Ein Pakt der Freundschaft

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Am liebsten hätte Leano die Aufforderung Menowins einfach abgetan und ignoriert, doch setzt er sich ohne Protest zu ihm. Warum weiß er nicht genau - vielleicht wegen seiner freimütigen Worte oder dem hoffnungsvollen Blick. Mit verschränkten Armen lehnt er sich zurück und schaut überall hin nur nicht neben sich. Die Sprossenwand hinter ihm drückt in seinen Rücken und die Beine winkelt er an. Menowin streckt seine aus, weil er zu groß für die kleine Holzbank ist.

Nachdem Menowin keine Anstalten macht, das Wort zu ergreifen, sagt Leano: „Du nervst mich." Es ist eine Lüge, jedenfalls in diesem Augenblick. Leanos Frust ist durch seine vorherigen Worte fast wie weggewischt.

„Das merke ich." Leano sieht nun doch zu Menowin hoch und dessen offener Gesichtsausdruck lässt ihn stocken. „Ich weiß nur nicht warum", fügt Menowin hinzu.

Leano hält inne und denkt nach. Er zuckt nach einigen Momenten mit den Schultern. „Es ist, wie es ist."

„Das ist keine Begründung."

„Und doch ist es die einzige, die du bekommst."

Wie soll Leano Menowin eine Antwort nennen, die er selbst nicht kennt? Das einzige, was ihn leitet, ist sein Gefühl. Wobei dieses Gefühl so wankelmütig ist wie das Wetter im April oder ein Schiff auf hoher See. In Bezug auf Menowin sollte er auf nichts vertrauen. Erst will er so schnell wie möglich Abstand zu ihm gewinnen und dann prahlt er fröhlich mit Geheimnissen herum, als wären sie einfache Zeilen, die er aus der Tageszeitung vorliest. Während er in dem einen Augenblick wütend und durcheinander ist, kippt seine Stimmung kurz darauf ins Gegenteil um und er wird friedlich und ruhig. Ängstlich, verärgert, traurig, aufgebracht, provokant, geruhsam - solch ausgewachsene Stimmungsschwankungen hatte er noch nie, nicht für einen so belanglosen Grund wie einen unbedeutenden Mitschüler.

Die Kopfschmerzen, die er beinahe vergessen hat und die zu einem Hintergrundrauschen geworden sind, kehren mit einem Schlag zurück. Leano schließt kurz die Augen und seufzt. Mit Zeige- und Mittelfinger beider Hände reibt er sich über die pochenden Schläfen. Es ist ein Beweis dafür, dass Menowin ihm körperliche Schmerzen zufügt.

„Du siehst scheiße aus", äußert Menowin.

Es ist eindeutig, dass er auf sein ausgelaugtes und erschöpftes Verhalten hindeutet. „Wow", murmelt Leano, „Du nimmst wirklich kein Blatt vor den Mund."

Menowin zuckt mit den Schultern. „Magst du mich deshalb nicht?"

„Nein." In einer flüssigen Bewegung richtet Leano sich auf, wendet sich Menowin zu und legt den Kopf schräg. „Eigentlich ist es - wenn überhaupt - recht erfrischend. Außerdem habe ich nie gesagt, dass ich dich nicht mag."

„Du bist aber äußerst geschickt darin, es mir zu zeigen." Er ahmt Leanos Kopfbewegung nach und rät weiter: „Manche Leute sagen, ich bin zu ausdruckslos." Die beiden blicken sich unverwandt an und Menowin liegt richtig: seine Expression zeigt nichts nur reinen Gleichmut.

„Wer bitte würde dir das ins Gesicht sagen?" Zwar lenkt Leano mit einer Frage ab, doch zugleich schüttelt er leicht den Kopf. Auch das ist es nicht. Er kann es nicht benennen. Wie erwähnt, hat er nie gesagt, dass er Menowin nicht leiden kann. Zwar ist das Gefühl der Abneigung ihm gegenüber ungewöhnlich häufig für die kurze Zeit ihrer Bekanntschaft aufgetreten, aber wenn Leano länger darüber nachdenkt, ist es wohl weniger Feindseligkeit als Unsicherheit, die ihn Menowin so unsympathisch machen. Leano weiß nicht, wie er sich in seiner Gegenwart benehmen soll und dann wiederum weiß er nicht, wie er aufhören kann, sich so zu benehmen, wie er sich nun mal benimmt, wenn Menowin da ist.

„Du kannst mich nicht ohne Anlass als einen unangenehmen Zeitgenossen abstempeln. Im Grunde kennst du mich nicht."

Leano schürzt seine Lippen. Dieser Dialog gefällt ihm nicht, denn wenn es so weiter geht, knickt er ein.

„Das will ich auch nicht", behauptet Leano und fährt sich durch sein kinnlanges, aschgraues Haar mit den weiß-schwarzen Strähnen.

„Ist das nicht unfair?"

Zustimmend brummt Leano. Und wie, denkt er.

„Dein Benehmen ist schrecklich kindisch. Was du tust, ist Unrecht." Menowin erwartet eine Reaktion, aber noch einmal will Leano ihm nicht beipflichten. Er ist sich über sein unausgeglichenes Verhalten durchaus bewusst. „Du hast keine Freunde. Willst du, dass es dabei bleibt?"

Empört schnappt Leano nach Luft. „Natürlich habe ich Freunde! Sogar genügend davon." Mit einer ausholenden Geste deutet er auf alle um sich herum.

Unbeeindruckt hebt Menowin eine Augenbraue. Er braucht nichts darauf zu erwidern, denn sein abschätzender Blick sagt bereits alles.

„Wollen wir Freunde sein?"

Die unverhohlenen Worte sind ein Schlag in Leanos Magen. Kleine Lichtpunkte tanzen in dem Bernstein von Menowins Augen wie Gold auf dem Grund eines sandigen Flusses. Da liegt keine List und keine Heimtücke in dem Gesicht seines Gegenübers. Beinahe schmerzt die Ehrlichkeit, die ihm entgegenschlägt.

„Du hast keine und ich habe keine. Du bist interessant und ich denke, ich könnte dich mögen."

Leano bleibt weiterhin still und schafft es nicht, Worte in seinem Mund zu formen. Seine Augen sind groß und rund und er kann die Überraschung nicht aus seiner Miene verbannen. Die Tragweite von Menowins Worten ist nicht zu erfassen. Stumm sitzt er da. Kein Muskel regt sich, er traut sich nicht mal zu blinzeln. Freunde?

Leano weiß, das Menowin eine richtige Freundschaft meint - nicht diesen Smalltalk, den Leano normalerweise mit seinen Mitschülern führt. Das Wort aus Menowins Mund gesprochen klingt wie ein bittersüßes Versprechen. Es lockt ihn - er will es haben.

Langsam beugt sich Menowin vor. Leise kaum hörbar fragt er: „Darf ich dein Freund sein?"

Freunde? Leano kennt die Bedeutung dieses Wortes, aber er versteht es nicht. Allein die Idee verführt ihn und ihr verheißungsvoller Klang prägt sich in seinen Geist. Einmal hat er einen Freund gehabt, aber im Nachhinein ist er sich nicht sicher, ob es wirklich Freundschaft war, die sie verbunden hat oder doch etwas anderes.

Ohne es verhindern zu können, nickt er - und selbst wenn er die Kontrolle über seinen Körper gehabt hätte, weiß er nicht, ob er anders gehandelt hätte.

Menowins Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Erschrocken zieht Leano die Luft ein und seine Augen werden groß wie Unterteller.

Heiße Schauer rieseln ihm den Rücken hinab und er krallt seine Hände in das Holz der Bank. Was ist das? Er kann den Augenkontakt nicht unterbrechen und ist gefangen von den warmen Farben Menowins.

Die Haut ist blütenweiß, gesprenkelt mit Sommersprossen über Nase und Wangen wie winzig kleine Honigtropfen. Sein Haar glänzt königsgelb, blutrot und glutorange. Und seine Augen - diese Augen!
Bernsteinaugen. Sie schimmern in allen möglichen Farben, in einem Orange wie der Morgenhimmel bei Sonnenaufgang, in einem Gelb wie die ausgeblichenen Seiten uralter staubiger Bücher. Zart fließen die Farben ineinander und Adern aus Gold durchziehen seine Iris. Glasig, wie ein klarer Bernstein sind auch seine Augen und es ist als könne Leano durch sie hindurch bis in die tiefsten Tiefen der Seele Menowins blicken. Und dort auf dem Grund seines Wesen liegt Wahrheit und Schmerz.

Sein kleines Lächeln wird sogar noch ein wenig breiter, als er sagt: „Heißt das, dass du mich nicht bei irgendwelchen komischen Leuten abschieben wirst."

Unbemerkt schleicht sich auch ein Lächeln auf Leanos Gesicht und er zuckt mit den Schultern. „Scheint so."

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