Gestern verging Geographie sehr schnell, danach hatten wir frei. Auf direktem Weg bin ich nach Hause gefahren und fand mich daraufhin auch sehr zügig in meinem Bett wieder.
An ihn denkend. Das Bild von ihm wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Ich konnte mich nicht entscheiden, wann er am besten aussah. War es gewesen, als er aus dem Fenster sah und ich seine Kieferlinie sowie den doch recht sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster betrachten konnte? Oder war es, als er auf seinem Kuli knabberte und mich wissend anstarrte?
Seit wann dachte ich eigentlich so über ihn nach? Wann kam dieser Umschwung von herzlichem Gefrotzel und gegenseitiger Neckerei zu einem männlichen, körperlichen Magnet? Wann kam der Mann, der mit mir lachte und dessen Rechtschreibfehler ich auf seinem Laptop korrigierte, auf die Idee, mich benutzen zu gedenken?
Damit schlief ich ein, aber ich schlief unruhig. Geringer Schlafmangel zeichnete sich sofort in meinen Gesichtszügen ab, so war es kein Wunder, dass ich außergewöhnlich fertig aussah, als ich den Weg der Bushaltestelle zu dem kahlen Gebäude antrat.
Als ich den mir vertrauten Passat auf dem Lehrerparkplatz stehen sah, war irgendetwas anders. Es löste nicht wie sonst ein unbeschreibliches Gefühl in mir aus. Das Ziehen in mir war verschwunden, die Aufregung komplett aus meinem Körper gewichen. Stattdessen fühlte ich moch unbehaglich. Äußerst.
Kurze Zeit später betrat ich das Klassenzimmer und staunte nicht schlecht, als ich Damian bereits an die Tafel schreiben sah. Mathematik stabd heute nicht auf dem Plan.
Um mich über die Situation in Kenntnis zu setzen, wollte ich Chris' Platz aufsuchen, doch als hätte er Augen im Hinterkopf zischte es von der Tafel: "Avelina. Du sitzt vorn. Sollte das noch einmal vorkommen, lasse ich dich auch für nächste Woche die Tafel säubern."
Augenrollend flüsterte ich in Chris' Richtung, dass ich mich ihm nicht länger unterwerfen wollen würde, weil ich absolut keine Lust auf den Mist hatte. Zack, hatte er sich umgedreht und taxierte mich.
"Setz. Dich. Hin." Nicht ohne ein entnervtes Seuzen ging ich vor, ließ mich auf meinen Stuhl fallen und kramte meinen Block und einen Kuli aus meiner Tasche.
"Den kannst du sofort weglegen, wir schreiben heute nichts auf.", er unterbrach kurz und zog somit die Aufmerksamkeit der Klasse auf sich, "Liebe Klasse, wie ihr bereits mitbekommen haben solltet, steht Mathematik heute nicht auf dem Stundenplan. Euer Ethiklehrer ist erkrankt und ich soll die Stunde jetzt übernehmen. Ich habe nichts vorbereitet; vielleicht wärt ihr so freundlich, mir zu sagen, wo ohr gerade seid?"
Blätter raschelten, Hefter landeten auf den Tischen, bis eine Meldung aus der hinteren Reihe kam. "Mister Laykon, wir haben vor kurzem das Thema 'Soziale Konstrukte' angefangen."
Er dachte nach. Scheinbar angestrengt schien er zu überlegen, was er mit uns anfangen sollte. Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, als sein Blick durch die Klasse schweifte.
Mit einer Hand stützte er sich an der Tischkante ab und wieder einmal konnte ich nicht anders, als die Augen zu schließen und mir vorzustellen, was diese Finger anstellen könnten, wenn ich mich dafür entscheide.
Hörbar tief holte ich Luft, schüttelte meinen Kopf, um mich wieder zu konzentrieren, als Damian gerade zum Reden ansetzte.
"Soziale Konstrukte beinhalten Gemeinschaften und die zwischenmenschlichen Beziehungen jeglicher Art, richtig?", die Antwort nicht abwartend redete er weiter, "Christina, wenn du deinen Kopf von der Schulter deines Banknachbarn nehmen könntest?"
Ich drehte mich um und warf ihr einen kurzen Blick zu. Tatsächlich lehnte sie, scheinbar von einer ebenfalls ruhelosen Nacht, geplättet an Alex' Schulter und erhob sich schwerfällig.
"Da haben wir doch ein gutes Beispiel", erklang seine Stimme wieder einmal im Raum, "Christina, du kannst dich an ihm anlehnen, weil ihr befreundet seid, richtig?" Sie schien ihm eine Art Bestätigung, vermutlich ein Nicken zu geben, denn er fuhr fort: "Das impliziert, dass du das bei mir nicht tun würdest. Warum?"
Meine Gedanken machten sich wieder selbstständig und sprangen zu dem Moment zurück, als er mit beiden Fingern mein Kinn hob und ich an der Wand stand. Es muss nur ein Bruchteil einer Sekunde gewesen sein, denn ich registrierte Chris' Antwort.
"Sie sitzen nicht neben mir." Die Klasse begann zu lachen und ich musste unweigerlich grinsen, weil ich höchstwahrscheinlich ähnlich geantwortet hätte. Mit einer Handbewegung, ebenfalls schmunzelnd, tat er es ab und wartete, bis sich die Klasse beruhigt hatte.
Ebenfalls aus den hinteren Reihen - ich hasste es, den Überblick mit meinem Platz abgegeben zu haben - tönte ein "Wenn er neben dir sitzen würde, würdest du dich an ihn anlehnen?"
Das eben abebbende Gelächter wurde wieder lauter, ala ich ein entnervtes: "Er will doch nur darauf hinaus, dass wir zu ihm eine Lehrer-Schüler-Beziehung haben und es bei einer Autoritätsperson unangemessen wäre."
Damian bedankte und setzte sich. "Ich möchte von euch allen einen Aufatz. Mindestens zwei linierte A4 Seiten. Ihr habt noch 35 Minuten, das Thema steht an der Tafel."
"Was unterscheidet eine professionelle Berufsbeziehung von einer zwischenmenschlichen Beziehung unter Bekannten?"
Die Stunde war für mich definitiv gelaufen. Unter dem Knistern der Blätter und dem Klicken der Stifte musste ich ihm noch einmal ins Gesicht sehen.
Von dort wandere mein Blick über seinen Hals, den ich so gern einmal mit meinen Lippen berühren würde. Zu seinen Schlüsselbeinen, die ich ertasten wollte. Über seine Arme, die mich fixieren sollten bis zu seinen Händen, die ineinander verschränkt waren.Dort blieb mein Blick hängen - und meine Gedanken auch.
Seine Finger, die mich ruhig stellen sollten. Mich berühren sollten. Mich streicheln, mich festhalten, meinen Körper erkunden. Diese Finger sollten endlich das Ziehen in mir beenden, welches in diesem Moment wieder einmal aufloderte.
Bei den Gedanken daran, wie er es wohl anstellen würde, mir irgendwann einmal das Verlangen zu erfüllen, damit ich aufhören konnte, mich an dieser Sehnsucht zu verzehren, krabbelten Millionen kleiner Ameisen auf meiner Haut.
Wohlig warm und nicht mehr bei Sinnen, sondern verbebelt von seiner Anwesenheit und den schmutzigsten, verbotensten Gedanken, begann ich, unruhig auf meinem Stuhl zu werden.
Schlussendlich unterdrückte ich das Gefühl und begann zu schreiben. Mehr als drei Worte brauchte es nicht.
A/N: Was sind eure Gedanken zu diesem Kapitel? Was könnte Ave geschrieben haben? Und wie findet ihr Chris(-tina) bisher?

DU LIEST GERADE
17 - his student
Teen FictionGefühle spielen gegen Angst. Gegen Gedanken und gegen die Vernunft. Dinge passieren. Geschehnisse verändern Menschen und zwischenmenschliche Beziehungen. Das Herz zerreißt einen, wenn man diese Person anschaut, doch gleichzeitig beginnt es wie wild...