Kapitel 4: Jungs

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"Hey Mädels".

Esme stand mit einem Haufen T-shirts im Arm vor einem der drei noch leeren Kleiderschränken und grinste niedlich in unsere Richtung. Sie sah verändert aus. "Ist das etwa Make-up in deinem Gesicht?", fragte Violet ungläubig und näherte ihr Gesicht etwas dem von Esme. Diese steckte dann aber sofort ihren Kopf in den Schrank, machte es daher unmöglich Näheres zu begutachten und ignorierte Violet gekonnt. "Neues Jahr, neuer Look. Wieso seit ihr zwei eigentlich so verdammt spät gekommen? Ich hab schon beinahe alles ausgeräumt", sagte sie und beehrte uns dann wieder mit ihren strahlend weißen Zähnen. "Vio meinte ihre BH's auf der Treppe verteilen zu müssen", antwortete ich ihr gleichgültig und zuckte mit den Schultern. "Ach so. Na dann".
Ich betrat nach der ewig langen Einleitung nun auch mal mein Zimmer und schmiss die Taschen auf das cremefarbene Ledersofa, welches an der linken Seite unseres Zimmers stand und meistens nur für meine Klamottenablage verwendet wurde, was Esme regelmäßig zur Weißglut brachte. Ihr war die Ordnung angeboren. Es war an manchen Stellen regelrecht nervtötend, doch ich achtete darauf mich nicht zu beschweren, da sie freiwillig das Zimmer aufräumte, saugte und die Betten machte. "Ihr lasst mich einfach so in der Tür stehen?" Sieht wohl so aus. "Nee. Sorry, aber ich wollte nur schnell die restlichen Klamotten einräumen ohne das sie knicken. Komm her", sagte Esme, knallte ihre Schranktür zu und gab Violet eine schnelle, aber ehrliche Umarmung. "Hast du abgenommen? Du wirkst so...dürr". Vios Blick begutachtete Esme von Kopf bis Fuß und ihre Stirn legte sich in Falten. "Du bist einfach ein anderer Mensch", stellte sie daraufhin fest und biss sich unsicher auf die Unterlippe. Ich hatte derweil begonnen gedankenverloren meine Taschen aufzureißen und auszuräumen, wobei ich letztendlich sowieso alles in die Schränke schmiss anstatt die Dinge zu falten. "Ich weiß nicht was du hast. Nur weil ich endlich mal auf meine Figur achte und etwas Neues ausprobiert habe, bin ich doch nicht direkt ein anderer Mensch". Esme drehte sich von Vio weg und schnappte nach ihrem Handy, welches auf ihrem Schreibtisch lag und gerade in der Sekunde angefangen hatte zu blinken. Wir durften unsere Handys nur die erste Schulwoche behalten, um gegebenenfalls unsere Eltern zu kontaktieren, sollte etwas nicht in Ordnung sein. Die Pflichten, die mit einer Privatschule ganz alleine kamen. Eltern, die viel Geld bezahlten, nur damit ihr Kind auf ein gutes Internat gehen konnte, wollten schließlich auch wissen ob etwas nicht in Ordnung war. Wie von selbst schielte ich auf Esmes Handy und erkannte eine Nachricht von 'Baby'. Ich wurde stutzig. Von all den Schülerinnen auf diesem Internat war Esme einer der wenigen, die noch nie wegen der fehlende Jungsquote an dieser Schule protestiert hatte und jetzt schien sie die erste von uns, die einen Partner hatte. Das Einzige, was ich von der Nachricht lesen konnte war: 'Hey Kleines, verrätst du mi-', bevor Esme mir das Handy vor der Nase wegschnappte. Vorausschaulich beschloss ich nichts zu sagen, da Violet wahrscheinlich ein riesen Theater veranstaltet hätte. Ich beschloss sie heute Abend alleine zu fragen und hoffte sie würde mir Antworten geben. Esme war sonst so schüchtern und redete mit sehr wenigen Leuten. "Gut. Ich denke ich werde mich auch mal in mein Zimmer aufmachen. Ich sehe euch morgen Mädels?" Ein einstimmiges Ja von Esme und mir war zu hören, bevor Violet uns eine gute Nacht wünschte und die Tür hinter sich zuschlug. "Ich weiß nicht wie du es so lange mit ihr aushalten kannst, Cap. Sie hatte eine lange Autofahrt und quatscht so viel wie nach drei Tassen Kaffee". Esme rieb sich erschöpft die Stirn, ließ sich auf ihr Bett fallen und begann auf ihrem Handy zu tippen. "Ich schätze sie ist eine nette Abwechslung nach den sechs Monaten Stillschweigen und Streiterein mit meinem Bruder. Immerhin weiß ich, dass sie mich wirklich gerne hat", sagte ich und stopfte einen Haufen Jeans in ein viel zu kleines Fach. "Ich hab dich doch auch gerne, Caprice", sagte Esme mit sanfter Stimme und schaute von ihrem Bildschirm auf.

"Ist es denn wirklich so schlimm. Arbeitet dein Vater immer noch so viel?" Sie sah besorgt aus, was sich kurzzeitig in Unbehagen verwandelte, als ihr Handy erneut aufleuchtete. "Es geht. Andere haben es viel schwerer. Klebst du eigentlich seit Neustem an deinem Handy oder wer ist so interessant, dass du permanent mit ihm schreiben musst?", fragte ich sie und sah skeptisch auf die elektronische Nervensäge in ihren Händen. "W-Wieso? Darf ich nicht mit meinen Freunden schreiben?", fragte sie gespielt beleidigt und warf ihr Handy auf ihr Kissen, als wäre nichts gewesen. "Mich würde viel mehr interessieren, ob du all deine Freunde 'Baby' eingespeichert hast. Nennst du Vio und mich auch so in Zukunft?" Esme lief rot an und versteckte ihr Gesicht in ihrem Schoß, als hätte ich sie gerade auf das peinlichste Geschehniss der Weltgeschichte hingewiesen. "Danke, dass du es nicht vor Violet angesprochen hast. Sie würde mich damit nerven bis ich tot umfalle". True. "Ich habe ihn vor Kurzem in meinem Heimatland kennengelernt. Er war der erste Mann, der je Interesse an mir gezeigt hat". Aus irgendeinem Grund schien sie bei der Aussage sich selbst zu einem Lächeln zu zwingen, was mir komisch vorkam. Etwas war nicht richtig und ich würde es herausfinden. Man hatte ja nicht umsonst ein ganzes Schuljahr Zeit. "Ich glaube, dass viele Männer dich toll finden Esme, aber wenn man hier auf die Schule geht ist es eben schwer einen Freund von außerhalb zu finden". Ich räumte meine leeren Koffer in eine freie Ecke neben dem Schrank, platzierte zwei weitere leere Taschen darauf und setzte mich dann zu ihr ans Bett. "Kann schon sein, aber es ist, wie du sagtest, eine schöne Abwechslung". Sie strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und wich meinen Blicken aus, als ob sie Angst hätte ich könnte sie für irgendwas verurteilen. Ich nickte ihr aufmunternd zu und fragte:" Du sagtest Mann. Wie alt ist er denn? Und wie heißt er?" Obwohl ich in solchen Themen nie wirklich das Bedürfnis hatte nachzuhaken, so wie es wahrscheinlich Violet getan hätte, wollte ich doch das Wichtigste wissen. Immerhin ging es um meine beste Freundin. "Versprichst du es niemandem zu erzählen. Auch nicht Vio? Selbst meine Eltern wissen nichts von ihm und...ich möchte es auch erstmal dabei belassen, okay?" Sie sah verunsichert aus und ich musste überlegen. Ich würde nie jemandem etwas erzählen, wenn Esme nicht dazu bereit wäre, aber irgendwas sagte mir, dass ich das Geheimnis bald brechen müsste. Dennoch bejahte ich und sie atmete angespannt aus. "Er heißt Eymen und er ist 21". What? Esmes Freund war also tatsächlich ein 'Mann'. "Das sind fünf Jahre Esme und er lebt so weit weg von dir. Woher kennst du ihn denn?", fragte ich sie vorsichtig, aus Angst ich könnte ihre Offenheit mit mir jederzeit beenden. "Ich weiß, dass es in meinem Alter schwer ist, aber ich mag ihn. Mein Vater hatte vor ungefähr zwei Monaten ein Abendessen mit all seinen Freunden, geschäftlich und privat. Er ist der Sohn eines Kollegen meines Vaters. Wir haben uns dort kennengelernt, Handynummern ausgetauscht und seitdem schreiben wir beinahe jeden Tag". Sie sah verträumt in Richtung ihres Handys und dann wieder zu mir, mehr oder weniger gespannt auf meine Reaktion. Ich wusste sie hatte Angst verurteilt zu werden und ich wollte sie nicht verletzten, weshalb ich zu lächeln begann. "Wenn du dir sicher bist, dann ist doch alles gut. Ich hoffe für euch, dass die Entfernung keine Probleme macht". Esmes Gesicht erhellte sich schlagartig und sie legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab. "Wir haben gesagt, dass wir die ganze restliche Woche so oft schreiben und telefonieren werden, wie wir können", sagte sie und schloss die Augen.

~Rich and dead~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt