88.

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Ich schob meine Beine gerade in die Richtung der geöffneten Autotür und wollte heraus hüpfen, da bemerkte ich Lennard, der geknickt auf der Stufe vor unserer Haustür saß und zu warten schien und hielt perplex inne. Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen. Was wollte er hier?
Mein Entspannungsbad rückte gerade in weite Ferne, doch sofort erinnerte ich mich an Leons komischen Andeutungen in der Strandbar auf Ibiza und machte mir Sorgen um ihn.
Irgendwie kam ich total darüber hinweg, wie konnte das nur passieren?
„Hey, was machst du denn hier?" Marco schlug mit meinem kleinen Bruder ein und zog ihn in der selben Bewegung von der Stufe hoch. Ich schlug währenddessen die Autotür hinter mir zu, bevor ich mich zu ihnen gesellte. Lennard warf mir einen unsicheren Blick zu, bevor er mit den Achseln zuckte: „Mir war langweilig." murmelte er bloß. Ich legte meinen Kopf schräg - es wurde für mich irgendwie kein Schuh daraus, wie er sich gerade verhielt. Seine Tasche von Training hatte er neben sich liegen, er kam also schon direkt danach hierher. „Langweilig?" platzte es also überrascht aus mir heraus: „Wo ist denn Leon?" wollte ich prüfend wissen „In der Heimat, bei seiner Familie." brummte Lennard. Ja, die wohnte schließlich noch in unserer eigenen ehemaligen Heimat und er war bereits monatelang hier: „Wollen wir hier Wurzeln schlagen? Oder darf ich mit herein kommen?" grinste er daraufhin plötzlich ablenkend. Marco nickte mir ebenso grinsend zu und deutete zur Haustür - er hatte seinen Haustürschlüssel wohl nicht dabei. Ich ging also vor, schloss die Tür auf und setzte mich sofort an den Esstisch in der Wohnküche. Erschöpft legte ich den Kopf in den Nacken und fasste mir immer noch mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Leistengegend. So viel zu die Schmerzen seien schon weg. Als ich mich wieder aufrichtete, schaute ich in Marcos besorgtes Gesicht. Ich gab es ja zu, vielleicht hatte ich mir tatsächlich etwas zu viel zugemutet. Ich winkte unauffällig ab, als Marco mir einen entschuldigenden Blick zu warf. Lennard schien es schlecht zu gehen und das war mir im Moment wichtiger als das versprochene Entspannungsbad. „Hast du schmerzen?" fragte dieser dann plötzlich stirnrunzelnd. Ich zuckte mit den Achseln: „Ne, nicht wirklich. Ich bin nur müde. Marcos Schwester sagt, das seien Mutterbandschmerzen - das Baby wächst." redete ich mich heraus. Er schaute ganz misstrauisch. „Also wenn du mich fragst Lennard" begann Marco von der offenen Küche aus: „liegen die Schmerzen auch daran, dass deine Schwester schwere Möbel in ihrer alten Wohnung hin und her schleppt." er warf mir einen vielsagenden Blick zu, als er mit Gläsern, Getränken und dem Flyer meiner Lieblingspizzeria auf uns zu kam. „Du spinnst doch." Lennard schüttelte seinen Kopf. Ich zuckte mit meinen Achseln: „Es war ein Tisch." murmelte ich rechtfertigend. Lennard schnappte den Flyer mit seinem Mittel- und Zeigefinger und schlug ihn neugierig auf: „Oh Pizza, darauf hätte ich jetzt auch Lust.", „Bestell doch mit." lud ich ihn ein. Jetzt war er ja eh da. „Ne, ich will eure Zweisamkeit ja nicht den ganzen Abend stören." grinste er und legte ihn wieder hin. „Lennard" seufzte ich langgezogen. „Du kannst ruhig mitessen." schaltete auch Marco sich ein. Für ihn war mein zweiundzwanzig Jähriger Bruder mittlerweile wie ein eigener Bruder. Ich wusste, ihn störte so etwas ganz und gar nicht. Ob wir jetzt zu zweit oder zu dritt auf dem Sofa die Pizza verdrückten - das war ganz egal. „Ja gut - aber nur weil die Pizzeria so lecker ist." Ließ er den wahren Grund seines Bleibens gekonnt unter den Tisch fallen. „Wie lange ist Leon denn in der Heimat?" fragte Marco nach. Er schien auch zu ahnen, dass Ärger im Paradies anstand. Wenn ich so recht überlegte, nahm man von den Beiden im Urlaub auch kaum Notiz. Es schien wirklich schon länger etwas zwischen ihnen zu stehen. Wahrscheinlich war es das, was Leon mir versucht hatte zu erzählen. „Ach, frag mich nicht, ich habe wirklich keine Ahnung." bestätigte Lennard mit seiner desinteressierten Aussage meine Vermutungen. Marco runzelte seine Stirn: „Sowas weiß man doch" murmelte er nur leise. Ich räusperte mich: „Warum bist du denn nicht zusammen mit ihm gefahren?" hakte ich nach. „Sagt mal, ist das hier ein Verhör oder was?" ranzte er uns plötzlich an, schaute aber ununterbrochen zu mir: „Ob ich wohl Verpflichtungen hier habe? Ich kann zwar diese Woche noch nicht mit der Mannschaft trainieren, ich muss aber trotzdem jeden Tag zur Reha antanzen. Außerdem beginnt nächste Woche das Trainingslager und da werde ich sowas von dabei sein." Ich hob wortlos, aber dafür beschwichtigend meine Hände und stand so hastig von meinem Stuhl auf, dass er knarzend über die Fliesen rutschte. Seine Laune war nicht nur wechselhaft sondern auch unaushaltbar. Das würde ja ein toller Abend werden. „Marco, ich nehme die achtunddreißig." lächelte ich ihn schnell an an. Er nickte zwinkernd: „Habe ich mir schon gedacht." daraufhin huschte ich hoch - ich konnte nicht länger dort in meiner engen Jeans sitzen. Nachdem ich mir etwas bequemes angezogen hatte, bemerkte ich als ich unten wieder ankam zuerst, dass es draußen Gewitterte. So langsam trudelte der Spätsommer ein. Wenigstens konnte man sich dann erlauben auf dem Sofa herum zu lungern.
„Lennard, hör doch bitte auf Yve so anzuranzen, sie hatte einen anstrengenden Tag und will dir doch nur helfen." hörte ich Marco plötzlich leise sagen, kurz bevor ich die Wohnküche betreten wollte. Doch ich blieb stehen - zu neugierig war ich auf Lennards Antwort.
„Ja, das war gerade etwas too much. Aber immer dieses Ausgefrage, das kann ich nicht haben." murmelte er. „Was ist denn los? Ist etwas zwischen euch beiden vorgefallen?" versuchte es Marco erneut verständnisvoll. „Ich will nicht drüber reden." brummte Lennard sofort. „Musst du ja auch nicht, aber dann sei wenigstens nicht so schlecht gelaunt." lachte Marco leise - aus Verzweiflung. „Ja ist ja gut. Ich reiße mich jetzt zusammen." versprach Lennard ihm. Na wenigstens etwas. ein wenig schlecht fühlte ich mich schon, als ich den Raum betrat do als ob ich sie gerade nicht belauscht hätte.
„Ah da ist sie ja wieder. So sieht es viel gemütlicher aus um deine kleine Kugel herum!" schmunzelte Lennard. Überrascht wie schnell seine Laune wieder ins Gute umschlagen konnte, lächelte ich ihn an und drehte mich des Spaßes halber präsentierend vor den beiden hin und her. Marco begann zu lachen, bevor er nach meiner rechten Hand griff und mich auf seinen Schoß zog: „Wir haben schon bestellt." weihte er mich ein. Wie auf Abruf begann mein Magen zu knurren. Dankbar drückte ich ihm einen Kuss auf die Lippen.
„Oh man, nächstes Mal überlege ich es mir drei Mal, ob ich hier her komme, wenn ich Langeweile habe. Seit wann seid ihr zwei denn so verliebt ineinander?" kam es brummend von Lennard, während er seine Arme vor der Brust verschränkte und sich ein Lächeln verkniff.
Aus trotz drückte ich Marco einen weiteren Kuss auf die Lippen und zwinkerte ihm zu.

Schmetterlingseffekt IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt