- Kapitel 6 -

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Während der Autofahrt lasse ich alles Revue passieren. Was ist da gerade passiert? Ich habe mir geschworen, ich werde niemals etwas mit einem Footballspieler anfangen. Siehe da, wo ich jetzt bin.

Der Taxifahrer lässt mich vor der Eingangstür raus und ich gebe ihm noch etwas Trinkgeld. Oben angekommen, quäle ich mich aus diesen schmerzenden Schuhen. Fuck, ich komme immer noch nicht darauf klar. Soll ich ihm jetzt wirklich schreiben oder soll ich so tun als hätte ich es vergessen? Ganz klar, ich schreibe ihm nicht.

Ich schminke mich ab, putze mir die Zähne und zwänge mich anschließend aus den Klamotten raus. Die Kraft um meinen Pyjama anzuziehen habe ich aber nicht mehr, also lege ich mich in Unterwäsche ins Bett. Mit meinem Handy in der Hand liege ich also da. Die Instagram-App ist geöffnet. Mein Handy vibriert. Jemand neues folgt mir. Ich schaue rein. Das ist doch ein Witz. @the.real.martinez folgt mir jetzt. Ich folge natürlich nicht zurück, er soll sich bloß nichts einbilden.

Die Uhr auf meinem Nachttisch zeigt schon halb 2 und ich merke wie meine Augen immer schwerer werden.

Am nächsten Morgen wache ich durch die laute Musik, die aus der Küche kommt, auf. Ich habe tatsächlich mal gut geschlafen. Endlich Wochenende. Mein Terminkalender zeigt mir drei Ereignisse an: 1. Mit Franny einkaufen gehen. 2. Zur Poststelle fahren und Trishs Geburtstagsgeschenk losschicken. 3. Die Atelier-Ausstellung von Mr. Bailey um 19 Uhr. Apropos Bilder. Gestern habe ich auf der Party mit Franny ein tolles Selfie gemacht, welches ich jetzt auch gleich poste. Hashtag Bestie und gepostet.

Ich stehe auf. Die Sonne scheint direkt in mein Zimmer. Durch die Tür zum Flur bekomme ich Frannys Telefonat mit. Sie telefoniert bestimmt mit ihrer Verwandtschaft, denn dann erhebt sich ihre Stimme um drei Oktaven. In der Küche angekommen nehme ich mir einen Kaffee und mache die Musik leiser. Sie deutet auf die Bagels auf dem Tisch, die sie großzügiger Weise mit Frischkäse bestrichen und Lachs belegt hat. Danke Gott, dafür dass du Francesca in mein Leben gebracht hast. Obwohl sie gestern so viel getrunken hat, scheint sie top fit zu sein. Sie legt auf und setzt sich zu mir. „Was ist das mit dir und Martinez, Rachel? Du weißt doch was für ein Typ er ist...", beginnt Franny das Gespräch. Ich nicke verständnisvoll. Ja und genau deswegen ist es so schlimm. Ich weiß es und ich stehe trotzdem auf ihn. „Ja, mach dir keine Sorgen, ist nichts Ernstes mit ihm", versichere ich ihr. Ich versuche es mir selber einzureden. Langsam glaube ich mir selbst und das ist auch gut so. Ich esse mein Bagel auf und vereinbare mit Franny, dass wir dann in einer Stunde zum Einkaufen aufbrechen. Mit dem Kaffee in der Hand gehe ich wieder rüber in mein Zimmer und mache mich fertig. Pünktlich um 11:30 Uhr starten wir.

Nachdem Franny den halben Laden ausgeräumt hatte, fahren wir direkt nach Hause. Während sie mir erzählt, was sie und Marco gestern Abend gemacht haben, konzentriere ich mich auf mein Handy. Ich habe eine E-Mail. »Sehr geehrte Rachel Fisher, bitte achte heute Abend auf den Dresscode, da es parallel auch eine Auktion ist und die Gäste heute Abend nicht nur Künstler sind. Bis heute Abend. Mit freundlichen Grüßen, Logan Bailey.« Na super. Zuhause angekommen, stöbere ich durch Frannys Schrank und werde fündig. Ein schönes weißes, enganliegendes Kleid mit langen Ärmeln. Das muss passen.

Ich arbeite noch ein wenig an meiner Dalí-Hausarbeit und schaue auf die Uhr. Schon 16 Uhr. Die Poststelle ist zum Glück nicht so weit. Während ich das Geschenk einpacke, vibriert mein Handy. @the.real.martinez:

»Hallo meine Schöne, hast du mich etwa vergessen? Dein neues Bild gefällt mir. Bekomme davon Flashbacks vom vorherigen Abend...«

Schön wär's! Ich hätte dich gerne vergessen. Und dieser Benutzername. Ich muss lachen, weil ich ihn auf jeden Fall deswegen nochmal aufziehen werde.

»Nein. Ich habe dich nicht vergessen Aiden. Ich hatte nur viel um die Ohren.«

Warum rechtfertige ich mich überhaupt. Sein Instagram-Profil ist geschmückt von vielen Spiegel-Selfies und wer hätte es gedacht: oberkörperfrei - natürlich. Ich lege mein Handy weg und laufe auch schon runter zum Auto. Mir kommt Abby entgegen, in den gleichen Klamotten wie gestern. Sie hat anscheinend nicht hier geschlafen. Sie fühlt sich ertappt und grinst mich doof an. „Jaja, darüber reden wir nochmal!", rufe ich ihr hinterher, bevor ich einsteige. Nach zwei Minuten bin ich an der Poststelle und versende das Paket nach Pittsburgh, in Pennsylvania – zu mir nach Hause. Von meinen Eltern habe ich seit dem Tag, an denen sie herausgefunden haben, dass ich nicht mehr Psychologie studiere, nichts mehr gehört.

Ich springe unter die Dusche und rasiere meine Beine. Das weiße Kleid steht mir super. Der Rücken ist frei. Meine Haare mache ich mir zu einem tiefen Dutt. Mein Make-Up ist heute etwas dunkler und mein Lippenstift feuerrot. Ich fühle mich sexy. Im Flur steht ein großer Spiegel, den ich sofort für meine Selfie-Session ausnutze. Ich poste ein Foto von mir in diesem Outfit in meine Story. Tja, Martinez.

Ich fahre zur Ausstellung. Das Atelier ist direkt an der Kunstschule. Die Lichter sind gedämmt und die Leute sehen alle sehr gebildet aus. Ich gehe durch die große Tür und gebe meine Jacke und mein Handy an der Garderobe ab. Ein Kellner drückt mir einen Sekt in die Hand. Es läuft Jazzmusik. Ich schlendere durch den Raum und spüre die Blicke auf mir. Was die wohl denken? Dass ich heiß aussehe, ganz klar.

Ein Bild erregt meine Aufmerksamkeit. Ich bleibe davor stehen und schaue es mir aus der Nähe an. „Schnupperst du etwa an dem Gemälde?" Ich schrecke auf. Es ist Bailey. Ich mache zwei Schritte zurück und fasse mir auf mein Herz. Entweder schlägt es schneller, weil er mich zu Tode erschrocken hat oder weil seine beige Hose und das weiße Hemd unverschämt gut an ihm aussehen. Dieser Mann weiß was ihm steht.„Oh, hallo Mr. Bailey", schaue ich ihn unschuldig an. Er räuspert sich kurz: „Nenn mich hier bitte einfach nur Logan."  Und wie gerne ich dich so nenne. „Ich habe vorhin nach der Pinselausführung geschaut, aber falls dich das interessiert Logan, die Ölfarben duften ziemlich gut." Er schmunzelt ein wenig, weil er keine Antwort auf seine rhetorische Frage erwartet hat. Ich lache deswegen auf und er gleich mit.

Den ganzen Abend über unterhalten wir uns und ich habe mich lange nicht mehr so gut mit jemandem verstanden. Ab und zu ertappe ich ihn dabei wie er mit seinen Augen mein enges Kleid einstudiert. Ach Logan. Während wir uns über Gott und die Welt unterhalten, merke ich seine Blicke. So intensiv, als könnte er meine Gedanken lesen. Hier läuft etwas und ich habe Gefallen daran.

Ein Kellner läuft an uns vorbei und Logan schnappt sich zwei Gläser. Wohlwissend, dass ich noch keine 21 bin, reicht er mir grinsend das Glas.

„Was genau gefällt dir an dem Bild? Ich habe dich beobachtet, du hast alle anderen keines Blickes gewürdigt, aber bei dem bist du abrupt stehen geblieben. Wieso?", fragt er ernst.

Ich schaue auf das Bild und dann in seine Augen. Sie strahlen heute besonders blau. Ich merke, dass das Bild mich traurig macht. „Es erinnert mich an meine Kindheit. Wie ich meinen Bruder verloren habe, als ich 13 war." Das Bild zeigt einen Jungen, alleinsitzend auf einer Schaukel, die an einem Baum befestigt ist. Mein Bruder Adam nahm sich das Leben. Mit gerade mal 17 Jahren. Er hat den Kampf gegen die Depressionen verloren." Logans Miene verfinstert sich ein wenig. Ich würde gerne wissen was er denkt.

Er nimmt meine Hände in seine und schaut mir in die Augen

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Er nimmt meine Hände in seine und schaut mir in die Augen. Ich könnte schwören, dass in diesem Moment ein Funke übergesprungen ist. „Mein Beileid, Rachel. Ich hoffe du weißt, dass du dafür nichts kannst. Du bist eine sehr starke Frau - vergiss' das bitte nicht.", teilt er mir mit. Ich bedanke mich. Als ich gerade das Thema wechsele, werden wir von einer Frau gestört, die ihm etwas ins Ohr flüstert. Er entschuldigt sich bei mir und lässt mich stehen.

Ich gehe zum Buffet rüber und merke wie verdammt nah sich Logan und diese Frau sind. Er hat den Arm um ihre Taille. Ich werde wütend. Ist er etwa verheiratet?

Picasso am MorgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt