Magnus und Alexander und die Tücken des Alltags

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Nicht Alexander suchte einen Weihnachtsbaum für das bevorstehende Fest aus, sondern ich. In Begleitung seines Schwagers, unter neugierigen Blicken und einem brüderlichen, Schulterverabschiedungsklopfen. Nachdem Alexander und ich uns minutenlang schweigend ansahen, sanfte Küsse austauschten und einfach den letzten Moment genossen, setzte er mich irgendwann in das versprochene Taxi. Der freundliche ältere Herr wechselte ein paar schnelle Worte mit meinem Freund, sprach über seinen Sohn und den Heilungsprozess des malträtierten Handgelenkes und brachte mich dann auf direktem Wege zum Restaurant von Alexanders Schwager. Raphael war leicht irritiert als er mich sah, erkannte aber bald worum es ging und winkte mich in das warme Innere seines schicken Restaurants. Das Alexander unerwartet einen Anruf vom Krankenhaus bekommt ist nicht ungewöhnliches.

Auf unserem Weg durch die verschneiten Straßen erzählte er von einigen Begebenheiten, in denen ein Anruf den Abend abrupt enden ließ oder auch erst gar nicht stattfand. Alexander ist Arzt mit Leib und Seele, das Wohl seiner Patienten liegt ihm am Herzen. Er gibt immer hundert Prozent, ist geschätzt bei den Kollegen, die Schwestern und Pfleger arbeiten gerne mit ihm zusammen. Raphael hatte einiges zu berichten. Über ihren gemeinsamen Trip nach Indonesien, wie sie um Jace bangten jedesmal wenn er zu einem Einsatz über den Ozean musste. Charlotte nach einer gefühlten Ewigkeit und einem raschen Kaiserschnitt endlich im Kreise der Familie begrüßen konnten. Raphael redete viel, übers kochen, das Essen in Indonesien, das kalte Wetter in New York und wie sehr er es hasste diesen monströsen Weihnachtsbaum jedes Jahr aufs neue in Alexanders Appartement zu schleppen. Erschrocken sah er mich an, versuchte eine geeignete Rechtfertigung zu erstammeln und ich versprach ihm nichts zu verraten. Erleichtert klopfte er mir auf die Schulter und sagte: "Du bist in Ordnung Magnus. Endlich mal jemand der Alec zum Lächeln bringt. Das habe ich vermisst. Und dieses Baumgeschleppe mache ich nur für meine bezaubernde Frau und ihren charmanten Bruder. Sie lieben Weihnachten und es bringt sie ihren Eltern näher. Weißt du das die beiden schon lange verstorben sind?" Ich nickte und erzählte ihm kurz von unserem Date. Keine Details, nur das wir auch über unsere Familien sprachen und einen wirklich tiefen Einblick in die Vergangenheit des jeweils anderen bekamen.

Das Grinsen welches ich seit Alexanders Worten auf meinem Gesicht trug wollte einfach nicht verschwinden. Raphael entging dies nicht und so wurde unser Ausflug in den Wald ein paar Straßen von Alexanders Appartement entfernt ein wahres Erlebnis. So viele Bäume. Klein, groß, noch größer. Dicker Stamm, spitze Nadeln, dünner Stamm und krumm wie eine Banane. Nachdenklich gingen wir zwischen den verschiedenen Bäumen hindurch. Analysierten gemeinsam, verwarfen synchron eine windschiefe Tanne und als ich schon glaubte, Alexander enttäuschen zu müssen, stand er plötzlich vor mir. Dunkles duftendes Tannengrün, dichter Bewuchs, verzweigte Äste und kerzengerade. Das war er. Ein Weihnachtsbaum wie er im Buche stand, wunderschön und kraftvoll. Spätestens da freute ich mich auf die geschmückte Pracht, die glitzernden Lichtpunkte und farblich abgestimmten Kugeln. Zuckerstangen und ein Stern auf der Spitze des Baumes. Raphael seufzte als er die kleinen Herzchen in meinen Augen sah. Der Baum hatte ein beachtliches Gewicht, eine stattliche Größe und ermöglichte mir einen kleinen Moment der Schadenfreude. Raphael fluchte auf spanisch, ich verstand nicht ein Wort. Doch nach Beendigung seiner Attacke dem Baum gegenüber sah er mich an und nickte. "Er ist perfekt. Aber du hilfst mir dabei das Ungetüm in die Wohnung zu bekommen. Ich hoffe Alec hat den Ständer bereits hingestellt. Dann können wir das Ding gleich zum aushängen aufstellen und ich muss ihn mir erst wieder geschmückt ansehen."

"Aber natürlich", antwortete ich fröhlich und so kam es, dass zwei nicht gerade große starke Männer einen gigantischen Tannenbaum durch die Straßen von New York schleppten. Wir schwitzten und keuchten, Raphael fluchte und ließ sich erschöpft auf das Sofa fallen als der Baum endlich an seinen für ihn vorgesehenen Platz stand. Ich ging in die Küche, setzte Wasser auf, angelte zwei Tassen aus dem oberen Schrank und entschied mich für zwei Beutel fruchtigen Kirschtee statt Ingwer. Raphael beobachtete mich skeptisch. Ich spürte seine Blicke in meinem Rücken, aber er sagte nicht ein Wort. Der Anblick eines anderen Mannes welcher wie selbstverständlich in Alexanders Küche hantiert ist sicher ein seltener Anblick. Zumindest wenn ich dem Glauben schenke, was Alexander mir erzählt hat. Höflich bedankte er sich als ich ihm die dampfende Tasse entgegen hielt. Auch wenn die Schwere des Baumes und der Weg bis zu seiner Pracht unsere Leiber ziemlich erhitzte, so ist eine heiße dampfende Tasse Tee doch immer eine Wohltat. Ich hoffte Raphael sah das genauso. Oder trank er lieber Kaffee? Doch bevor ich ihm diese Frage stellen konnte, richtete sich seine gesamte Aufmerksamkeit auf mich und dem schillernden Mal auf meiner Stirn.
"Was ist passiert? Als ihr gestern Abend das Restaurant verlassen habt, hattest du noch kein Pflaster", fragte er interessiert und ich stöhnte genervt.

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