B E G E G N U N G

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Evelyn

Die Aufregung steigt und ich versuche mich irgendwie davon abzulenken, dass ich am morgigen Tag vor einer mir völlig fremden Klasse stehen werde. Was könnte da naheliegender sein, als einfach einen entspannten Shoppingtag einzulegen?

Ich bin nicht auf der Suche nach etwas speziellem, aber allein dieses Gefühl durch die Geschäfte zu schlendern und hier und da mal ein schönes Kleidungsstück anzuprobieren, erfüllt mich irgendwie mit einer ganz besonderen Art von Ruhe. Ich schätze, fast jedes Mädchen kann mir hier zustimmen.

Wenige Stunden später halte ich drei nicht gerade kleine Einkaufstüten in der Hand, welche mich mit ihrem Gewicht förmlich nach unten ziehen. Möglicherweise wäre es besser gewesen, nicht so viel zu kaufen, da ich momentan leider noch niemanden habe, der mir das ganze Zeug nachhause tragen kann.

Mit leichter Schnappatmung kann ich mich gerade noch so auf die letzte freie Bank retten. Hier kann ich in aller Ruhe die Leute beobachten und gleichzeitig eine wohlverdiente Pause einlegen. Mit Wehmut betrachte ich all die Freunde und Paare, die lachend an mir vorbeiziehen und gestehe mir ein, dass ich gerade ziemlich einsam bin.

Da ich mich eigentlich noch nie so gefühlt habe, ist es irgendwie eine neue, ziemlich schmerzhafte Erfahrung, wie ich gerade feststellen muss. Schnell versuche ich mir einzureden, dass ich ebenfalls bald an dieser Stelle mit meinen zahlreichen Freunden shoppen gehen werde und das meine Sorgen einfach völlig unbegründet sind.

Ich war immer beliebt und das wird sich auch in Zukunft in einem fremden Land nicht ändern, sofern ich ich selbst bleibe und mich nicht verstelle. Mit dieser Erkenntnis vorerst beruhigt, beschließe ich mit dem Bus nachhause zu fahren. Für heute reichen mir die vielen Menschenmassen in der Galerie vollkommen aus.

Ich setze mich also in Bewegung und blicke dabei gedankenverloren auf mein Handy, welches leider immer noch keine neuen Nachrichten von meinen Freunden aus Deutschland anzeigt. Seufzend will ich es gerade wieder in meine Hosentasche stecken, als ich mit voller Wucht gegen etwas ziemlich weiches pralle.

Mehr vor Überraschung, als vor Schmerz entweicht mir ein lautes „Aua!". Schützend lege ich meine Hände über den Kopf, da ich in diesem Moment nicht einordnen kann, was gerade passiert ist. „Oh, das tut mir furchtbar leid. Hast du dir wehgetan?" Mir streckt sich eine Hand entgegen, die ich dankbar ergreife. Erst jetzt kann ich den Ausmaß meines Sturzes ausmachen. Meine Einkäufe liegen überall auf dem ganzen Steinboden verteilt. Unter anderem die Spitzenwäsche, die ich mir eben gerade noch gegönnt habe. Ich würde sagen: Peinlicher geht es nicht!

„Alles wieder gut?" Verwirrt erblicke ich nun einen Mann, der selbst etwas hilflos dreinschaut. „Ähm ja, alles wieder okay", entgegne ich ebenso durcheinander. Das liegt nunmehr nicht alleinig an meinem Sturz, sondern ebenfalls an der Erscheinung dieses Mannes. Er ist relativ groß gewachsen und hat verstrubbelte blonde Haare. Seine Hände stecken mittlerweile lässig in den Taschen seiner ausgewaschenen Jeans. Er blickt mich aus tiefblauen Augen an und scheint auf eine Reaktion von mir zu warten.

Aus irgendeinem Grund möchte ich mich nicht von diesen Augen lösen. Sie ziehen mich magnetisch an und hinterlassen ein sanftes kribbeln auf meiner Haut. „Tut mir leid, ich habe nicht aufgepasst", stottere ich und beginne seufzend meine gekaufte Kleidung vom Boden aufzulesen. „Nein, nein, es war auch meine Schuld, ich war in Gedanken. Soll ich dir helfen?" Er deutet auf den Klamottenberg. Um Gottes Willen! „Nein, danke, dass mache ich schon selbst." Der Fremde nickt mir daraufhin noch einmal kurz zu und verschwindet dann in der Menschenmenge.

Er lässt mich mit einem undefinierbaren Gefühl zurück. Dieser Mann war irgendwie interessant und attraktiv zugleich. Kurz verliere ich mich in meinen Schwärmereien, bis meine rosarote Blase platzt und ich widerstrebend in die graue Realität zurückkehre. Er spielt weder in meiner Liga, noch ist er in meinem Alter. Er muss mindestens 30 sein, oder vielleicht sogar noch älter!

TEACH ME / Samu Haber FF Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt