Als ich Damian das nächste Mal wieder sah, war es Montag. Mathe wurde auf die fünfte Stunde vorgezogen, da unsere Englischlehrerin mal wieder krank war.
Kurz nach dem Stundenklingeln betrat er unser Klassenzimmer, stellte seine Tasche ab, ließ seinen Blick über uns gleiten und verharrte kurz, als er hinten rechts angelangt war. Bei mir.
Er schüttelte den Kopf und setzte sich hin. "Guten Morgen, liebe Klasse. Wir schreiben heute einen unangekündigten Test über das Thema der letzten Stunde. Ihr dürft eure Aufzeichnungen verwenden."
Als Mister Laykon den letzten Satz sprach, blickte er zu mir. Na vielen Dank.
Mit Tafelwerk, Taschenrechner und dem Inhalt meiner Federmappe werde ich höchstens eine vier schreiben. Ich atmete tief durch. Damit würde ich weiterhin auf einer glatten vier stehen, auch wenn es nur eine kleine Note wäre.
Er ging durch die Gänge und teilte die Arbeiten aus. Er legte auch mir ein Blatt auf den Tisch, lehnte sich kurz zu mir und meinte, dass ich das nächste Mal mitzuschreiben hätte, anstatt Gefühlbekundungen über irgendwelche Schwärmereien zu schreiben, die sich mit Sicherheit irgendwann legen würden.
Natürlich ist es seine Aufgabe, uns den Schulstoff zu vermitteln und uns irgendwie durch die Prüfungen zu bringen, aber ich fühlte mich auf unergründliche Weise hintergangen.
Ich wickelte mein braunes Haar um meine Finger, starrte Löcher in die Luft oder beobachtete, wie die Zweige der Bäume vor unserem Fenster auf und ab tanzten.
Ab und zu schrieb ich halbherzig ein paar Zahlen auf das Papier, unterstrich diese und zeichnete irgendetwas in mein Koordinatensystem, was aussehen sollte wie eine Exponentialfunktion.
Nach zwanzig Minuten, sollten wir die Blätter abgeben und er schrieb etwas an die Tafel. Termin für die Klassenarbeit zum Abschluss des Themas Funktionen, Termin für die Vorprüfung in Mathematik, Termin zur Besprechung der Halbjahresnote - und dann klappte er die Tafel um.
Stochastik. Ich hasse es. Mit der Wahrscheinlichkeitsberechnung von irgendwelchen Zufällen und Baumdiagrammen bin ich noch nie, absolut nie, zurechtgekommen.
In gleichmäßigen Großbuchstaben schrieb er "Erwartungsbeträge" auf die grüne Fläche, während er Wiederholungen zu einzelnen Gebieten der Stochastik vorschlug und uns fragte, ob wir lieber wiederholen wöllten oder direkt das neue Thema lernen.
Ich ließ den Unterricht über mich ergehen, doch konnten mein Blick und meine Konzentration seinem Körper nicht von der Seite weichen.
Ab und zu grinste er mich an, als würde er mitbekommen, dass ich ihn anstarre. Als die Klingel nach einer Dreiviertelstunde die Pause einläutete, packten alle hastig ihr Schulzeug in die Rucksäcke. Stifte flogen umher, Buchseiten knickten, der übliche Wahnsinn.
"Ave! Tafeldienst.", hörte ich und verdrehte die Augen. Es ist alles andere als angenehm, diesen versifften Tafelschwamm in die Hand zu nehmen und ihn mit der richtigen Menge Wasser zu tränken, bevor ich die Tafel erst abwischen könnte.
So sah ich einen nach dem anderen den Raum verlassen, während ich gemächlich mein Schulzeug in meinem Rucksack verstaute.
Ich ging nach vorn, nahm mir den Tafelschwamm und wusch ihn aus. Er beobachtete jeder meiner Bewegungen. Unruhig und unsicher wischte ich die Kreideschrift weg.
Als ich fertig war und den Schwamm an seinen Platz gelegt hatte, stand er neben mir. "Ave." Ich atmete tief ein, wollte den Moment, den Geruch, das Gefühl für immer behalten.
"Ave, wie fühlt es sich an, beobachtet zu werden?" Ich schluckte. Unfähig, einen kompletten Satz zu bilden, entflohen mir nur drei Worte: "Von Ihnen gut."
Ich mochte die Distanz, die 'Ihnen' brachte, obwohl wir so nah beisammen standen. Damit ist nicht die persönliche Distanz gemeint, eher alles andere. Das Alter, das Machtgefälle, sein Status als Lehrer.
Daraufhin sagte er lange nichts. Wir standen einfach nur da, berührten uns nicht. Er stand schräg hinter mir, neigte seinen Kopf in Richtung meines Halses.
Irgendetwas hinderte Damian und ich glaube, ich wusste, was es war. Ich drehte mich zu ihm, sah ihm direkt in die Augen.
Er hielt dem ein paar Sekunden stand und wandte sich ab.
"Du musst los. Du schaffst den Bus nicht mehr."
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17 - his student
Teen FictionGefühle spielen gegen Angst. Gegen Gedanken und gegen die Vernunft. Dinge passieren. Geschehnisse verändern Menschen und zwischenmenschliche Beziehungen. Das Herz zerreißt einen, wenn man diese Person anschaut, doch gleichzeitig beginnt es wie wild...