Sinnlosigkeit Des Seins

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Sebastian


Alles klar, die Gala zu besuchen war ein totaler Reinfall.

Und als wäre das nicht schon schlimm genug, ist Amanda mit ihrem Prinz Charming auch hier. Sie wusste, dass ich hier sein werde und muss mir präsentieren, was ich in ihren Augen, verloren habe. Dabei ist sie nichts, was sich nicht ersetzen ließe. Es gibt nur eine Frau, die konstant in meinem Schädel sitzt und meine Gedanken durch den Fleischwolf dreht und das ist Mia. Keine andere Frau. 

"Wo bleibt er?", frage ich Anthony und lehne mich in meinem Stuhl zurück. Es war eine dumme Idee, mitzukommen und den Film meiner Freunde zu feiern. Allein schon, weil ich wusste, dass ihr dämlicher Patrick mitspielt und ich auf Amanda treffen musste. Es gab gar keine andere Möglichkeit. Aber nein, ich hätte Zuhause mit einem Bier auf dem Sofa liegen können und beobachten können, wie die Gala wird, stattdessen zwingen mich Joe und Chris, selbst mitzufahren und in Chicago festzusitzen. Manchmal hasse ich sie, aber ich bin ihnen auch dankbar, dass sie mich aus dem Strudel herausgezogen haben. Ich denke, wären sie nicht gewesen, würde ich Evgenia immer noch in mein Bett holen und mir vorspielen, dass das nur eine Phase ist und ich Mia durch andere Frauen vergessen kann. Eine Frau, die ihr ähnlich sieht, das gleiche Haar trägt und ihre Augen so blau sind wie die, von ihr. Sobald es aber darum ging, wie sie meinen Namen stöhnt, hat alles ausgesetzt. Es fühlte sich nicht richtig an, als würde ich Mia betrügen, obwohl ich nicht einmal ein Guten Morgen oder Wort von ihr gehört habe. Ich wollte warten, bis sie wieder da ist. Mit niemandem mehr habe ich gefrühstückt oder zusammen gegessen, immer nur allein, weil ich diese Dinge mit Mia getan habe. Weil sie mir dabei ein Gefühl von Menschlichkeit gab und es plötzlich Spaß machte, aufzustehen und zu arbeiten, weil am Ende des Tages ihre Lippen auf meinen lagen. Ich habe aufgehört zu versuchen, sie zu ersetzen, weil ich hoffte, ich hoffte wirklich, sie würde zurückkommen. Aber ja, man sieht ja, wie weit ich mit meiner dämlichen Hoffnung gekommen bin. 
"Keine Ahnung, er wollte nur kurz frische Luft schnappen." 

Anthony verhält sich verdächtig. Sonst reißt er einen dummen Spruch nach dem anderen, doch heute hängt sein Blick in der Menschenmenge. Ganz so, als würde er jemanden suchen. Was mich auch nicht wirklich interessiert. Es ist Anthony, er wird nur irgendwelchen Frauen hinterhersehen und die ein oder andere Nummer klären. Ich bilde mir diese Hirngespinste ein. Mias Verschwinden hat auch ihn verändert. Freundschaften sind nicht mehr seine Priorität und immer erreichbar ist er auch nicht mehr. Er ist distanziert und wenn's hinkommt, nur noch einmal im Monat bei uns. 
"Frische Luft schnappen, hm?", wiederhole ich seine Worte und seufze. Wen will er eigentlich verarschen? 

Vor mir drehe ich das Glas gefüllt mit Scotch im Kreis und sehe auf die Bühne. Eine blonde Frau steht vor dem Mikrofon und redet irgendwelche unverständlichen Worte, die mich nicht sonderlich interessieren und nur wenige Meter vor mir, läuft Amanda durch die Menge, bahnt sich einen Weg an den Tischen vorbei, Richtung Toiletten. Toll, jetzt wird sie noch öfters an mir vorbeilaufen. Schimmer kann der Tag doch schon gar nicht mehr werden. 
"Hey, sorry. Ich habe mich kurz mit jemandem unterhalten. Wie weit sind wir?" Mein bester Freund setzt sich zurück auf seinen Platz, rechts neben mir und ich zucke mit den Schultern.
"Hab nicht aufgepasst. Sollten wir etwas beobachten?", frage ich und er schüttelt den Kopf. 
"Nein. Ich dachte nur, die After- Galaparty würde unterhaltsamer werden, als der Red Carped."
"Auf dem ihr mich habt stehenlassen und ich mir von der Presse wieder anhören durfte, welch schlechter Mann ich doch bin."
"Den Ruf hast du auf Ewig, Seabass." Böse sehe ich zu Anthony, welcher nur lacht und mit den Schultern zuckt.
"Gehen wir ins Hotel, ich hab hier wirklich genug gesehen und bevor das Ganze noch eskaliert, weil hier viel zu viele Triggergesichter herumlaufen, verpasse ich lieber die Verleihung." Chris trinkt sein Glas leer und will aufstehen.
"Warte", unterbricht Mackie ihn. "Ellis wird auf die Bühne gerufen, das könnte interessant werden."
"Was will ich mit Ellis?", murmle ich gegen mein Scotchglas und setze es an meine Lippen. Dieser Typ ist mir nicht geheuer. Am Set hat er immer von seiner schönen Freundin geprahlt aber nie hat man jemanden gesehen. Nur wieder einer der vielen Proleten. Auch wenn ich zugeben muss, dass seine Schauspielkünste echt verdammt gut sind. 

"Als erstes, bevor ich irgendwem hier Zusprüche zuwerfe, muss ich einer ganz bestimmten Person danken", sagt er auf der Bühne und ich lache auf.
"Fangen seine belanglosen Sprüche, von seiner angeblichen Freundin jetzt wieder an?" Murrend lehne ich mich zurück und beobachte den Mann auf der Bühne.
"Chris, wir sollten doch gehen." Anthony springt auf und Chris nickt. Verwirrt sehe ich beide an. So überstürzt plötzlich?
"Meiner Freundin, Mia Diaz. Danke, Baby, dass du mich immer unterstützt hast."

Die ganze Welt steht still.

Um mich herum scheinen alle zu jubeln und zu klatschen, doch alles was ich höre, ist mein brechendes Herz.
Mia ist ... Mia ist ... seine Freundin?!
Jeglicher Sauerstoff bleibt meiner Lunge fern und ich schnappe nach Luft, als sich ein stechender Schmerz in meiner Brust breit macht. Schmerz, der meine Lunge zuschnürt und Schwindel in meinen Schädel treibt. Fuck, was ist das für ein beschissenes Gefühl?
"Sebastian?", Chris legt eine Hand auf meine Schulter, die ich gar nicht realisiere und wie gespannt sehe ich auf die Frau, die die Bühne nach oben läuft und dabei eines der schönsten Kleider trägt, die ich je gesehen habe. Ist das auch wirklich die Mia, die ich meine oder habe ich mir das nur eingebildet? Aber wie viele Mia Diaz gibt es in Chicago?! Ihre Haare sind dunkel, das Makeup dick aufgetragen und sie wirkt dünner, als sie ohnehin war. Zuerst denke ich, dass ich mich wirklich versehen habe, doch als sie den Kopf nach vorne bewegt, erfriere ich zu Eis.

Es ist Mia.

Es ist diese eine Mia, für die ich alles stehen und liegengelassen habe. Die Mia, wegen welcher ich meine Hochzeit habe sausen lassen und die Mia, die ich noch liebe.

Meine ... Mia.


"Danke, Tom." Ihre Stimme durchzuckt meinen Körper wie elektrische Impulse und plötzlich kann ich mich wieder an sie erinnern.
An ihren Duft, das Gefühl ihrer Lippen auf meinen, ihre Haut auf meiner.
Sie war nie weg, sie war nie in L.A, sondern immer hier in Chicago. Wie oft bin ich nach Los Angeles geflogen, nur um die Chance zu haben, sie durch Zufall auf den Straßen zu sehen und die Möglichkeit zu haben, sie noch einmal zu spüren? Zu hören, zu fühlen? Jetzt macht auch alles Sinn, sie hätte nie in L.A sein können, Arnold hat hier eine Zweitfiliale eröffnet und Mia, gottverdammt Mia leitet sie. Ich dachte immer, ich hätte ihr zugehört, aber als sie von ihren Träumen erzählt hat, habe ich immer abgeschaltet. Ich wollte nie hören, was ihre Träume oder Vorstellungen sind, was sie in ihrer Zukunft machen will, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, sie in dem jeweiligen Moment zu benutzen und gebrauchen, weil ich Amanda aus meinem Kopf haben wollte, aus Angst, ich könnte kein Teil ihrer Zukunft sein. Ich allein habe Mia in die Arme eines anderen Mannes getrieben und sie jetzt neben Ellis zu sehen, fickt meinen Kopf. Das kann einfach nicht wahr sein. Das ... ist unmöglich. 

"Das ist nicht wahr", hauche ich wütend und sehe zu, wie er ihre Lippen küsst. Das Glas in meiner rechten Hand zerspringt und das Klirren des Glases auf der Tischdecke reißt mich in das Hier und Jetzt zurück. Das kann einfach nicht wahr sein. "Fuck." Blut fließt an meiner Hand herab und tropft auf die Scherben. Sofort nimmt Chris eine der Servietten und wickelt sie um meine Hand.
"Sagte er nicht, sie sind nur Freunde?" Anthony ... wusste davon?
"Komm steh auf, wir gehen." Zusammen mit Anthony zieht Chris mich auf die Beine und mit zum Hinterausgang. Ein anderer Mann hat ihre Lippen geküsst. Das ... Mia ... Ich blende den Gedanken, sie loslassen zu müssen, komplett aus und sehe noch einmal zurück. Sie ist von der Bühne verschwunden und Ellis nimmt einen Preis entgegen, den er gar nicht verdient hat. Denn, sein eigentlicher Preis, ist Mia. Einen größeren Gewinn kann dieser Mann gar nicht machen. 

Mia.

Die Frau, die mehr von meiner Seele kannte, als von ihrer eigenen. 

Mia, die Frau, die mich noch immer in meinen Träumen verfolgt und heimsucht, wie ein Virus, eine tödliche Krankheit. 

Die Frau, die ich noch immer liebe, noch immer begehre, als wäre ich eben erst aus dem Auto gestiegen und auf sie zugegangen. 

Herbstregen -Sebastian Stan / Chris Evans Buch2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt