Kapitel 17: Ballpläne

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Meine Intuition hatte mich nicht fehlgeleitet, denn sobald Mrs. Woodbury das Buffet eröffnet hatte, sagte niemand mehr ein Wort. Im ganzen Saal hörte man nur das stetige, dezente Kauen vereinzelter Personen und es war noch unangenehmer als auf dem Friedhof. Ich sah Esme an, dass sie sich nicht traute sich mit mir zu unterhalten, weil man es womöglich im ganzen Raum mitbekommen und verstehen würde. Sie stocherte in einer kleinen Portion Nudelsalat rum, aß aber nicht wirklich etwas von dem, was sie sich auf den Teller gelegt hatte. Ich auf der anderen Seite, hatte von vorneherein nur ein paar trockene Stücke Brot mitgehen lassen, damit ich nicht vor Anspannung umkippte, aber mit dem Wissen, dass ich nichts runterbekommen würde. Was Esme nicht wusste, mich allerdings seit der letzten Stunde verrückt machte war, dass ich keinen Moment erhaschen konnte, in dem Mrs. Woodbury alleine anzutreffen war. Vor allem in dem stillen Raum war es mehr als unpassend, Fragen über Irenes Tod zu stellen.
"Du machst es schon wieder", meinte Esme vorwurfsvoll.
"Was?".
"Sie anstarren", antwortete Esme und zeigte unauffällig auf Mrs. Woodbury.
"Geh zu ihr hin und rede mit ihr. Ich weiß was du wissen willst und ich heiße das nicht für gut, aber es lässt dir sicherlich keine Ruhe, wenn du hier nur rumstehst und zusiehst wie deine Chance vorbeischlendert". Ich hasste es wenn Esme Recht hatte. Blöderweise hatte sie immer Recht und ich wurde nervöser bei dem Gedanken, Mrs. Woodbury ansprechen zu müssen.
"Ich hasse mich selbst dafür, aber...Ich bin gleich wieder da", sagte ich zu Esme und lies sie an unserem Tisch einsam mit ihrem Nudelsalat zurück.

"Entschuldigen Sie, Mrs. Woodbury? Ich dachte, ich könnte mich kurz mit Ihnen unterhalten?". Meine Stimme war so zögerlich und sanft wie noch nie, als sie meine ehemalige Deutschlehrerin zu mir umdrehte und nickte.
"Esme und du wollt bestimmt nach Hause gehen. Ich muss mich für heute entschuldigen. Es war egoistisch euch einzuladen, dabei kennt ihr doch keinen hier und die Stimmung ist nicht gerade spannend für zwei hübsche Mädels im Teenageralter. Irene hätte wahrscheinlich ihre eigene Beerdigung gehasst...". Es folgte eine lange, traurige Pause, in der ich krampfhaft nach Worten suchte, die alle gleichermaßen bescheuert waren. Ich beschloss schlicht und einfach nicht auf ihre Worte einzugehen.
"Wir wollten gleich gehen, ja, aber ich hatte gehofft, noch über etwas anderes mit Ihnen reden zu können", erklärte ich langsam und aus irgendeinem Grund verwandelte sich ihr Gesichtsausdruck zu leichter Panik, als ich diese Worte sagte. Hatte ich jetzt schon was Falsches gesagt?
"W-Was gibt e-es denn?", fragte sie und starrte mich an, als hätte ich sie gerade bei einem Verbrechen erwischt. Warum war sie auf einmal so verunsichert?
"Es geht um Irene. Ich habe sie kaum gekannt und das bisschen was ich wusste kam auf Grund irgendwelcher Gerüchte und durch die Meinungen anderer. Ich verstehe, wenn es Ihnen weh tut, aber ich wollte fragen, was Irene überhaupt für ein Mensch war". Als ich meine Frage beendet hatte, wartete ich gespannt und nervös zugleich auf ihre Reaktion und zu meinem Überraschen wurde ihre Miene weicher und sie lächelte.
"Oh meine Liebe. Du bist glaube ich die erste und einzige unter all diesen Leuten, die sich überhaupt für meine Tochter interessiert. Schon enttäuschend, da sie alle Familie sind und du nur eine ihrer Mitschülerinnen". Es war wirklich furchtbar, wie sich niemand für Irene oder ihre Mutter interessierte, sondern nur hier waren, weil es vielleicht für sie eine Pflicht war oder sie kostenloses Essen bekamen. Meine Familie dagegen war dann ja beinahe perfekt, oder?
"Sie war ein fröhliches Kind, obwohl sie ohne Vater aufgewachsen ist und es immer nur wir zwei waren. Sie war klug, gesellig, talentiert und ich schwöre ich sage das nicht, weil ich ihre Mutter bin". Mrs. Woodbury lachte, aber es hörte sich bemitleidenswert an und nicht wie ein ehrliches, fröhliches Lachen.
"Als sie dann alt genug war um zu verstehen, dass ihr Vater sie nicht haben wollte, wurde sie so anders".
"Was? Ihr Vater ist gar nicht tot?", fragte ich überrascht und schlug mir direkt die Hand vor den Mund. Wie unsensibel und unverschämt war diese Frage denn?
"Es tut mir leid. Verzeihung ich wusste nicht...Ich bin ein Idiot", sagte ich.
"Alles gut, meine Liebe. Viele Leute gehen einfach davon aus, dass Irenes Vater gestorben ist und wir haben es nie bestritten. Glaube mir, es wäre leichter, wenn er tot wäre". Das waren harte Worte, die mir verrieten, dass etwas Schlimmes zwischen Mrs. Woodbury und ihrem Ex-Partner vorgefallen sein musste. Vielleicht war das eine Sache, mit der man arbeiten könnte.
"Irene war auf einmal so wütend auf die Welt. Sie hat es an anderen ausgelassen, weil sie sich selber nicht gut gefühlt hat. Ich wusste das und habe trotzdem nichts dagegen getan....aber ich bin einfach nicht mehr zu ihr durchgekommen". Ich bemerkte schnell, wie anstrengend und nervenaufreibend es für Mrs. Woodbury war, so über ihre tote Tochter zu reden. Sie schwitzte und zitterte und es ließ mich selbst nicht kalt. Die ganze Geschichte war so tragisch.
"Sie hat sich ihr eigenes Leben so schwer gemacht, aber wieso hat es so enden müssen?". Tränen begannen ihre Wangen hinunterzulaufen und sie zog mich in eine enge, unerwartete Umarmung. Viele drehten sich zu uns, auch Esme, die uns besorgt von der Ferne aus beobachtete. Ich sah ihre Schwester, die, warum auch immer, wütend auf uns zugestapft kam, die Hände in die Hüften stämmte und dann ihre Schwester grob aus meinen Armen zog.
"Was fällt dir ein sie zum Weinen zu bringen! Ich wusste es war eine schlechte Idee dich einzuladen. Du erinnerst sie viel zu sehr an ihre Tochter. Verschwinde! Draußen wartet ein Taxi, welches ich vor einer Viertelstunde gerufen habe. Nimm deine Freundin und lass uns in Ruhe!". Ich musste sagen, dass ich in diesem Moment mit allem gerechnet hatte, nur nicht damit, von einer fremden Person wie ein Parasit behandelt zu werden. Ich stand reglos vor den beiden Schwestern, sah Mrs. Woodbury dabei zu, wie sie weinend versuchte aus dem Griff ihrer Schwester zu entkommen um etwas zu erwidern, von dieser aber ständig in ihr übergroßes Dekolleté gedrückt wurde. Ich starrte diese Frau an, die mich gerade mit für mich unverständlichen Vorwürfen bombardiert hatte und suchte nach den richtigen Worten, falls es die überhaupt gab.
"Na los. Geht schon", sagte sie und machte mit ihrer Hand eine Bewegung, als würde sie eine lästig Fliege verscheuchen.
Ich war immernoch unfähig mich zu bewegen, weswegen Esme sich von ihrem sicheren Tisch wegbewegte, sanft meinen Arm nahm und mich nach draußen zog. Mit leerem Kopf schaute ich zurück zu Mrs. Woodbury.

~Rich and dead~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt