112.

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Es dauerte keine zwei Stunden mehr, bis die Kleine das Licht der Welt erblickte.
Und obwohl ich noch vor wenigen Monaten sagte, als ich bereits unwissentlich schwanger war, dass ich keine Kinder wollte, wusste ich schon beim ersten Aufschrei meiner Tochter, dass ich niemanden jemals so sehr und auf diese Art und Weise geliebt habe oder auch lieben werde, wie sie.
Es war gut, dass man die Schmerzen sofort vergaß, wenn das kleine Wunder in den eigenen Armen lag und vor allem war ich froh, dass Marco es tatsächlich noch geschafft hatte zu kommen. Kaum auszudenken, ich hätte das Kind alleine bekommen müssen - nichts gegen Jenny, aber Marco war mein Mann und der Vater. Ohne seine beruhigende Art wäre ich wahrscheinlich im Dreieck gesprungen und ich glaube, dass Jenny ebenso froh war mich so nicht erleben zu müssen - enge Freundschaft hin oder her. Obwohl ich wusste, dass sie ohne mit der Wimper zu Zucken dabei geblieben wäre.
Das Gefühl eine Mutter übermannte mich auf einer gewissen Art und Weise mit der ich nicht gerechnet hatte, hatte ich doch glatt nach all den Strapazen der letzten Jahre vergessen wie sich wahre mütterliche Liebe anfühlte und nun durfte ich dieses Gefühl selbst erleben. Zusammen mit Marco, der seit ein paar Wochen erst mein Ehemann war - etwas das ich auch nie gedacht hatte. Wir waren eine intakte, liebevolle kleine Familie- und ich wusste, dass ich alles erdenkliche tun würde um genau das zu beschützen was mir am meisten bedeutete. 'Nen Teufel würde ich tun jetzt irgendjemandem nachzutrauern, nur weil meine Mutter sich gegen mich und Lennard entschieden hatte. Der Zug war abgefahren. Ich konnte nun noch weniger verstehen, wie man seinen eigenen Kindern so etwas antun konnte, wie meine Mutter Lennard und mir.
Erschöpft riss ich nach einem kurzen Schlaf meine Augen auf und schaute mich panisch um. Marco saß auf einem Stuhl neben meinem Bett und hatte unser, wie in einem süßen Kokon eingewickeltes Baby auf seinem nackten Oberkörper gelegt und kuschelte mit seiner schlummernden kleinen Maus. Mein Herz hüpfte ein Paar Takte schneller als ich die Zwei so sah. „Schlaf ruhig weiter, du musst dich erholen." lächelte Marco flüsternd. Ich schüttelte meinen Kopf: „Bin hellwach." wir beide strahlten uns an. Marco stand so vorsichtig wie möglich mit unserer Kleinen auf der Brust auf und deutete mir, dass ich etwas rücken sollte. Gesagt getan, ich quälte mich zur Seite des kleinen Betts und er setzte sich zu mir. Lächelnd lehnte ich meinen Kopf an die freie Seite seiner Brust und strahlte unser tief schlummerndes Kind an. Marcos Lippen berührten liebevoll meinen Haaransatz, bevor er sich räusperte und seinen freien Arm um mich legte: „So habe ich mir das vorgestellt. Prinzessin eins und zwei neben mir, alles läuft glatt und die kleine ist wie ich ein Kind das nur schläft und nicht schreit." flüsterte er begeistert. Ich schaute zu ihm hoch: „Marco, sie ist drei Stunden alt." ermahnte ich ihn grinsend: „wir wissen doch noch gar nicht, ob sie irgendwann doch ständig schreit oder nicht.", „Ach, das passt schon." winkte er lachend ab. „Weißt du, was wir ebenfalls nicht wissen?" fragte er. Ich schüttelte meinen Kopf. „Wie sie heißen soll." setzte er mich in Kenntnis. Meine Augen wurden groß. Er hatte recht.
Gerade als ich zum Reden ansetzen wollte, stürzte die Tür auf: „Oh!" machte Marcos Mutter als die beiden das Zimmer betraten und kamen ins stocken. „Wir können auch später wiederkommen." flüsterte sie, während sie ihre Enkelin bereits fixierte. Thomas schaute seinen Sohn entschuldigend an. „Quatsch, Marco hat euch doch geschrieben. Natürlich sollen die Großeltern zuerst ihre Enkelin sehen." Ich strahlte die Zwei an und gab Marco zu verstehen, dass er seine Tochter jetzt leider auch mal aus seinen Armen geben musste, auch wenn ich wusste, dass es ihm unglaublich schwer fiel. Das Jenny die Kleine schon zuerst in den Armen - nach uns - hielt, verschwieg ich natürlich. Er hievte sich aus dem Bett und wartete darauf, dass seine Eltern sich ihrer Jacken entledigten. „Wer möchte zuerst?" warf er scherzend in die Runde. Thomas schaute zu Manuela: „Du darfst. Ich suche noch schnell Hendrik." grinste er und schaute zu mir: „Er ist schließlich auch der Großvater und sollte dabei sein." zwinkerte er mir zu - und schon war er verschwunden, um meinen Vater zu suchen. Mir wurde ganz warm ums Herz. Natürlich wollte ich unbedingt, dass auch mein eigenerer Vater seine Enkelin sah. Vielleicht wusste er auch, wie es Lennard ging, denn es fiel mir unglaublich schwer, nicht sofort aufzuspringen um selbst nach ihm zu fragen. Ich wusste aber genau, dass Lennard es nicht gewollt hätte, dass ich mich nicht völlig auf meine Familie konzentrierte.
Während Manuela unsere Tochter im arm hielt, platzten Thomas, mein Vater und Leon plötzlich in den Raum. Er strahlte mich an: „Da ist ja meine Lieblingstochter." grinste er zwinkern und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe. Ich erstarrte kurz - das hatte er noch nie gemacht und dennoch fühlte es sich unglaublich gut an, danach stellte er sich hinter Manuela und strich der Dame der Stunde - Marcos und meiner Tochter - über die Wange. Leon setzte sich neben mich: „Lennard geht es gut, er ist im Aufwachraum." flüsterte er mir zu. Ich schluckte: „OP?" zischte ich leise. Mit geschlossenen Augen nickte er: „Ja, eine sechs Stunden OP am Hirn, aber es ist alles gut verlaufen und das aller Beste ist, dass die Ärzte davon ausgehen, dass es ihm gut geht danach. Also, dass er wieder der Alte wird. Charakterlich und Karriere-mäßig." Ich seufzte lautstark, endlich fiel die ganze Anspannung und der Ballast der letzten Monate von meiner Seele ab und ich hätte schwören können, dass ich es richtig spürte. „Man, zum Glück, das hätte echt in die Hose gehen können mit dem Ödem im Hirn." Leon nickte: „Ja natürlich. Ich bin aber optimistisch, dass er sich jetzt erst recht zurück kämpft. Im Fußball und privat. Für seine Nichte - mindestens. Und ich werde alles dafür tun, dass wir beide wieder eine vernünftige, gesunde Beziehung führen." grinste er. Ich umarmte ihn liebevoll: „Ich bin stolz auf dich - und froh, dass ich dich so kennenlernen durfte, wie du wirklich bist." grinste ich. „Wer hätte gedacht, dass wir mal so eng werden." klinkte Marco sich plötzlich ein, der alles mitgehört hatte. Ich nickte meinem Blondchen zu und drückte ihm einen Kuss auf die Wange - nicht, dass er sich vernachlässigt fühlte.
„Entschuldigen Sie Frau und Herr Reus, die Geburtsurkunde benötigt nur noch den Namen ihrer Tochter." meldete sich plötzlich unsere Hebamme und warf uns einen erwartungsvollen Blick zu. Marco grinste mich wissend an. Lächelnd gab ich also nach und er griff nach dem Stift und trug ohne zu zögern den Namen ein, den er unserer Tochter von Anfang an geben wollte. „Esther" setzte ich unsere Familie in Kenntnis. Sie nickten begeistert. „Ein schöner Name, Esther Reus." grinste Thomas. „Ja, vor allem weil er Stern bedeutet. Passt doch." strahlte Marco stolz, während sich die Hebamme lächelnd, aber kopfschüttelnd zurück zog.
„Dann werde ich meiner Frau in Amerika und deinen zwei Halbbrüdern wenn ich morgen ankomme sofort erzählen, dass wir Esther sobald wie möglich besuchen werden - und vielleicht auch nach Deutschland auswandern müssen." strahlte er. „Du gehst schon wieder?" Er nickte: „Es muss sein, die Firma braucht mich und meine Frau und meine zwei Söhne haben schon Angst, dass ich gar nicht mehr zurück komme. Aber ich meine es ernst - wenn es für dich und Lennard in Ordnung ist, dann werde ich die drei Mal fragen, was sie von Deutschland halten." zwinkerte er mir zu. Ich nickte euphorisch: „Ja! Mit zehn Ausrufezeichen!" grinste ich. „Hättest du nicht auch mal so euphorisch zu mir Ja sagen können?" Marco schmollte gespielt, als er mir Esther - unsere Tochter in die Arme legte. Ich drückte das kleine warme Wesen so eng wie es für sie angenehm war an mich und drückte ihr einen liebevollen Kuss auf die Lippen. Dann lachte ich über Marcos Worte.
Ich war einfach froh, dass sich das Blatt so positiv gewendet hatte, dass Marco und ich glücklich waren, dass es Lennard wieder gut gehen würde, dass Leon um ihn kämpfen wollte, dass Jenny und ich Selbstständig bleiben durften mit der Hilfe von Lennard, Marco, Schmelle und unseren wunderbaren Freunden, dass ich meinen Vater kennenlernen durfte, dass ich ein gesundes Mädchen zur Welt bringen durfte.
So aussichtslos mir das letzte Jahr doch erst erschien - es änderte sich alles um hundertachtzig Grad, zum Guten.
Vor allem aber war ich froh, dass ich an mir gearbeitet hatte und aus dem gelernt habe, was passiert ist.
Jetzt war ich bereit mein Leben für mich zu Leben und nicht für alle anderen und deren Erwartungen - in einem nicht egoistischen Sinne.
Und ich war gespannt, was noch alles auf uns zukam.
Doch erstmal würden Marco und ich es genießen, eine Familie zu sein - wer hätte das jemals gedacht.

Schmetterlingseffekt IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt