Ich schreckte hoch, versuchte mich förmlich und selbstbewusst aufzusetzen. "Ja?"
"In meinem Unterricht wird nicht geschlafen. Sollte das noch einmal vorkommen, müsste ich dich nachsitzen lassen."
Ich signalisierte ihm, dass ich seine Worte verinnerlicht habe. Der Versuch, ihm nicht ins Gesicht zu sehen, misslang. Ich fuhr mit meinen Blicken seine Wangenknochen nach. Seine Kieferlinie. Die Sorgenfalte auf der Stirn. Seine schmale Nase, seine rissigen Lippen.
"Verzeihung, habe ich etwas im Gesicht?" Förmlich, aber mit Nachdruck. Mein Gesicht rötete sich, als ich merkte, dass die Klasse scheinbar seit einer Ewigkeit zu uns schaute.
Ich regte mich nicht, und erst als er sich ausdrucksstark umdrehte und wieder zum Pult ging, fiel mir auf, dass ich ihm keine Antwort gegeben, sondern mich in seinen Gesichtszügen verloren habe.
Ich sollte mich besser unter Kontrolle haben, denn so kann es nicht weitergehen. Sollte man nicht bereits als Referendar Distanz zu seinen baldigen Schutzbefohlenen wahren? Wenn er mir nicht immer näher gekommen wäre, würde ich ihn jetzt nicht so ansehen.
Ich hätte diese Probleme nicht und könnte meinen Abschluss absolvieren. In Ruhe. Ohne diese eisblauen Augen, die ab und zu stechende Blicke auf meinem gesenkten Kopf hinterlassen. Ohne diese strubbligen, dunklen Haare, die bei jeder seiner Bewegungen mitschwingen.
Statt einer Überschrift und den Berechnungen zu Exponentialfunktionen schrieb ich meine Gedanken nieder. Ich verfluchte ihn, ich will ihn loswerden.
Ich will die Probleme, die er mit sich brachte, loswerden. Ich will meine Kontrolle über mich selbst wiedererlangen. Ich will wieder unabhängig sein, mich nicht von dämlichen Schwärmereien einengen lassen. Nicht mehr jede Pause nach ihm suchen, nicht mehr 'zufällig' seinen Weg kreuzen.
Doch warum nicht? Es ist so verdammt kräftezehrend. Ich bin müde, ihm hinterherzuhecheln, ich bin es leid, mich wie eine Irre zu verhalten.
Doch ist es mir zu verübeln? Wenn mich diese Augen anstarren, wenn er die Hände in den Hosentaschen hat, wenn er sinnierend aus dem Fenster blickt, wie soll ich standhaft bleiben?
So, wie er es gerade tut. Ich stelle mir ein weiteres Mal vor, wie seine Hände sich neben meinen Kopf an die Wand stützen und er mich mit tiefdunklen Augen taxiert, dass ich innerlich zerreiße.
Wie sollte sich ein Mädchen bei diesem Mann zusammenreißen? Wie könnte ich dieser Sehnsucht nicht nachgeben wollen?
Meine kleine Schwärmerei, unsere Fast-Freundschaft ist zu einer ungesunden Obsession geworden.
Das Schreiben hat mich angestrengt, es hat mich allerdings auch ein wenig befreit. Es ist nicht immer leicht, die richtigen Worte zu finden.
Als wäre ich aus einer Art Trance erwacht, merkte ich, wie Bewegung in den Klassenraum kam. Stimmt, die Fünf-Minuten-Pause. Sinnlos.
Die Hälfte der Klasse rannte auf die Toilette, andere trafen sich für einen Plausch auf dem Gang, nur wenige blieben die kurze Zeit im Zimmer.
"Avelina." Ich atmete tief ein. "So eifrig wie du geschrieben hast, kann es doch nicht um Exponentialfunktionen gegangen sein, oder? Zeig mit deine Mitschriften, sofort!"
Da war er wieder, der Befehlston.Er würde nie verstehen, was diese Art der Unterhaltung in mir auslöst. Angespannt atmete ich aus. "Ich habe nicht mitgeschrieben."
Wenn er ein Tier wäre, hätte er geknurrt, doch er zog nur fragend die Augenbrauen zusammen und presste kritisierend seine Lippen aufeinander.
Einer dieser Gesichtsausdrücke, welche mich verrückt machten. Sein linkes Auge zuckte kurz und er ging wieder vor.
Hastig verließ ich den Raum, um auf dem Gang zur Ruhe zu kommen. Der Versuch, mich zu sammeln.
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17 - his student
Teen FictionGefühle spielen gegen Angst. Gegen Gedanken und gegen die Vernunft. Dinge passieren. Geschehnisse verändern Menschen und zwischenmenschliche Beziehungen. Das Herz zerreißt einen, wenn man diese Person anschaut, doch gleichzeitig beginnt es wie wild...