wie pürierten Spinat. Vor dem Sportunterricht stahlen sie ihre Klamotten oder verwehrten ihnen am Ende des Schultages den Einstieg in den Bus. Sich zu Wehren kommt einem sozialen Todesurteil gleich. Nur eine falsche Bewegung eines Therianthropen und die gesamte Schule gerät in Panik.

Der kleine Therianthrop wird von dem Schulleiter mit Blicken durchbohrt. Hinter dem Hass sitzt allerdings die Furcht. Wie ein kleiner Mann, der in seinem Kopf sitzt und immer wieder mit einem Hammer gegen seine Schläfen klopft. Poch. Angst. Poch. Furcht. Poch.

Die Tür öffnete sich und eine Frau mit blonden Haaren und deutlichen Rundungen betrat den Raum. Sie wirkte gestresst und unsicher und verängstigt. Sie setzte sich auf den Stuhl neben den kleinen Jungen. In dem Versuch unauffällig zu erscheinen lehnte sie sich auf die Armstütze, um so viel Abstand wie irgend möglich zu dem Jungen zu schaffen. Sie warf einen Blick auf den Schulleiter. Hinter ihm ragte die Breite Rückenlehne des Drehstuhls auf, als würde es sich dabei um einen Thron handeln. Schnell blickte sie weg.

„Sie wissen, warum Sie gerufen wurden?" Der Schulleiter konzentriert sich auf die zappelige Frau.

Sie schüttelte den Kopf und sah vorsichtig zu ihm hinauf.

„Ihr Sohn hat einen meiner Schüler tätlich angegriffen", dröhnte er.

Sie zog den Stuhl über den Boden, weg von dem Jungen. Der Blick des Schulleiters schweifte über ihre Arme, doch fand er keine rote Armbinde. Er runzelte die Stirn.

„Sie sind Frau Tosci?"

Sie nickte schnell. Ihr war es unglaublich unangenehm. Sie schielte zu dem Jungen hinüber, doch er saß dort so regungslos, als wäre er eine jahrhundertealte Statue. Es war unheimlich. Nicht einmal seine Schultern bewegten sich als Beweis dafür, dass er atmete. Wie versteinert, saß er da,

Katzenminze und Wolfsbeeren Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt