Expectavi - ich wartete

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Seufzend ließ sich Miharu in den unbequemen Stuhl im Pausenzimmer fallen und trank ihren ersten Schluck Kaffee in dieser Nachtschicht. Sie war so froh, dass die halbe Nacht schon hinter ihr lag. Ein Grinsen schlich sich auf ihre Lippen, als sie an ihre beiden letzten Patienten dachte. Es war wirklich überraschend, dass der Kleinere nur drei Jahre jünger war als sie selbst. Hätte sie es nicht selbst gesehen, hätte sie ihn noch für einen Oberstufenschüler gehalten.
Das laute Stimmengewirr von draußen ließ sie aufblicken und aus dem kleinen Fenster sehen.
Leise vor sich hin lachend, beobachtet sie die Szene vor ihr. Ihre beiden Patienten, der Kleine und der Babysitter, steckten draußen mit drei anderen die Köpfe zusammen. Miharus Lächeln wurde noch breiter, als sie mitansah wie der Babysitter ihre kleine Notiz grinsend abfotografierte. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Sie kam nicht drum herum festzustellen, dass er wirklich attraktiv gewesen war. Immer noch hatte sie das Gefühl seine Muskeln unter ihren Fingern zu spüren, doch war es etwas anderes, was sie an ihm reizte. Es war der Ausdruck in seinen Augen gewesen. Alleine bei dem Gedanken an seinen wilden und unbändigen Blick bekam sie wieder eine Gänsehaut. Sie war sich sicher, dass er kein kleiner, dummer Junge mehr war, sondern ein richtiger Mann. Er wusste was er wollte und das gefiel ihr.
Wehmütig sah sie noch der Freundesgruppe hinterher. Ob er sich wirklich bei ihr melden würde?

Völlig fertig und müde von der anstrengenden Nachtschicht betrat Miharu ihre Wohnung. Sofort musste sie die Nase rümpfen, als sie den ranzigen Geruch wahrnahm. Stöhnend zog sie ihre Schuhe aus und überlegte, was sie mit ihrer Küche tun sollte. Eilig öffnete sie ein Fenster und schloss die Türe. Das hatte auch noch Zeit bis sie wieder wach war.
Als sie in Richtung ihres Badezimmers ging, konnte sie ein Gähnen nicht zurückhalten, ließ jedoch ihr Handy nicht aus den Augen. Immer wieder sah sie erwartungsvoll zu ihrem Telefon und konnte nichts gegen den kleinen Stich in ihrem Herzen tun, als immer noch keine neuen Nachrichten eingegangen waren. Sie war einfach viel zu neugierig, ob er sich wirklich melden würde. Gegen den Gedanken, dass es vielleicht schon eine Frau an seiner Seite gab, konnte sie nichts unternehmen und er ließ sie an ihre Entscheidung zweifeln. Hätte sie vielleicht doch besser vorher noch mal nachdenken sollen?
Kopfschüttelnd verließ Miharu das Bad. Sie wusste ganz genau, dass wenn sie dort nicht die Initiative ergriffen hätte, sie ihn nie wieder gesehen hätte. Es war die richtige Entscheidung.
Endlich war sie in ihrem Schlafzimmer und wollte sich nur noch in die weichen Kissen sinken lassen und schlafen. Doch sie konnte den Impuls, ein letztes Mal auf ihr Handy zu schauen, nicht unterdrücken. Sie wusste nur zu gut, dass sie es später bereuen würde, sich Hoffnungen gemacht zu haben. Wahrscheinlich hatte er selbst eine lange Nacht gehabt und wusste nicht mal ob er sich bei ihr, einer Fremden, überhaupt melden wollte. Seufzend kuschelte sie sich in ihr warmes Bett und wollte gerade ihr Telefon beiseite legen, als sie die erlösende Vibration wahr nahm. Mit einem Mal war sämtliche Müdigkeit wie weggeblasen. Nervös tippte sie die Nachricht an.
Hallo
Mehr fiel ihm nicht ein? Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Miharu war sich nicht sicher, ob sie darüber lachen oder traurig sein sollte. Natürlich war sie froh, dass er sich so schnell gemeldet hatte, aber die Art wie dämpfte ihre Freude etwas. Was sollte sie bloß darauf erwidern?
Die Ungewissheit ergriff Besitz von ihr, als ihr die Möglichkeit einfiel, dass es vielleicht einer der anderen jungen Männer sein könnte. Wenn sie ihm aber nicht antwortete, konnte sie sich da auch nicht sicher sein.
Guten Morgen. Wer bist du denn?
„Aaah", stöhnte Miharu leise vor sich hin und klatschte sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Vorhin war sie noch so selbstbewusst gewesen und jetzt führte sie sich auf wie ein verliebter Teenager. Über sich selbst verärgert, wollte sie das Handy schon weglegen, damit sie in ihrer Übermüdung nichts dämliches mehr anstellen konnte, als sie erneut die Vibration wahrnahm. Die Neugier siegte erneut.
Der Babysitter. Iwaizumi Hajime. Und dein Name?
Kichernd drehte sie sich auf den Bauch und strampelte mit den Füßen in der Luft. Jetzt kannte sie endlich seinen ganzen Namen! Aber wie konnte sie sicher sein, dass er es wirklich war und einer der Anderen nicht versuchte sie auf den Arm zu nehmen?
Dieser Gedanke bremste sie ein wenig aus. Sie brauchte Sicherheit, aber sie wollte eigentlich gerne, dass er den ersten Schritt machte.
Hoshida Miharu. Aber wie kann ich sicher sein, dass du nicht jemand anderes bist?
Wieder waren ihre Finger schneller als ihr Kopf. Frustriert versteckte sie ihr Gesicht in den Kissen und ein leiser Schrei entfuhr ihr. Sie sollte sich wirklich ein Handyverbot nach der Nachtschicht auferlegen. Langsam aber sicher übermannte sie doch die Erschöpfung und ihre Augen wurden schwer. Miharu driftete immer weiter in einen traumlosen Schlaf ab, als plötzlich ihr Handy neben ihrem Ohr wild zu vibrieren anfing. Orientierungslos schreckte sie auf und starrte völlig verpeilt auf die Nummer. Fast fiel ihr das Telefon aus der Hand, bevor sie immer noch völlig neben der Spur dran ging. „Hallo?"
Am anderen Ende der Leitung knisterte es und es herrscht erst einmal Stille. Sie war schon fast dazu verleitet einfach aufzulegen, weil sie es für einen dummen Streich hielt, als ein Räuspern ertönte.

Veni, vidi, amaviWo Geschichten leben. Entdecke jetzt