Zurück nach Finnland

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Evelyn:

Aua. Kleine Bluttropfen laufen meinen Arm hinunter und hinterlassen ein warmes Gefühl auf der Haut. Ich kann mich einfach nicht auf die Sachen konzentrieren, die ich tue. Lea sieht mir die Verzweiflung an und und wickelt ein Pflaster um meinen lädierten Finger. "Hach Süße." Sie streichelt mir durch die fettigen Haare, welche förmlich um eine Dusche betteln. Sie weiß mittlerweile Bescheid. Ihre tröstenden Worte sind Balsam für meine Seele. Sie versucht erst gar nicht mir etwas vorzumachen. Samus Geheimnisse deuten auf eine Affäre hin. Das es so mit uns enden sollte hätte ich in nie gedacht. Olivia bestätigte meine Vermutungen. Ich hätte es von Anfang an wissen müssen. Ok, dann bin ich eben naiv. Und trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es noch nicht vorbei ist. Mit uns.

"Lea! Ich möchte nachhause!" Diese schaut mich verwirrt an und scheint zu überlegen ob ich langsam komplett abdrehe.

"Bist du verrückt? Du wirst wieder genau in seiner Nähe sein.. Wolltest du nicht genau das verhindern?" "Ja, das war meine Absicht. Vorerst. Aber Lea, er will einfach gehen ohne sich von mir zu verabschieden! Ich möchte ihm zumindest noch einmal in die Augen sehen." "Deine Sinneswandlungen soll mal einer verstehen.." Lea schüttelt vielsagend den Kopf und schneidet weiter die Tomaten in kleine Stücke. "Ich sag einfach gar nichts mehr. Du musst wissen was du tust. Auch wenn ich das an deiner Stelle nicht tun würde. Aber nur zu: Ruf deine Eltern an.." Ich springe förmlich zum Telefon und wähle hastig die Nummer. Da ich meine Eltern wie so oft an der Arbeit vermute, versuche ich sie im Büro zu erreichen. "Engel." "Papa?" "Ja, was gibt's denn, Schatz?" Mein Vater klingt wie immer gestresst, wahrscheinlich hat er gleich wieder eine super wichtige Besprechung. Ich merke, dass ich störe, lasse mich dieses Mal aber nicht verunsichern. "Ich möchte nachhause." Ein simpler Satz, hinter dem eine für mich wichtige Bedeutung steckt. Ich muss einfach zurück nach Finnland! "Aber du wolltest doch noch bis zum Ende der Ferien in Deutschland bleiben!" Mein Vater legt einen vorwurfsvollen Ton an den Tag, den ich sonst gar nicht von ihm gewohnt bin. Ich höre förmlich wie es in seinem Kopf rotiert. "Gefällt es dir bei Lea etwa nicht? Habt ihr euch gestritten?" "Nein, das ist nicht das Problem.." Ich unterdrücke die Tränen und beiße meine Zähne fest zusammen. "Ich rede mit deiner Mutter ok? Im Moment ist es gerade ganz schlecht, ich habe gleich eine super wichtige Besprechung! Ich meld mich nochmal.. Bis dann!" Klick. Sagte ich es nicht? Wichtige Besprechung, bla bla, hin und her. Immerhin hat er sich noch nicht deutlich ausgesprochen und ein 'Nein' akzeptiere ich sowieso nicht mehr.

"Bist du dir wirklich sicher Evelyn? Du wirkst total verwirrt und in dich gekehrt. Ich weiß nicht ob ich dich einfach so gehen lassen sollte." "Ganz ehrlich: Schlimmer kann es doch sowieso nicht mehr werden. Meine Eltern wissen noch nichts von meinem Kind." Ich stütze mich an der Wand ab und stoße einen tiefen verzweifelten Seufzer aus. "Hmpf." Lea gibt einen unverständlichen Laut von sich und verschwindet wieder in der Küche. Wenn man nur wüsste was richtig oder falsch ist! Ich kann nicht sagen was passieren wird wenn ich erneut ihn diese blauen Augen schaue. Mein Herz zieht sich zusammen. "Ich vermisse dich", flüstere ich in die Stille. "Sehr." So weit ist es bereits gekommen! Ich fange Selbstgespräche an. Als würde meine innere Stimme mir nicht schon den letzten Nerv rauben! "Alles ok bei dir?" Lea steht wieder neben mir und nimmt meine Hand. "Komm wir essen erstmal was. Dann geht es dir gleich besser, wetten?" "Nein ich will nichts essen, Lea! Kapierst du das nicht, ich will ihn sehen! Jetzt sofort!" Leas Blick deutet darauf hin, dass sie mich mittlerweile für völlig gestört hält. Ich renne in Windeseile ins Obergeschoss und packe hastig alles zusammen was ich von meinen Sachen finde. "Last- Minute Flüge." Heute doch ganz alltäglich. Sollte also kein Problem sein noch irgendeinen Flieger mit freien Plätzen zu finden. "Danke, dass du mich so herzlich aufgenommen hast! Ich hab dich lieb!" Der verdutzten Lea drücke ich einen fetten Kuss auf die Wange und verspreche noch mich bei ihr zu melden sobald ich angekommen bin. Dann renne ich wie von der Tarantel gestochen nach draußen und bestelle ein Taxi. Selbst ist die Frau! Ich kann einfach nicht ewig darauf warten ob meine Eltern sich nun ein 'Ja' aus den Rippen leiern. Ich bin 18 Jahre alt und kann ganz gut auf mich selbst aufpassen. Obwohl.. Manchmal habe ich doch das leise Gefühl, dass ich noch nicht ganz so erwachsen bin wie ich öfters vorgebe zu sein.

Tatsächlich habe ich Glück und bekomme noch einen Flug. Eingequetscht zwischen einer alten Frau mit Mundgeruch und einem Mann der sich scheinbar längere Zeit nicht gewaschen hat versuche ich nicht nach links und rechts zu schauen und verfluche meine Überstürzung. Genervt stöpsle ich die Kopfhörer ganz tief in die Ohren und lasse mich von der Musik berieseln. Ich scheine langsam tatsächlich den Verstand zu verlieren! Noch vor ein paar Tagen wollte ich ihn nie wieder sehen. Wollte seinen leeren Worte nicht glauben. Doch ich vermisse gleichzeitig jede einzelne Faser seines Körpers. Ich bin wirklich nicht mehr ganz dicht. Doch was ist in meinem Leben schon noch normal? Eben. Nichts. Bin dabei ein Kind zu bekommen, verliere es, bin psychisch total fertig, sehne mich nach Liebe, egal von wem, Zuneigung, jemand der meinen Worten Glauben schenkt und einfach nur zuhört. Diesen Menschen vermisse ich in meinem Leben. Nein, nicht schon wieder! Die Tränen fließen einfach. Mit wutverzerrtem Gesicht bahne ich mir den Weg zur Toilette, doch die alte Frau hält mich zurück und deutet auf meinen Platz. "Was ist denn los Kindchen? Was liegt dir auf dem Herzen?" Da sprudelt alles aus mir heraus. Wirklich alles. Nicht das kleinste Detail lasse ich aus, die ältere Dame weiß wahrscheinlich bald besser Bescheid als ich. Sie erinnert mich an meine Oma, die ich das letzte Mal vor einigen Jahren gesehen habe. Sie wirkt rundlich und gemütlich, so als könne sie nichts und niemand aus der Ruhe bringen. Bei meiner Geschichte leuchten ihre Augen. Sie scheint dies gar nicht glauben zu können. Mehrmals muss ich ihr versichern, dass ich die Wahrheit sage und kein böses Spielchen treibe. "Puh, was für eine verwirrende Situation." Ich nicke enttäuscht. Ich hatte mir einen Rat von ihr erhofft, kein Mitleid. "Ich kann dir nur eine Sache mit auf den Weg geben: Manchmal verliert man sich im Dunkeln, um sich selbst zu finden. Jetzt noch ein dringender Rat: Wenn du daheim bist such am besten gleich mal die Dusche auf. Es tut mir leid, aber du siehst fürchterlich aus." Mit einem kurzen Zwinkern schließt die Frau die Augen und verschwindet nach kurzer Zeit ins Land der Träume. Ich grüble weiter nach was sie damit gemeint haben könnte... Das man manchmal auch verbotene Dinge tun muss, bevor man sich selbst findet..? Das ich im Dunkeln tappe..? Das ich das falsche tue..? Ich weiß es wie so oft mal wieder nicht. Noch den ganzen Flug denke ich nach, über längst vergessene Dinge und über ihn. Als ich mein Ziel endlich erreiche und vor seinem Haus stehe schlucke ich leicht und versuche den Schmerz zu unterdrücken, der mich fast überwältigt. Noch kann ich nicht garantieren, ob ich ihm gleich in die Arme fallen oder eine scheuern werde. Vielleicht mache ich einfach beides.

Meine zitternden Finger legen sich auf die kalte Klingel. Das durchdringende Geräusch ertönt.

"Evelyn?!" Seine Augen weiten sich.

"Ja."

"Du bist wieder da." Er lacht leise und schlingt seine starken Arme um mich.

"Ich liebe dich. Nur dich."

Ich lächle ebenfalls und will das in diesem Moment auch glauben.

Wenn die Wellen,
Das Ufer überschwemmen und ich nicht mehr..
Meinen Weg nach Hause finden kann.
Das ist wenn ich, ich...
Ich dich ansehe.
Ich dich ansehe.
Du bist wunderschön.
Du scheinst wie ein Traum.
Für mich.

TEACH ME / Samu Haber FF Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt