W A H R H E I T

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Samu

Ich weiß beim besten Willen nicht, was ich hier schon wieder tue. Ich habe die ganze Situation nur noch mehr verschlimmert. Sie weiß bereits viel zu viel über mich und meine Gefühle. Das birgt Gefahren, bei denen ich mir sicher war, dass ich sie eingrenzen kann. Ich würde mich so gerne öffentlich zu ihr bekennen, den Menschen zeigen, dass solch eine Beziehung funktionieren kann. Von meinen eigenen Gedanken ermüdet, sehe ich aus dem Fenster.

Evelyn kehre ich den Rücken zu, damit ich nicht ihren erwartungsvollen Blicken ausgesetzt bin. Sie wirkt so klein und zerbrechlich, dennoch strahlt sie eine gewisse Zuversicht aus, die ich auch gerne besäße. Letztlich steht für sie nicht allzu viel auf dem Spiel. In solchen, von der Gesellschaft verachteten und vor allem als verboten deklarierten Beziehungen ist natürlich der Lehrer am Ende der Böse, welcher für seine Tat verurteilt wird.

Evelyn wäre lediglich das Opfer eines Triebtäters, der es auf seine Schülerinnen abgesehen hat. Der Gedanke daran widert mich selbst auf gewisse Weise an. Leider taucht genau dieses Problem wieder in meinem Blickfeld auf.

„Ich weiß, wie du dich gerade fühlst",sagt Evelyn und legt mir sanft eine Hand auf die Schulter. „Nein, du weißt es eben nicht und das ist möglicherweise genau das Problem." Sanft schüttle ich sie ab und starre erneut verbissen aus dem Fenster. Sie schweigt. „Wir könnten doch woanders neu anfangen," schlägt sie schließlich nach einer kurzen Pause vor. Genervt sehe ich zu ihr hinunter und versuche dabei nicht ihre fein geschwungenen Lippen zu betrachten.

„Das geht nicht. Ich bin fest angestellt und froh, dass ich diese Stelle ergattern konnte. Außerdem weiß ich nicht mal was das hier genau ist, weshalb ich mein derzeitiges Leben auch nicht aufgeben möchte." Evelyns Blick spricht seine ganz eigene Sprache.

Sie ist unfassbar jung und dennoch weiß sie wohlmöglich mehr vom Leben, als ich in ihrem Alter. Wir beide haben von Anfang an gemerkt, dass dies mehr ist als eine kurze Affäre. Gerade der Kuss eben hat mir nunmehr bewiesen, dass ich mehr Zeit mit ihr verbringen- und sie nicht nur aus der Ferne anschmachten möchte.

„Samu, ich glaube da kommt jemand. Erwartest du etwa Besuch?" In Evelyns Stimme schwingt eine gewisse Panik mit, die ich durchaus nachvollziehen kann. Sie wartet meine Antwort gar nicht erst ab, sondern sieht sich panisch nach einem möglichen Ausweg um. Währenddessen beobachte ich den kleinen Fiat, welcher gerade in meiner Auffahrt parkt. Am liebsten würde ich mir selbst eine Ohrfeige verpassen.

„Ja, ich habe vollkommen vergessen, dass Riku zum Eishockey schauen vorbeikommen wollte." Evelyn läuft derweil ungeduldig auf und ab. „Auch das noch. Der darf mich auf keinen Fall sehen. Hast du einen Hinterausgang oder sowas?" „Nein, leider nicht. Komm mit, ich bringe dich in mein Schlafzimmer. Dahin wird sich Riku wohl nicht verirren, nehme ich an." Wie selbstverständlich ergreife ich ihre Hand und führe sie ins Obergeschoss.

Trotz der heiklen Situation fällt es mir aus irgendeinem Grund schwer, sie ausgerechnet hier zu verstecken. Es hat immer etwas Intimes, eine Person, die man womöglich sehr mag in seine Privatsphäre eindringen zu lassen. Auch Evelyn scheint meine Bedenken zu spüren, denn sie drückt meine Hand fest. Beschämt räuspere ich mich.

„Schließ vorsichtshalber die Tür ab, man weiß ja nie. Ich werde versuchen, Riku schnellstmöglich loszuwerden." „Alles klar." Ich will gerade gehen, doch Evelyn lässt das wenig überraschend mal wieder nicht zu. „Ich will dir noch kurz eine Sache sagen." Sie streicht sich angespannt eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Mir ist das die ganze Sache wert. Das Verstecken spielen, die verstohlenen Blicke, die Heimlichkeiten. DU bist es mir wert." Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll, also streiche ich kurz sanft mit dem Finger ihre Gesichtskonturen nach und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn.

TEACH ME / Samu Haber FF Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt