Gespielt wird nur noch mit offenen Karten

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Evelyn:

"Mama?!" Erschrocken lasse ich ruckartig Samu's Hand los und lege meine Haare zurecht. "Was machst du denn hier?" Mit einem abschätzigen Blick beobachtet sie ihn. Mist. "Es ist nicht das.." Abwehrend hebt meine Mutter die Hand. "Hör auf dich zu verteidigen. Ich habe euch doch bereits gesehen." Ich seufze und gebe mich geschlagen. "Dein Vater sagte, dass du unbedingt zurück nach Finnland wolltest. Der Grund steht wohl gerade vor mir." Samu zuckt entschuldigend zusammen. "Es tut mir wirklich wieder einmal schrecklich Leid Frau Engel, das müssen sie mir glauben. Sie stand einfach vor meiner Tür.." Er wirft mir einen liebevollen Blick zu, der eine leichte Röte in meinem Gesicht verursacht. "Hach. Ich glaube wir sollten uns einmal ordentlich unterhalten... Und zwar am besten ohne deinen Vater.." Wir nicken zustimmend und nehmen das Rad, während meine Mum mit dem Auto fährt. Samu sieht mich fragend an. "So viel zum Thema, deine Mutter geht niiie auf Flohmärkte..!" "Das ist wirklich Schicksal Samu. Ich kenne sie schon länger als du, das kannst du mir glauben und ich habe sie niemals auch nur in der Nähe von Gebrauchtwaren gesehen! Wir haben einfach Pech, dass ist unser grundlegendes Problem."

"Da könntest du Recht haben. Nun ist es zu spät um weitere Lügen zu verbreiten. Offene Karten, ok?"

"Ja. Wir legen die Karten ein für alle Mal offen auf den Tisch." Die Lippen fest zusammengepresst und bis zum zerbersten gespannt stehen wir kurz darauf vor meiner Haustür. "Kommt doch rein."

Meine Mutter sitzt in ihrem Sessel und massiert sich die Schläfen. Ein Zeichen dafür, dass sie angespannt ist. Nicht gut. Gar nicht gut.

"Nehmt Platz." Ich fühle mich wie ein Gast, der in eine fremde Wohnung, ja man könnte meinen, Welt eingetreten ist. Unruhig rutsche ich noch näher an Samu. Mit verschränkten Armen lausche ich den Worten meiner Mutter. "Du warst schon immer stur", dringt der erste Satz an mein Ohr. "Du hast alles bekommen was du wolltest. Ein kleiner sturer Esel. Du machst was du willst. Setzt dich über unsere Verbote und Anweisungen hinweg.." Samu lächelt wage, wird aber schlagartig ernst, als müsse er sich erinnern in welcher Situation wir uns gerade befinden. "Wie lange läuft das jetzt wieder zwischen euch..?" Nervös verschränke ich Samu's und meine Hände, lasse sie kurz darauf erneut los und spreche klar und deutlich. Und zwar diesmal wirklich die reine Wahrheit.

"Es hat nie geendet Mama. Wir haben uns nie getrennt. Zumindest nicht so, wie es den Anschein hatte. Samu hat mich besucht.. Nun ja." Ich schlucke, sehe zu Boden und zurück in die Augen meiner Mutter, meiner Vertrauensperson, die Frau der ich solche Dinge anvertrauen kann. "Wir haben miteinander geschlafen." Nun schluckt auch Samu. Diesmal stoße ich seine Hand nicht weg, sondern lasse sie dort, wo sie hingehört. In seinen großen, leicht geschwitzten, rauen Händen. "Das ist ja nichts neues." Ich bin überrascht. Ich weiß nicht warum, aber sie tut so als wäre das alles nicht so schlimm. Ich atme auf. Scheinbar zu früh. Samu räuspert sich. "Evelyn war schwanger."

"WAS?!" Die Ruhe meiner Mutter ist wie weggeblasen, kein Funken dieser selbstbewussten Frau, die mir gerade noch gegenüber saß, ist übrig geblieben. "Was heißt sie war schwanger?" "Ich habe es verloren." Eine einzelne Träne rollt meine Wange hinab und versickert im weichen Sofapolster. "Oh Schatz." Auch wenn sie und ich noch nie eine enge Beziehung zueinander hatten, lassen meine Gefühlsausbrüche ihr Herz nicht kalt. Warme Arme umschließen mich. Ich atme ihren frischen Duft ein und fühle mich zum ersten Mal- geborgen. Vertrautheit umdringt mich. Leider rollen die Tränen nun erst Recht, wenn ich einmal anfange, gibt es kein Halten mehr. Als Samu dann auch noch in unsere Umarmung hineinplatzt, weinen wir alle irgendwie. Eigentlich müssten wir traurig sein, doch es herrscht kurz darauf fast eine lockere Stimmung. Vielleicht weil diese Art der Aussprache einfach mal nötig war, um zu verstehen wie wichtig mir meine Eltern wirklich sind. Anderen Mädchen wäre es wahrscheinlich egal, sie würden mit dem Jungen durchbrennen, frei nach dem Motto: Scheiß auf die, ich bin schließlich erwachsen! Doch sie sind mir nicht egal, ich will ihre Meinung hören, was sie von ihm halten, ob sie mit uns einverstanden sind. Doch im Prinzip kenne ich ihre Antwort genau. Sie werden Samu nie akzeptieren können. "Ich liebe dich." Samu's Blick streift meinen. Seine Augen werden weich und ich spüre wie er diese kostbaren drei Worte genießt. Doch leider meine ich gerade nicht ihn. "Ich liebe dich auch Samu." Ich lache leise. Er zieht eine Schnute. "Doch in diesem Fall sind sie an meine Mum gerichtet." Ich werfe mich ein zweites Mal in ihre Arme und drücke sie. "Hach." Sie wischt sich kurzerhand die letzten Tränen beiseite und löst sich aus unserer innigen Umarmung. "Trotz allem: Ich kann es nicht fassen, dass du ohne mein Beisein dein Kind verloren hast. Warum hast du dich nicht bei uns gemeldet? Wir hätten dir schon nicht den Kopf abgerissen.." "Ich hatte einfach Angst vor eurer Reaktion. Verständlich oder?"

Sie seufzt und nickt kurz. "Wohl eher vor der Reaktion deines Vaters. Ihr hattet mich doch quasi schon, als ihr vor wenigen Monaten schon einmal hier eure Liebe vor uns offenbart habt." Mit großen Augen halte ich mich an der Lehne des Sessels fest. "Das heißt.. du akzeptierst, dass wir zusammengehören..? Du wirst uns keine Steine mehr in den Weg legen?" Sie schütttelt den Kopf. "Nein. Deinen Vater lasse ich aus dem Spiel, du solltest Herr Haber's Namen nur mit keinem Wort mehr erwähnen." Sie wendet sich ab und sieht nach draußen.

"Samu."

"Evelyn." Ich lächle und sehe in seine blauen Augen, die mit einem Mal noch blauer wirken als sonst ( wenn das überhaupt noch möglich ist ) , vielleicht durch die Sonnenstrahlen die genau auf sein Gesicht fallen und es noch eindrucksvoller erscheinen lassen. Er blickt auf mich herunter. "Wenn ich könnte Evelyn, würde ich dir mein Herz immer wieder schenken. Danke, dass du in mein Leben getreten bist. Ich liebe dich." In diesen Worten steckt viel mehr als eine Bedeutung, 'ich liebe dich' kann so viel heißen und doch völlig unterschiedliche Sachen meinen. Es ist schwer zu definieren, doch hier gibt es nichts zu definieren. Seine Worte sind ehrlich und aufrichtig. Ich möchte nie wieder an ihnen zweifeln. Und doch tue ich es immer wieder auf's Neue. Hoffentlich wird jetzt alles so bleiben wie es ist. Schön, weich und warm. Liebe. Da ich nicht antworte und mehr oder weniger verlegen auf den Boden schaue, wohl auch bewusst, da sich meine Mutter immer noch im Raum befindet und keine Anstalten macht zu gehen, hebt er langsam mein Kinn an und zwingt mich so mit in diese furchtbar, schrecklich, schönen, blauen ( ich wiederhole mich ) Augen zu schauen.. "Ich liebe dich noch viel mehr." Ich flüstere es gerade zu und verschlucke das letzte Wort etwas, sodass sich Samu die Frechheit erlaubt erneut nachzuhaken. "Ich bin verrückt nach dir, nach deiner Stimme, deinem Wesen. Du bist derjenige für den ich mittlerweile lebe. Ohne Dich- das geht nicht. Nicht mehr." Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem breiten Lächeln. Samu's Lippen nähern sich meinen. Heißer Atem auf meiner ohnehin schon erhitzten Haut. Gleich wird er mich küssen.. und meine Mutter wird Zeuge sein. Toll. Ich blende sie einfach aus. Durch sie werde ich mir nicht's mehr verderben lassen. Kurz darauf spüre ich seine weichen und leicht rauen Lieben auf meinen. Die zaghaften Versuche, das ganze nicht im leidenschaftlichen enden zu lassen, sind verdammt süß. Auch wenn sie gründlich fehlschlagen. Doch bevor uns tatsächlich die Sinne verlassen, reißt meine überaus reizende Mutter uns aus der wilden Knutscherei. "Ich könnte euch gar nicht trennen. Dafür seid ihr viel zu süß."

Nach einer äußerst langen Verabschiedung und dem Versprechen am nächsten Tag etwas gemeinsames zu unternehmen, sitze ich mit meiner Mutter in der Küche und packe meine Sachen aus, die Samu noch schnell vorbeibrachte. Dabei fällt auch das Geburtstagsfoto auf den Boden. "Samu wirkt nicht wie 38'. Ich kann nicht genau sagen warum, aber er hat diesen kindlichen Charme behalten. Wäre dein Vater nur auch so geblieben.." Sie seufzt kurz und wechselt schlagartig das Thema. "Will er wirklich wegziehen..?"

"Wer? Samu?"

"Wer sonst?"

"Woher weißt du das?"

"Ach, es spricht sich so einiges rum." Ich erzähle ihr von Samu's Wunsch, die Gerüchteküche zu beruhigen und sich etwas abzusetzen.

"Ich nenne es eine sinnvolle Idee, sonst hängt ihr bald nur noch zusammen." Ich nicke.

Eine Weile sprechen wir noch über den Tod meines Kindes. Meine Mutter ist sehr einfühlsam, was ich ihr nie zugetraut hätte. Ich erzähle mehr von Samu und warum er in meinen Augen Mr. Right ist, trotz des hohen Altersunterschieds. Nachdem wir diese Dinge geklärt haben haben, gibt es noch eine Frage die ich unbedingt stellen muss.. "Warum warst ausgerechnet du auf einem Flohmarkt?!"

"Ich wollte wissen, was die jungen Leute so interessant daran finden."

"Und? Weißt du es nun?"

"Der Flair verleiht dem ganzen einen Zauber den ich bis dahin nie für möglich gehalten hätte. Die Finnen sind wirklich nett, auch wenn sie allgemein für verschlossen und unnahbar gehalten werden. Schaut man sich Samu an erlebt man das komplette Gegenteil."

Meine Mutter bewegt sich mehr und mehr in die richtige Richtung.

TEACH ME / Samu Haber FF Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt