33.

1.1K 62 13
                                    

Ein paar Tage und viel Abstand zu mir später erschien Lennard wieder beim Training und verhielt sich normal, als wäre nichts gewesen. Es war total merkwürdig, aber in mir stieg die Hoffnung auf, dass er sich wieder eingekriegt hatte. Seit unserem Streit redeten wir zwar nicht viel, aber er erschien mir glücklicher als zuvor und er ging zum Fußball, das reichte mir für's Erste.
An dem Abend war ich so aufgewühlt, dass ich Marco angelogen hatte und mich total distanziert ihm gegenüber verhielt, weil ich mich so darüber ärgerte. Jetzt, wo es Lennard besser zu gehen schien, schob ich diese Lüge immer weiter zurück in mein Gedächtnis, verdrängte sie also und spielte sie herunter, obwohl ich wusste, dass es nicht fair ihm gegenüber war. Es war immerhin wirklich keine große Lüge - und er schien sich nicht weiter über mein Verhalten geärgert zu haben. Ich redete mir also ein, dass alles gut sei.
Dennoch - egal wie sehr ich alles verdrängte, in meinem tiefsten Inneren wusste ich, dass Lennards nächste schlechte Phase nur so auf sich wartete, ich Marco nicht anlügen durfte und, dass es nicht normal war das ich jedesmal wenn ich abends unterwegs war oder den Laden verließ so ein mulmiges Gefühl in der Magengegend verspürte.
Es vergingen wenige Wochen, der Frühling setzte sich so langsam durch und das Schlimmste vom Schlimmsten stand an - mein Geburtstag. Die neue Zahl machte mir ein wenig Angst. War man mit dreißig schon alt? Andere nicht, aber ich irgendwie schon. Auch das versuchte ich zu verdrängen.
Ich hatte es so sehr verdrängt, dass ich nicht mal verstand, warum Jenny so darauf bestand, dass sie an diesem morgen arbeiten ging und ich frei hatte, aber nahm es so hin. Den Abend davor verbrachte ich bei Marco, der kein Sterbenswörtchen darüber verlor, aber ehrlich gesagt war es mir eben genau recht so. Ich wollte diesen Tag nicht feiern, vor allem nicht während Lennard und ich stritten. Meine eigenen Geburtstage mochte ich noch nie.
Als ich am nächsten morgen meine Augen langsam öffnete, dauerte es einen kurzen Moment bis ich realisierte, dass ich in Marcos Bett lag. Müde drehte ich mich auf die Seite. Marco war nicht mehr im Bett. Es erleichterte mich ein wenig, ich hatte schließlich schon Angst vor überschwänglichen Geburtstagswünschen. Obwohl - wenn ich Glück hatte, wusste er gar nicht, dass ich Geburtstag hatte. Damals sind wir erst nach meinem Geburtstag nach Dortmund gezogen und dann hatte er den Verein gewechselt. Plötzlich wurde leise die Zimmertür aufgedrückt und Marco kam bereits fertig gemacht, mit zwei Tassen Kaffee in der Hand in den Raum. Wie spät war es denn schon? Ein wenig schockiert stellte ich fest, dass es schon zwölf war. Der Schlaf tat mir aber mehr als gut. Vielleicht brauchte ich ihn ja. Quasi ein Geburtstagsgeschenk an mich selbst. Ich streckte mich und lächelte den gut aussehenden Blondschopf an, der die Tassen zunächst auf dem Nachttisch abstellte und sich dann unter die Decke zu mir quetschte. Er legte seinen Arm um meine Schultern und drückte mich an sich: „Guten Morgen Schlafmütze." grinste er leise und küsste meine Schläfe. Ein wenig beschämt schaute ich zu ihm hoch: „Warst du schon weg?" fragte ich vorsichtig, während meine Wangen einen hellen Rotton annahmen. „Bin schon fertig für heute." zwinkerte er. Ich seufzte: „Ich glaube der Schlaf tat mir ganz gut.", „Ich glaube auch. Du warst die letzten Tage immer bis spät abends im Shop.", „Der läuft gerade nicht so gut." gab ich zähneknirschend zu. Ich entspannte mich ein wenig, glücklicherweise gab es keinen Anschein von Geburtstagsduselei. Marco reichte mir die Kaffetasse: „Danke!" freute ich mich. Als der liebe Herr da oben die Aufmerksamkeit verteilte, war Marco wohl Erster in der Schlange. Am liebsten hätte ich ihm ein ich liebe dich an den Kopf geworfen, aber wir wollten ja nicht gleich übertreiben, trotzdem lagen diese Worte mir ständig auf der Zunge.
Wenig später stellte Marco seine leere Tasse wieder auf den Nachttisch und lächelte mich so wohlwissend an. Mist, doch Geburtstagsduselei. „Yve, ich weiß von Lennard, dass du deinen Geburtstag nicht gerne feierst." gab er sich zu bekennen. Ich lehnte mich über ihn, stellte meine Tasse auch ab und schaute ihm tief in die Augen. „Trotzdem, herzlichen Glückwunsch." wisperte er und drückte sanft seine Lippen auf meine: „Ich wollte auch nicht dreißig werden, aber es ist nur halb so schlimm, versprochen." versuchte er mich aufzumuntern. Damit entlockte er mir sogar ein Lachen: „Hört sich gut an." murmelte ich gegen seine Lippen. Ich schloss meine Augen und spürte kurz darauf seine Lippen wieder auf meinen. Ja, das fühlte sich gut an.
„Ich stehe nicht so auf Geschenke." warnte ich ihn vor, als ich mich von ihm löste und mich an seinen Oberkörper kuschelte. „Ich auch nicht." gab er zu und fuhr zärtlich durch mein Haar. Auf meinen Lippen bildete sich ein Grinsen. Mir wurde immer klarer, wie sehr Marco doch zu mir passte. Nie hätte ich das für möglich gehalten. Er hatte oft die selben Ansichten wie ich, war aber Gleichzeitig gelassener und ruhiger als ich, was mir total gefiel. Abstreiten, dass ich schon vorher Gefühle für ihn hatte, konnte ich nicht. Jetzt aber, konnte ich sie kaum unter Kontrolle halten. Am liebsten hätte ich jede freie Minute mit ihm verbracht. Ob es ihn auch so erging?
Abends machte ich mich extra schick, nachdem er mich dazu überredet hatte, dass wir essen gingen. Da er den ganzen Tag nicht aufgebauscht hatte, willigte ich ein. Auf dem kurzen Weg vom Auto zum Restaurant griff er wie selbstverständlich meine Hand. Die niemals schlummernden Schmetterlinge in mir befanden sich direkt im Rush Hour Zustand. Dieser Geburtstag war vollkommen nach meinem Geschmack, spätes Frühstück, frei und kuscheln mit ihm. Der Tag war ruhig, ungezwungen und liebevoll. Marco führte mich durch das angesagte Restaurant, bis wir an einem kleinen Tisch ankamen, an dem Jenny, Schmelle und Mats, seine Frau, Julian und sogar mein Bruder bereits auf uns warteten. Er war schön geschmückt, es stand ein toller Blumenstrauß auf ihm. Neben dem Tisch befanden sich zwei Heliumballons, die eine dreißig bildeten. „Happy Birthday Maus!" lachte Jenny ausgelassen und zog mich in ihre Arme. „Die Ballons waren meine Idee, schließlich muss man dich gebürtig im Ü30 Club aufnehmen." zwinkerte Marcel frech, nachdem er mich umarmte. Ich schüttelte amüsiert meinen Kopf. Lennard nickte mir zu und wünschte mir ebenfalls distanziert alles Gute. Es war in Ordnung, wenigstens war er da. Nachdem wir uns setzten strahlte ich Marco glücklich an und konnte nicht anders, als meine Hände auf seine Wangen zu legen und ihn liebevoll zu küssen: „Danke!" wisperte ich. Er zwinkerte mir zu. Einen Tag ohne Streit oder Stress, aber dafür mit guten Freunden. Irgendwie waren besonders Marco, Jenny und Marcel zusätzlich zu meinem Bruder wie eine eigene Familie für mich geworden. Genau das und gutes Essen hatte ich gebraucht.
Wer brauchte da schon eine Mutter, die sogar den Geburtstag ihres Kindes vergaß?

Schmetterlingseffekt IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt