Streitgespräch

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Menowin sitzt neben ihm im Bus und lässt ihn nicht aus den Augen. Seine pure Anwesenheit lässt Leano in ein nervöses Zappeln verfallen. Seine ungeteilte Aufmerksamkeit lässt sein Herz rasen und ihn fast ängstlich von ihm abrücken. Leanos Wangen sind ganz rot. Es ist ihm peinlich, dass er in der Schule die Kontrolle verloren hat. So ist er nicht, so wollte er nie wieder sein. Er sieht aus dem Fenster, weil er es nicht über sich bringt, in Menowins Augen zu blicken. Er hat Angst vor dem was er dort entdecken könnte.

Irgendwann durchbricht Menowin die Stille, mit einem gereizten Brummen. „Was war das?"

„Was genau?"

„Ich dachte, sie wären kurz davor, dich zu Brei zu schlagen. Du wolltest nicht ausweichen. Was soll das? Stehst du auf Schmerzen?" Menowin versucht, seine Stimme eben klingen zu lassen, doch sie klingt gepresst vor unterdrückten Emotionen. Normalerweise kann Leano den Busgestank von Parfüm, Schweiß und anderen Widerwärtigkeiten kaum ertragen, doch nun strömt der Duft von hundert klaren Sommernächten in seine Lungen.

„Im Gegenteil", Leano erwidert unsicher den grimmigen Blick, „Ich hasse Gewalt."

Menowin sieht wie ein Waldgott aus. Seine schlanke Nase hat einen kleinen Buckel, er muss sie sich mal gebrochen haben. Seine Haut ist rein und hell. Aus der Nähe erkennt Leano die wenigen Sommersprossen entlang seines Nasenrückens und Wangen. Er ist wahnsinnig schön.

„Wie paradox. Zeige ihnen ihren Platz und sie lassen von dir ab. Dann bist du sie los."

„So funktioniert das nicht. Frieden für mich und jemand anderes wird zum Sündenbock gemacht." Leano schüttelt verhemmt den Kopf. Er weiß, wie solche Hierarchien funktionieren.

„So spielt das Leben." Menowin hat die Kontrolle über seine Stimme gewonnen und der triste Ton scheint hinauf bis in seine Augen.

„Das Leben ist kein Spiel, es gibt nichts zu gewinnen. Leben heißt entsagen."

Er schnaubt und entgegnet: „Entsage deiner Sorge und deinem Mitgefühl, so wird es leichter."

„Dann darf mir nichts mehr wichtig sein."

„Ganz genau."

„Dann atme ich Staub. Was soll der Sinn dahinter sein?"

„Du hast die Chance, dich um dich selbst zu kümmern. Alles andere ist ohnehin bedeutungslos." Für Menowin scheint es so einfach zu sein.

„Wie traurig und einsam", flüstert Leano.

„Einsam sind nur jene, die nicht im Reinen mit sich selbst sind. Traurigkeit kommt von unbefriedigten Bedürfnissen. Mach es wie ich es sage und deine Wünsche stehen an erster Stelle. Da weißt du dann, wie es ist, glücklich zu sein." Die Überzeugung strahlt in Bernsteinfarben auf Leano hinab und das Gesagte bereitet ihm fast körperliche Schmerzen. Diese Art zu denken ...

„Das können nur die Kaltherzigen über sich bringen. Doch die Kaltherzigen kennen die Liebe nicht."

„Liebe ist eine Illusion. Nur törichte Träumer glauben an sie."

„Gibt es keine Liebe, dann soll die Welt heute untergehen." Leanos Augen füllen sich plötzlich mit Tränen, ohne dass er es verhindern kann. „Die Liebe ist ein Paradoxon und Unverständnis verdunkelt die Sicht der Unwissenden, doch sie ist die höhere Wahrheit, die Antwort auf jede Suche."

„Romantiker können nicht glücklich werden." Menowins Schulterzucken zerbricht fast Leanos Herz.

„Ich bin kein Romantiker und auch kein Phantast. Weder schwärme ich von rosa Wolkenschlössern noch von Zuckerwatteschäfchen, die über die Wolken tanzen. Es gibt die Liebe, nicht für mich, aber es gibt sie." Er ist laut geworden und mehrere Passagiere drehen sich zu ihm um. Wie kam es zu dieser Diskussion? Heftig blinzelt er seine Tränen zurück und fährt leiser fort: „Ich besitze einen ausgeprägten Realitätssinn. Ich kenne den Schmerz. Lass ihn mich hassen und ertragen."

Mehr kann er nicht sagen, bevor seine Stimme bricht. Mit fahrigen Bewegungen steht er auf und drängt sich an Menowin vorbei. Er rennt aus dem Bus. Und weiter. Weiter. Immerzu weiter.

Jedes von Menowins Worten ist ein Messer in seiner Seele. Sollte nur eines davon stimmen, wäre sein Leben sinnlos. Alles was ihn stützt ist die Hoffnung. Es gibt die Liebe, es muss sie geben. Sie ist es, die alle Wunden heilt, die Hass schmelzen lässt und Frieden schenkt.

Zwar behauptete er, für ihn gibt es keine Liebe, doch hofft er mit Leib und Seele, mit Haut und Haaren, dass sie ihn irgendwann finden würde.

Katzenminze und Wolfsbeeren Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt