Kapitel Eins

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Versuchszentrum von Hydra, Sokovia, 2014

Es fühlte sich an, als wäre ich aus einem tagelangen, furchtbar anstrengenden Traum erwacht, als ich endlich meine Augen öffnen konnte.

Im ersten Moment nahm ich nur das grelle, künstliche Licht wahr, das in meinen Augen stach, doch dann konnte ich langsam die Umrisse eines langen Korridors ausmachen, während mein Bewusstsein sich langsam aufklärte.

Erst als fremdartige Geräusche an mein Ohr drangen, drehte ich schließlich meinen Kopf, sodass mein Blick die gläsernen Käfige streifte, die zu meiner linken in die Wand eingearbeitet waren. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass darin auch noch Menschen saßen, die mich ansahen, als wüssten sie nicht so recht, wer oder was ich war. Und ehrlich gesagt hätte ich ihnen diese Frage auch im Moment nicht beantworten können, denn mein Kopf war leer gefegt und ich fühlte mich, als hätte man mir meinen Sinn für mein Selbst geraubt, denn zwar konnte ich Faktenwissen wie das Einmaleins oder die Namen der amerikanischen Bundesstaaten abrufen, doch mein Name oder sonstige Informationen über mich blieben mir vollkommen verwehrt.

Erschrocken zuckte ich zusammen, als einer der Insassen dieser Glaskäfige auf einmal auf die Beine kam und mit weit aufgerissenen Augen gegen die Scheibe hämmerte, während er mich verzweifelt anstarrte.

Natürlich war mir bewusst, dass er wollte, dass ich ihn dort heraus holte, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Dennoch rappelte ich mich auf, um zu ihm zu gehen und die Tür anzusehen, die mit einem elektrischen Touchscreen gesichert war, auf der Ziffer von 0 bis 9 abgebildet waren. Gerade als ich meine Hand ausstreckte, um wenigstens zu versuchen, den richtigen Code einzugeben, spürte ich ein sonderbares Kribbeln in meinem Kopf, bevor ich nur noch eine leise Stimme wahrnahm, die mich aufforderte, zu ihr zu kommen.

Wie in Trance befolgte ich ihren Befehl und hastete blind den Gang entlang, bis ich automatisch vor einer Glaszelle stehen blieb, in der eine junge Frau mit braunen Haaren saß, aus deren Hände eine rote, neblige Substanz zu quillen schien, die mein Gehirn nicht wirklich als irgendwas einordnen konnte, das ich jemals zuvor gesehen hatte.
Sobald sie jedoch aufsah und mich erblickte, versickerte das rote Gas und sie sah mich erschrocken an, wobei sie leicht zurückwich.

Anders als beim letzten Mal fühlte ich jedoch dieses Mal, dass ich ihr helfen konnte und musste, weshalb ich näher ans Glas trat und dabei meine Hände hob, um zu symbolisieren, dass ich in Frieden kam. Als sie jedoch nicht wirklich weniger verstört von mir aussah, legte ich eine Hand auf die Scheibe und formte dabei die Worte "Ich bringe dich hier raus" mit meinen Lippen, bis sich ihre Mimik entspannte und sie mich mit aufflammender Hoffnung in den Augen ansah.

Einen Moment lang war ich mir nicht sicher, was ich nun tun sollte, da ich immer noch keine Ahnung hatte, wie die Zellencodes lauteten, doch bevor ich mir selbst eine Lösung hätte überlegen können, vernahm ich wieder dieselbe Stimme in meinem Kopf, nur dass sie dieses Mal eindeutig zu der Frau gehörte, die in der Zelle ihre Augen zusammengekniffen hatte und konzentriert ihre Lippen bewegte.

"Ich kenne den Code, ich habe schon oft genug gesehen, wie er eingegeben wurde", erklärte mir die Stimme leise und obwohl die Worte für mich keinen richtigen Sinn ergaben, nickte ich und trat vor den Touchscreen, um zu zeigen, dass ich bereit war. Wieder dauerte es etwa den Bruchteil einer Sekunde, bevor ich ihre etwas trockene Stimme wieder glasklar in meinem Geiste hören konnte, die mir die Ziffern diktierte.

Mit leicht zitternden Händen tippte ich die Zahlen ein, bis ein leises Brummen erklang und sich die Tür von außen öffnen ließ.

Gleichzeitig sahen wir beide einander an und für einen Moment lang spürte ich, wie sich auf unserer beider Gesichter ein Lächeln bildete, doch dann ertönte auf einmal ein lautes Piepen und der Gang wurde in rotes Licht getaucht.

Die Frau fluchte ich einer mir unbekannten Sprache, bevor sie zu mir hastete und etwas unsanft meinen Arm packte.

"Das ist der Alarm. Scheinbar wurde irgendwie bemerkt, dass die Zelle ohne Genehmigung geöffnet wurde. Uns bleibt nicht viel Zeit, bevor sie hier sein werden", erklärte sie mir mit einem starken Akzent, während ich sie einfach nur ansah und versuchte all die Informationen in meinem Kopf zu verarbeiten.

Ich hatte zwar immer noch keine Ahnung, was das für ein Ort hier war oder wer diese Leute waren, die auf dem Weg hierher zu sein schienen, doch mir war bewusst, dass es nicht nach etwas klang, das man anstreben sollte.

"Kennst du den Weg zum Ausgang?", wollte ich daher wissen, weshalb sie kurz nickte, dann jedoch verzweifelt den Kopf schüttelte.

"Ja, schon, aber wir müssen noch Pietro befreien!", bemerkte sie eindringlich und bevor ich fragen konnte, wer das denn nun wieder war, deutete sie auf die Zellen eben der, aus der sie gerade entkommen war.

 Bis jetzt hatte ich ihr keine Beachtung geschenkt, doch als ich den Augen des Insassen begegnete, überlief mich automatisch ein warmer Schauer. Bevor ich jedoch Zeit hatte, ihn genauer zu betrachten oder darüber nachzudenken, hörte ich bereits laute Schritte, die sich hastig näherten.

"Kannst du die Wachen aufhalten, damit ich Pietro befreien kann?", erkundigte sich die braunhaarige Frau neben mir hoffnungsvoll, weshalb ich verwirrt den Kopf schüttelte.

"Wie soll ich sie denn aufhalten?"

Erstaunt sah sie mich an, ließ ihren Blick kurz über mich gleiten, bevor sie weiter nachhakte: "Hast du etwa keine Fähigkeiten? Ich dachte, du wärst auch eins von den..."

Mir blieb das Antworten sowie das Wissen, was sie genau sagen wollte, erspart, da einige fremde Männer in diesem Moment um die Ecke bogen und alarmiert auf uns zeigten. Bei dem Anblick der Taser und Pistolen, die sie in ihren Händen hielten, wurde mir ganz flau im Magen.

"Ich kümmere mich darum", versicherte mir die Frau angespannt, "versuch einfach Pietro da rauszuholen!"

Mit diesen Worten rannte sie auf die Wachmänner zu und fegte sie mit einer einfachen Handbewegung und einem Schwall des roten Lichts um, während ich etwas verängstigt von der ganzen Situation zu dem Schloss stolperte und dabei den Insassen der Zelle, der scheinbar dieser Pietro war, genau im Auge behielt.

Zu meinem Glück schien dieser zu verstehen, was ich vorhatte, denn er trat direkt an das Glas und begann mit seinen Fingern verschiedene Zahlen darzustellen. Hektisch tippte ich diese ein, bis sich das Schloss endlich nach einer gefühlten Ewigkeit öffnen ließ.

Als ich Pietro jedoch aus der Zelle helfen wollte, spürte ich nur eine Art gewaltigen Windstoß neben mir und ehe ich mich versah, war seine Zelle bereits leer, weshalb ich mich ziemlich sprachlos umsah und ihn schließlich am anderen Ende des Ganges entdeckte, wo er gerade seine vorherige Zellnachbarin am Arm hielt, die er anscheinend aus einer Gefahrenzone gezogen hatte.

Was ging hier nur vor sich?

Wer waren diese Menschen und wieso konnten sie solche Dinge tun?

Mein Gehirn war im Moment einfach zu überfordert, um irgendwelche Schlüsse zu ziehen oder die Lage vollkommen zu verarbeiten.

"Komm schon, Wanda, wir müssen hier raus, bevor noch mehr Wachen auftauchen", hörte ich Pietro in diesem Moment sagen, wobei ich bemerkte, dass er Wanda gefolgt war (zumindest erschloss ich mir, dass das ihr Name sein musste), die in der Zwischenzeit wieder zu mir getreten war.

"Bring erst sie hier raus", wies die Braunhaarige Pietro an und deutete dabei auf mich, weshalb ich mich etwas fehl am Platz fühlte, da ich scheinbar kein Teil dieser Unterhaltung war.

"Ich kann dich hier nicht einfach allein lassen", hielt er entgegen, besaß jedoch immerhin den Abstand mich dabei entschuldigend anzusehen und mir ein Lächeln zu schenken, "Ich werde dich sofort abholen, wenn ich Wanda abgesetzt habe."

"Ich kann auch einfach alleine hier raus gehen", schlug ich vor, um den Streit zwischen den Beiden zu beenden, allerdings schenkte mir niemand wirklich Beachtung.

"Pietro, ich kann die Wachen auch allein aufhalten, sie hat nicht mal Kräfte. Willst du, dass sie gefangen genommen wird, nachdem sie uns gerettet hat?", hielt Wanda standhaft dagegen und schob mich dabei mehr oder weniger sanft auf den jungen Mann zu, der aufseufzte und dann leicht nickte, bevor er mich zu meinem Überraschen hochhob und mir ein schiefes Grinsen schenkte.

"Also, dann halt dich mal besser gut fest!"

Immer noch überrollt von all dem kam ich einfach seiner Anweisung nach, indem ich meine Arme um ihn schlang und mich dabei fest an seinen Körper drückte.

Im nächsten Moment verschwamm alles um mich herum, während mir eine Art Fahrtwind ins Gesicht peitschte und mich dazu zwang, meine Augen zu zudrücken.

Es dauerte nur einige Sekunden, dann kamen wir zum Stehen und diese seltsamen Empfindungen nahmen ab, während Pietro mich sanft auf einem Grashügel absetzte und mich kurz besorgt musterte.

Waren wir etwa wirklich gerade in Lichtgeschwindigkeit hierher gerannt?

Am Liebsten hätte ich mich gekniffen, um zu überprüfen, ob das alles hier nur ein Traum war.

"Alles gut?", erkundigte sich Pietro knapp, aber ehrlich.

Ich zwang mich zu einem Nicken, das er seinerseits schnell erwiderte, bevor er sich umdrehte und vor meinen Augen zu einem blauen Lichtblitz verschwand, der sich in waghalsiger Geschwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung bewegte.

In was für einem Fiebertraum war ich hier nur gelandet?

Völlig fertig ließ ich mich auf das Gras fallen und schlang meine Arme um meine Knie, um mir ein Stück Halt zu geben.

Für einen schrecklich kurzen Moment genoss ich diese Stille, dann war Pietro bereits zurückgekehrt, wobei er Wanda fast auf dieselbe Weise wie mich zuvor absetzte und dabei leicht keuchte, was ich ihm nicht verübeln konnte, nachdem ich gesehen hatte, was für abgedrehte Stunts er hier gerade veranstaltet hatte.

Unterdessen drehte sich Wanda zu mir und ich spürte, wie sie zu einer Frage ansetzen wollte, doch dieses Mal kam ich ihr zuvor, denn in genau diesem Moment brachen all die Dinge, die ich bis jetzt einfach hingenommen oder akzeptiert hatte, über mir zusammen und ich konnte nicht weiter nur schweigen und abwarten, bis mir jemand Antworten liefern würde.

"Wer seid ihr? Was war das für eine komische Anstalt da unten und wieso waren diese Leute so wütend auf euch? Wieso haben die euch einfach eingesperrt? Was waren das für seltsame Tricks, die ihr da abgezogen habt? Und wieso bin ich hier? Was ist...?"

"Woah, woah, woah",unterbrach Pietro mich mit einer Mischung aus Verwirrung, Besorgnis und Belustigung in seinem Gesicht, "Du hast ja bald mehr Tempo drauf als ich."

"Außerdem sollten wir eher dir all diese Fragen stellen, immerhin bist du auf einmal im Hydra Geheimquartier aufgetaucht und hast uns befreit, ohne dass wir dich kennen." Wanda stockte kurz und fügte dann hinzu: "Wofür wir dir dennoch sehr dankbar sind."

"Was ist Hydra?", fragte ich weiter, weshalb Pietro und Wanda vielsagende Blicke austauschten, die ich jedoch nicht richtig deuten konnte.

"Was, wenn das ein Trick ist?", flüsterte Pietro, sprach dabei jedoch so laut, dass ich es dennoch hörte, was meine Anspannung nicht wirklich senkte.

"Ich bin mir vollkommen sicher, dass wir ihr trauen können", hielt Wanda mit einem Kopfschütteln dagegen, "ich kann es spüren."

Bemerkten sie eigentlich nicht, dass ich auch hier war? Oder dachten sie, es wäre mir egal, dass sie direkt vor mir über meine möglichen Motive rätselten?

Vielleicht fehlte ihnen aber auch wirklich nur die Fähigkeiten, richtig zu flüstern.

Ich bemerkte, wie Pietros Blick abschweifte und er zurück in die Richtung spähte, aus der wir gekommen waren, wobei sein Blick deutlich besorgter wurde.

"Wir können nicht lange hier bleiben, sie werden uns sicher bald suchen", bemerkte er dabei, bevor er seine blauen Augen auf mich richtete. Dabei war seine Mimik so eindringlich, dass ich mich fühlte, als würde er direkt in meine Seele blicken wollen.

"Ich frage dich das jetzt nur einmal: Arbeitest du für Hydra? Oder hast du sonst irgendwelche Motive, die sich gegen uns richten?"

Am liebsten hätte ich ihm mitgeteilt, dass ich mich hier nicht rechtfertigen musste und auch wie gesagt keine Ahnung hatte, wovon sie da sprachen, doch ehrlich gesagt hatte ich selbst etwas Angst vor diesen gruseligen Wachmännern, die uns auf den Fersen zu sein schienen und diese Beiden könnten vielleicht meine einzige Hoffnung auf Flucht sein, wenn man bedenkt, dass ich mich selbst ziemlich plan- und hilflos fühlte.

"Nein", antwortete ich deshalb einfach, woraufhin Pietro Wanda einen Blick zu warf, welche meine Aussage mit einem Nicken bestätigte.

"Sie sagt die Wahrheit."

So richtig wusste ich zwar nicht, woher die Braunhaarige das wissen wollte, aber ich war froh, dass man mir wenigstens glaubte.

"Gut, dann ist das erst mal alles, was wir wissen müssen. Den Rest besprechen wir später", beschloss Pietro, während er sich in Bewegung setzte, sich dann aber doch noch umdrehte, "Ich bin Pietro und das ist meine Schwester Wanda. Wenn du nicht mit Hydra arbeitest, wäre es wohl am besten, wenn du erst mal mit uns kommt."

// Wie findet ihr das erste Kapitel? Welche Frage, die noch offen geblieben ist, macht euch am Neugierigsten?//

Divided Worlds (Pietro Maximoff/Quicksilver Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt