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„Man, hätte ich das vorher gewusst!" maulte Jenny erschöpft und setzte sich auf den Hocker hinter der Kasse. Vor Neujahr wollten wir unbedingt die Inventur fertig haben und legten uns heute dafür extra ins Zeug. „Für nächstes Jahr müssen wir unbedingt auf dem Schirm haben, ein paar Schüler oder Studenten dafür anzuheuern." grinste ich, als ich mich am Kassentisch hochzog und mich drauf setzte. Meine Füße, sie taten höllisch weh. Jenny nickte begeistert: "Ja voll, warum sind wir da nicht eher drauf gekommen?" fragte sie mich euphorisch. Ich zuckte mit meinen Achseln: "Weiß nicht, jedenfalls sind wir jetzt fast fertig und es lohnt sich nicht mehr sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Den Rest schaffen wir auch zu Zweit." murmelte ich. Plötzlich klopfte es an der noch weihnachtlich geschmückten Glastür. Jennys Mann Marcel kam vollbepackt in den Laden, nachdem ich ihm die Tür öffnete: "Sind das Zimtschnecken?" fragte ich ihn fast schon schmatzend, als der Duft an mir vorbeizog. Er drückte mir grinsend die Tüte in die Hand: "Hier für dich." lachte er. Ich öffnete sie und begann mir das Teil in den Mund zu stopfen: "Man Schmelle, du bist echt der Beste. Ich bin am verhungern." schmatzte ich mit vollem Mund. Er lachte bloß. "Was führt dich hier her? Abgesehen vom Essen vorbeibringen?" schmatzte nun auch Jenny nachdem sie mir gekonnt die Tüte vom Bäcker entwendet hatte. Ich warf ihr einen bösen Blick zu. Marcel kratzte sich am Hinterkopf: "Ich komme gerade vom Training für das Benefizspiel heute Abend und - naja-" begann er plötzlich zu zögern. Ich runzelte die Stirn, als er sich zu mir drehte. "Marco - er, naja - er ist wieder da." murmelte er. Jenny fing an laut los zu prusten: "Das hört sich an, als wäre der dritte Weltkrieg ausgebrochen." Ich hingegen schluckte. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Im Umkehrschluss konnte ich also diesmal nicht mit meiner besten Freundin mit lachen. "Er ist nur zu Besuch über die Feiertage, also er ist nicht ganz wieder da. Nichts wildes." berichtigte er sich. Was ein Glück. Seitdem Marco nach England gegangen ist, hatten wir nur ein Mal Kontakt. Ich bin nämlich tatsächlich herübergeflogen und als wäre das nicht schon schlimm genug, hatte ich auch mit ihm geschlafen - oder er mit mir? Egal, es war dumm und naiv. Weder Jenny und Marcel noch mein Bruder Lennard wussten davon. Es war auch nur ein Wochenende. Ich dachte mir, ein Spiel von Liverpool zu sehen würde sich immer lohnen und es ihm versprochen ihn zu besuchen hatte ich auch bei seinem Abschied. Das alles wieder so aus dem Ruder lief war zu erwarten, aber es war im Sommer am Ende der letzten Saison und immerhin ein halbes Jahr her. Marco bedeutete mir viel und vielleicht dachte ich, es könnte zwischen uns doch noch etwas werden. Seitdem aber, meldete weder er sich, noch ich mich und somit war der Zug dann auch wieder abgefahren. Wie dem auch sei, ihn wieder sehen musste ich nicht unbedingt. Ich fühlte Freude und Angst zugleich und hoffte, dass er nicht auf die Silvesterparty nach dem Benefizspiel ging: „Nichts wildes." äffte ich Marcel also mit einem nervösen Lachen, kaum hörbar, nach. Wenn ich an Marcos Berührungen dachte, dann lief mir eine fette Gänsehaut den Rücken herunter. Und diese Küsse erst. Mal ganz zu schweigen von seinem Duft und seinen Können im Bett. „Yve, bist du noch anwesend?" fragte Jenny mich verwundert. Ich schreckte auf: „Ja klar, ich war nur in Gedanken." gab ich zu und wurde ganz rot. Peinlich. „Wegen Marco?" fragte Marcel grinsend. Ich zuckte mit den Achseln: „Kann sein. Ich muss auf jeden Fall gleich los zum Benefizspiel und wenn ich daran denke, dass er da herumrennt bekomme ich doch glatt Panikattacken." ich verdrehte meine Augen. „Wenigstens darfst du die Inventur schwänzen. Marcel willst du ni-", „Ich bin schon weg. Auch wegen des Spiels." Schmelle drückte seiner Frau einen Kuss auf die Wange und zwinkerte mir zu bevor er die Ladentür wieder von außen schloss. „Toll, was habe ich bloß für einen Vogel geheiratet?" murmelte Jenny eher zu sich selbst. „Durch die neuen Umstände kannst du gerne für mich den Verkauf der Pullis übernehmen." gab ich zu uns spielte genervt mit meinem Haar herum. „Kommt gar nicht in Frage! Die Pullover waren deine Idee für unseren Beitrag für das Benefizspiel. Als exklusiver Shop vom BVB war das Teil unseres Vertrags. Du willst doch nicht deine harte Arbeit für den Blonden Sunnyboy wegwerfen? Die Teile sehen klasse aus.", „Ist ja schon gut." murmelte ich und zog mir den dunklen der Pullover über den Kopf. Ich hatte einen schwarzen Pullover mit graugelben Aufdruck und einen Gelben mit schwarzen Aufdruck designed, der Druck war der Umriss des Stadions, das BvB-Emblem und die Aufschrift „Dortmunder Jung". Der Verein hatte den Druck bereits vorab veröffentlicht und Julian Brandt und Mats Hummels hatten dafür Modell gestanden. Ich war mir sicher, dass sie weggingen wie warme Semmeln. Das Benefizspiel war für sozialschwache Familien angesetzt worden. Es spielten die Allstars gegen den A-Kader. Lennard war schon seit Tagen aufgeregt wegen des Spiels. „Du kommst aber vorbei sobald du hier fertig bist, richtig?" versicherte ich mich und hoffte auf ihre seelische Unterstützung. Jenny nickte: „Ja und jetzt geh schon!" gackerte sie, als sie mich förmlich aus dem Laden heraus schob.
In Brackel angekommen, konnte man sich kaum vor den Menschenmassen retten.
„Ich habe noch ein paar Kartons von den Pullovern im Auto und gehe mich mal kurz umschauen. Wenn etwas ist ruf mich ruhig an, meine Nummer hast du ja." sagte ich zu unserer Aushilfe die auch in unserem Laden arbeitete, sie nickte lächelnd und lies mich gehen.
Schon beinahe vorsichtig bewegte ich mich in Richtung Pommesbude. Ich hatte einen Bärenhunger. Wie eine Verfolgte guckte ich mich die ganze Zeit um, aus Angst Marco wieder zu sehen. Man war ich bescheuert, dachte ich als ich mit der gut aussehenden Pommes mit Ketchup in der Hand vom weiten einen Blick auf das Spielfeld warf. Warte mal, diesen schwarzen Mantel zusammen mit den blonden Haaren - ich runzelte die Stirn und verschwand kauend hinter einer Masse von Menschen. „Scheiße sind die Dinger heiß!" fluchte ich leise vor mich hin. Das war doch Marco gerade. Zu hundert Prozent war er das. Ich ging fast schon ein wenig hastig in Richtung Stand. Als ich mich eben nachdem ich ihm von hinten gesehen hatte wieder zu der Stelle umdrehte, war er nicht mehr da. Das war ein gutes Zeichen. Ich verfrachtete die Pommes in den Müll und zog meinen Pulli ein Stück weiter herunter. „Und wie läufts?" lächelte ich das junge Mädchen an. „Super!" grinste sie. Ich nickte zufrieden: „Sieht schon leer hier aus, ich hole mal Nachschub.".
„Da haben mich alle gelobt ich würde gut aussehen in deinen Pullovern, dabei siehst du viel besser aus." grinste mich ein Blondschopf von der Seite an. Zog ich die irgendwie an wie der Mist die Fliegen? „Julian!" grinste ich dennoch: „Wo du gerade hier bist, trägst du die Kisten mit mir zusammen?" versuchte ich das Beste aus der Situation zu machen als ich ihn an Leinenbeutel antraf. Er schüttelte den Kopf und zeigte auf seine Krücke: „Bin beim Spielen mit meinem Neffen umgekippt." erklärte er zerknirscht. „Oh - wie ärgerlich?" meine Aussage klang eher wie eine Frage. „Ich gehe dann mal den Rest des Spiels ansehen." verabschiedete er sich. „Dann eben nur zwei Kartons erstmal." murmelte ich zu mir selbst. Was ein Gentleman diese dämlichen Fußballstars. Total selbstgefällig. „Man sind die Dinger schwer!" beschwerte ich mich erstmal, als ich zum dritten Mal an diesem Nachmittag am Stand ankam. Als ich aufblickte rutschte mir mein Herz in die Hose. Ich träumte doch gerade oder stand er genau jetzt hier an diesem Stand?

Schmetterlingseffekt IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt