05. Knapp

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Vor der dunklen Mauer des Gebäudekomplexes, die euch den Weg versperrt, bleibt ihr stehen und Ryuto dreht sich halb zu dir um. Das geringe Licht wirft Schatten auf sein Gesicht und seine komplette Kieferpartie ist angespannt, während er zu dir schaut und gleichzeitig nervös an seinem Oberteil nestelt.

„Ich hoffe, dein Plan ist gut", murmelt er und ausnahmsweise begleitet kein neckischer Unterton seine Worte.

„Natürlich." Bewusst verbirgst du sämtliche Unsicherheiten hinter einer stoischen Maske und reckst selbstbewusst dein Kinn.

Du bist keine gelernte Statikerin, allerdings ist es offensichtlich, dass die Wand vor euch die Deckenlast abfängt und trägt. Aus der kurzen Entfernung ist es dir nicht möglich, ein präzises Loch in sie zu schießen, welches keinen Einsturz gefährdet. Durch die Explosion und die äußeren Einflüsse der zwei Jahrhunderte wird das Fundament stark beschädigt sein und allein die Vibrationen oder die Druckwelle provoziert einen Zusammenfall.

„Spreng mit Dragonis ein Loch in die Wand und spring hindurch. Ich fang mit Hippogryph die Trümmer ab und komm sogleich nach", weist du ihn an und machst einen großen Schritt zurück.

„Spinnst du?" Widersprechend schüttelt Ryuto mehrmals seinen Kopf und er wird automatisch lauter. „Das schaffst du niemals!"

Zwar hat er recht, aber das gibst du nicht zu und du behältst den Schlussteil deines Plans für dich. Zuerst ist es dir wichtig, ihn aus der Ruine und demnach aus der Gefahr zu bringen. Dann kannst du unbesorgt weitermachen und nach einer anderen Möglichkeit suchen, hinauszugelangen. Vorher willst du sicherstellen, dass keiner verletzt wird und alle früh genug flüchten können. Selbst die Übeltäter haben es nicht verdient, gnadenlos erschlagen zu werden, vielleicht haben sie schlicht aus Verzweiflung und Geldnot gehandelt und ihnen waren die Konsequenzen nicht bewusst.

Für mehr Überzeugung zwingst du dich zu einem falschen Grinsen. „Hab mal mehr Vertrauen in mich. Außerdem haben wir keine andere Option."

Abwartend kreiselt Hippogryph vor deinen Füßen und Ryuto zieht nach einem ergebenen Seufzen Starter und seinen Bey, welchen er direkt einrasten lässt. Gezielt richtet er seinen Launcher auf die Mitte der Steinwand vor sich und schießt dann seinen Dragonis ab. Ein lautes „ruft er noch während des Schusses und um seinen Bey sammelt sich eine kleine Lichtkugel, die türkise Funken abgibt. Problemlos reicht die Kraft aus, um einen Teil der Felsen wegzuspringen und die kleine Explosion wirbelt noch mehr Staub auf.

Die Decke über euch knackt nach der Erschütterung gefährlich und kleine Brocken prasseln auf euch nieder. Hippogryph fängt sie ohne großen Aufwand ab und zerteilt sie in winzige Stückchen. Geschickt springt er hin und her und nach einem letzten Blick in deine Richtung hüpft Ryuto endlich durch das entstandene Loch, sein Dragonis huscht brav hinterher.

Erleichtert stößt du deinen angehaltenen Atem aus und wedelst zur Verteilung des Dreckes wirr mit deinen Händen. Das plötzliche Licht blendet dich und aufgrund der Höhe kannst du Ryuto draußen nicht erkennen. Der Fall ist nicht tief, weshalb er unverletzt sein wird und das ist die Hauptsache. Außerdem musst du so immerhin nicht sein enttäuschtes Gesicht sehen, wenn er bemerkt, dass du nicht hinterherkommen wirst und ihn dreist angelogen hast.

„Beeil dich!" Er klingt so verdammt hoffnungsvoll und besorgt, dass es dir dein Herz zerreißt.

„Tut mir leid!", rufst du ihm laut zu und drehst danach um.

Gerade rechtzeitig fängst du Hippogryph mit deiner unverletzten Hand auf und läufst den Gang zurück zur Wendeltreppe, denn die Decke stürzt hinter dir ein und begräbt den ganzen Komplex unter sich. Diese Stufen wirken deutlich vertrauenswürdiger als die draußen und dir bleibt sowieso keine andere Wahl, weswegen du sie herunterrennst. Deine Einschätzung erweist sich als richtig, denn keine von ihnen bricht oder wackelt. Bisher steht das Überbleibsel des Turms sicher und das Vibrieren des Bodens stoppt. Wahrscheinlich ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis dieser ebenso nachgibt und umkippt. Die unterirdischen Tunnel könnten die Rettung sein und es wird jeden dorthin locken.

Kindheitsträume - II. Entfache das FeuerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt