Kapitel Siebzehn

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Mörder.

Es war ein schreckliches Wort, das in mir einen Wirbelsturm aus schrecklichen Gefühlen auslöste. Ekel. Wut. Trauer. Entsetzen. Angst. Schuld, unendlich viel Schuld.

Wochenlang hatte ich nun versucht, meine Identität zu erkunden und das Geheimnis meiner eigenen Geschichte aufzudecken und nun, wo ich endlich das Gefühl hatte, eine Erkenntnis über mich Selbst zu finden, war es dieser Begriff, den ich in meinen verschütteten Erinnerungen fand und der mir trotz seiner brutalen Bedeutung überhaupt nicht fremd war. Stattdessen fühlte er sich an, als wäre er schon hundertmal über meine Zunge geglitten, als wäre der Geschmack dieser Buchstaben schon ebenso vertraut wie mein eigener Name. Und obwohl ich keine Ahnung hatte, woher diese Gewissheit kam, spürte ich mit einer entwaffnenden Sicherheit, dass ich nicht jemand anderen, jemand fremden, dessen Schicksal mich nicht interessieren musste, sondern ganz alleine mich selbst schon so unzählige Male mit dieser Bezeichnung betitelt hatte.

Ich hatte absolut keine Vorstellung, ob es schlimmer oder besser war, dass ich den genauen Kontext, die Vorgeschichte und alles andere nicht kannte, dass mir selbst jetzt alles, bis auf dieses winzige, aber unendlich schwere Detail, unbekannt blieb. Einerseits fühlte es sich schrecklich an, nicht zu wissen, was ich noch alles getan hatte, was für eine Art von Mensch ich war und wozu ich fähig war. Andererseits wusste ich wirklich nicht, ob ich die wahre Grausamkeit meiner dunklen Ahnung erfahren wollte, da ich immer noch verzweifelt versuchte, mir einzureden, dass es nur ein Trugschluss war.  Alles, was ich im Moment wusste, war, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass es viel schlimmer werden konnte.

Während ich krampfhaft versuchte, mich zurück in die Realität zu reißen, um nicht von den Wellen des Selbsthasses herab in die Tiefe gerissen zu werden, weil ich mir ehrlich nicht sicher war, ob ich die Kraft hätte, mich dagegen zu wehren und wieder aufzutauchen oder ob ich es einfach geschehen lassen würde, schlang ich meine Arme noch enger um meine Beine und starrte hinauf in den Nachthimmel, wobei ich mir hoffte, heute würde die Dunkelheit für immer bleiben, damit ich auf ewig alleine hier draußen sitzen könnte, ohne irgendetwas davon tatsächlich irgendwas konfrontieren zu müssen, dass sich außerhalb meiner Gedanken befand, die sich wieder dunkle Gewitterwolken in meinem Kopf angespart hatten.

Doch scheinbar gönnte mir das Schicksal nicht mal dies, denn noch, bevor ich diesen Wunsch ganz zu Ende gedacht hatte, öffnete sich die Tür der Unterkunft, vor deren Bank ich mich nach meinem nächtlichen Spaziergang und meiner plötzlichen Erkenntnis fallen gelassen hatte. Sofort sprang ich auf, wobei meine Gelenke widerstrebend mit einem Knirschen protestieren, und wandte mich ab, in der Hoffnung noch schnell vor der Gesellschaft der austretenden Person retten zu können, von der ich hoffte, dass es jemand fremdes wäre. 

Stattdessen wurde meine Flucht jedoch von einer sehr sanften, hochgradig besorgten Stimme gestoppt, die leise meinen Namen rief.

Noch ein letztes Mal überlegte ich, ob ich dennoch einfach wegrennen sollte, entschied mich jedoch gegen diesen irrationalen Gedanken, da mein Gesprächspartner mich sowieso mühelos aufhalten können würde, also drehte ich mich fast schleichend wieder um und blickte Wanda wortlos an, die im Eingang der Unterkunft stand und mich erschrocken ansah, vermutlich weil ich sicherlich nicht viel besser aussah, als ich mich fühlte.

Ich sah ihr an, dass ich nicht die Einzige war, die im Moment kein Wort mehr herausbrachte, obwohl sie sich sichtlich bemühte, darum setzte sie sich schließlich in Bewegung, erst wie in Zeitlupe, dann fast rennend, bis sie endlich bei mir ankam und mich ohne Zögern in eine Umarmung zog. Es hatte nichts mit einer flüchtigen Begrüßungsumarmung zu tun, stattdessen hielt sie mich mit aller Kraft fest, als wollte sie mich davor bewahren auseinander zu brechen und nach einem kurzen Moment der Bewegungslosigkeit brach jeder Widerstand in mir zusammen, während ich ebenfalls meine Arme um sie schlang und sie so fest drückte, dass ich Angst gehabt hätte, ich würde ihr alle Rippen brechen, hätte ich klar denken können, dennoch beschwerte sie sich nicht und so vergrub ich meinen Kopf in ihrer Schulter und hoffte, die befreienden Tränen würden kommen, damit ich mir das Gewicht meiner Emotionen aus der Seele weinen konnte.

Divided Worlds (Pietro Maximoff/Quicksilver Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt