Auf anderen Wegen

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Samu:

Diese Stille. Wohltuend streift der Wind über meine nackten Schultern, weht mir durch die Haare und bringt sie durcheinander. Wie konnte dieser tolle Ort nur so in Vergessenheit geraten?! Nun stehe ich hier und lasse die Szenerie auf mich wirken. Atemberaubend, wie schön die schlichte Natur sein kann! Meine Arme auf dem Geländer verschränkt, stehe ich am Fuße einer wunderschön antiken Brücke und rühre mich nicht vom Fleck. Früher war ich oft hier. Als kleine Kinder spielten wir am unteren Ende des See's. Unsere ersten Dates und Verabredungen fanden ebenfalls an dieser Location statt. Es ist einfach toll nach dieser Zeit wieder an meine Erinnerungen zurück zu kehren. Lächelnd sehe ich zu Sanna, die wie ich ihren eigenen Gedanken nachhängt, während sie leise vor sich hin summt. Irgendwie wird sie mir immer sympathischer. Auch ihr Charakter scheint sich im Laufe der Zeit verändert zu haben. Anstatt mich wie früher einfach zu ignorieren versucht sie mich zu verstehen und mir zu helfen. Das rechne ich ihr hoch an, da ich in dieser Nacht noch einige Albträume durchlebte. Sie drehten sich alle nur um eine einzige Person. Evelyn.

"Hast du Tipps für mich?", frage ich schließlich in die Stille hinein.

"Samu, im Prinzip kann ich dir nicht's anderes sagen, was ein Ratgeber auch vorschlagen würde. Versteck dich nicht, sondern lenk dich ab! Mach alles das, was du längst mal wieder machen wolltest!"

"Und was?"

"Blöde Frage, echt. Stürz dich ins Leben, geh wieder feiern.. Schau dir ein Eishockeyspiel an. Mach. irgendwas. Ok?"

Ich nicke unentschlossen. Ohne Evelyn macht das alles keinen Spaß.

"Guck doch nicht so deprimiert." Sanft hebt sie mein Kinn an, sodass ich in ihre knallblauen Augen schauen muss.

"Weißt du was dein Problem ist?" Mit Schwung setzt sie sich auf's Geländer und lässt die Beine baumeln. Ich tue es ihr gleich und schüttele den Kopf.

"Du machst dich immer von einem bestimmten Menschen abhängig. Das ist nicht gut. Früher war es Mama, dann Lucy." Sie stockt. "Und jetzt diese Evelyn."

"Sie ist nicht diese Evelyn, sie ist toll, einmalig, hübsch, perfekt."

"Und 21 Jahre jünger als du. Samu, genau das selbe hast du von Lucy doch damals auch behauptet. Sie wäre die einzige, die richtige, die mit der du alt werden wolltest. Und was kam letztendlich dabei raus? Sie hat dich enttäuscht, mehr als nur einmal. Auch wenn ich das alles nur am Rande mitbekommen habe, da wir nur wenig Kontakt zueinander hatten, kann ich sagen, dass du dich viel zu sehr auf diese Person, in diesem Fall, Lucy fixiert hast. Das gleiche machst du jetzt mit Evelyn."

Ich runzle die Stirn. "Aber sie ist die Richtige."

"Versteh mich bitte nicht falsch, Samu. Doch schau mal: Dieses Mädchen ist 17 Jahre alt. Meinst du wirklich sie gibt sich mit einem 38 Jährigen ab? Die möchte doch ihr Leben leben und viel ausprobieren so wie wir es in diesem Alter auch getan haben! Hast du schonmal darüber nachgedacht, dass es ein Kick für sie sein könnte mit ihrem Lehrer auszugehen und vor ihren Freundinnen damit zu prahlen?"

Ihre letzten Worte hängen unausgesprochen in der Luft, ich lasse sie so stehen. Sanna hat keine Ahnung von unserer Beziehung. Wie kann sie es wagen überhaupt so etwas derartiges zu behaupten? Ich atme einmal tief durch. Das letzte was ich jetzt will, ist einen sinnlosen Streit anfangen.

"Danke für deine ehrliche Meinung Sanna, dass weiß meine Wenigkeit sehr zu schätzen." Ich setze ein Pokerface auf, damit sie meine wahren Gedanken nicht errät.

Sie prustet los. "Das war jetzt typisch Lehrer! Und so hochgestochen redest du mit deiner Schwester!" Drohend wedelt sie mit dem Zeigefinger vor meiner Nase herum.

Ich lasse mich nicht beeiren und fahre fort. "Was würde Frau Haber mir raten? Sollte ich die holde Geliebte in Deutschland aufsuchen oder mich bis zu ihrer Wiederkunft gedulden und meinen Allerwertesten in Finnland belassen?" Arrogant rücke ich meine imaginäre Brille zurecht und setze einen überheblichen Blick auf. Eigentlich ist mir nicht nach Scherzen zu Mute, deshalb werde ich schnell wieder ernst. Sanna greift nach meiner Hand und wischt sich ein paar Lachtränen weg.

"Flieg auf keinen Fall nach Deutschland! Nach allem was ich über ihre Eltern gehört habe hat dass gar keinen Sinn! Und dann wird dir der Abschied noch schwerer fallen.. Glaub mir! Ich kenne dich.."

"Aber sie hat bald Geburtstag!", werfe ich ein.

Sanna seufzt leise. "Mach was du denkst, doch sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt."

Sie lässt langsam meine Hand los und geht den Weg entlang. Ich sehe ihr hinterher und verweile noch einige Minuten an Ort und Stelle, während ich dem plätschern des Wassers lausche. Es ist wirklich ungemein beruhigend. Egal was Sanna davon hält: Spätestens an Evelyn's Geburtstag werde ich wieder bei ihr sein! Diese Erkenntnis zaubert mir ein kleines Lächeln auf's müde Gesicht. Das erste wirklich wahre Lächeln an diesem Tag.

Evelyn:

Hamburg. Mein Zuhause. Und doch irgendwie nicht. Ich befinde mich bei Lea. Eigentlich könnte ich glücklich sein. Schließlich war es das was ich wollte. Endlich wieder zuhause sein. Doch fühle ich mich hier gar nicht mehr heimisch, alles wirkt fremd und ungewohnt auf mich. Es ist komisch: Mein Gehirn denkt quasi auf Finnisch.. und doch muss ich jetzt wieder auf Deutsch sprechen. Das irittiert mich. Heute kommen ein paar Freunde. Weiß noch nicht ob ich mich darauf freuen soll. Vielleicht hilft es mir nicht ständig an Samu denken zu müssen. Liebeskummer.. es ist schon der gewohnte Alltag und doch macht es mich jeden Tag auf's neue fertig. "Evelyn." Ich erblicke Lea im Türrahmen. In der Hand hält sie ein Brot mit irgendeinem Aufschnitt. "Du musst etwas essen. Das kann doch nicht so weitergehen!" Wie ein kleines Kind verschränke ich trotzig die Arme vor der Brust und schüttele bestimmt den Kopf. "Bleib mir vom Hals mit diesem Teufelszeug!"

"Ach Evelyn." Sie tritt zu mir ans Bett und zieht die Tagesdecke glatt bevor sie sich zu mir setzt. "Seit wir hier sind isst du nicht's mehr. Was ist denn nur los? Soll es eine Art Protestaktion werden? Willst du damit erreichen, dass dich deine Eltern zurück nach Finnland lassen? Ich kann dir sagen, da beißt du bei denen auf Granit." Ich zucke entkräftet die Schultern. "Ich weiß es nicht." Lea seufzt. "Ich will allein sein." Mit einer schnellen Handbewegung gebe ich ihr zu verstehen, dass sie die Tür hinter sich zu ziehen soll. Sie lässt mich tatsächlich allein. Was Samu wohl gerade macht..? Es ist wirklich verrückt, 24 Stunden am Tag drehen sich meine Gedanken nur um ihn. Leise stehe ich auf und schalte das Radio an. Musik kann meine Wunden heilen. Zumindest ein bisschen.

... Ich fühl' mich jung und du dich alt
so fallen wir um,
uns fehlt der Halt
Wir müssen uns bewegen
Ich bin dafür, du dagegen
Wir gehen auf anderen Wegen

Mein Herz schlägt schneller als deins,
sie schlagen nicht mehr wie eins
Wir leuchten heller allein,
vielleicht muss es so sein....

Gespannt lausche ich den Tönen und stelle fest. Es passt perfekt. Irgendwie ist mir im Moment wieder alles egal. Ich renne rasend schnell zum Badezimmer und übergebe mich. Es ist total eklig, ich schwitze, der Schweiß tropft von meiner Stirn. Gleichzeitig ist mir kalt. Ich bräuchte jetzt Samu's Wärme. Erschöpft lehne ich mich gegen die Wand und habe noch lange den Songtext von Andreas Bourani im Kopf.

Vielleicht muss es so sein.

TEACH ME / Samu Haber FF Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt