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„Man bin ich nervös." murmelte ich kaum hörbar als ich neben Jenny durch die Katakomben des Stadions schlenderte. Sie kannte sich hier so gut aus, als würde sie selbst für den Verein spielen. Schnell erwischte ich mich dabei, wie ich mir ein wenig beschützend mit meiner linken Hand über meinen kleinen Bauch fuhr. Nach der Stadionwurst sah ich sogar die klitzekleine Beule die Lennard vorhin ansprach, von oben. Meine Aufregung übertrug sich auf jeden Fall auf das Baby. Es tanzte echt Pogo in meinem Bauch. Ich fragte mich wann Marco dieses schöne Gefühl wohl endlich spürte? Das dauerte bestimmt noch ein paar Wochen. „Warum runzelst du denn so die Stirn?" fragte Jenny mich verwundert. Ertappt rutschte meine Hand von meinem Bauch herunter: „Ach nichts. Die Aufregung." gab ich zu. Ich musste ihr endlich von der Schwangerschaft erzählen, aber nicht hier - zwischen Fußball und Schweißgeruch.
„Lennard, fühlst du dich immer noch gut?" fragte ich also sowohl prüfend als auch ablenkend. „Jaja" antwortete er hastig. Ich zog aber eine Augenbraue hoch, inspizierte ihn genau, bevor ich ihn etwas entspannter angrinste. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen auf seine Reaktion.
Als wir uns auf die zweite Spielerbank unten auf dem Platz setzten, fiel mir zuerst auf, wie viel größer das Stadion von hier unten aussah. Das war ja riesig. Danach stieg die Aufregung in mir umso mehr. Mein ganzer Körper spannt sich auf einmal an. Die Menschenmassen und Fans hatten sich bereits eingefunden. Das Stadion erstrahlte durch das sonnige Wetter vor unseren Augen. Kurz vor dem Anpfiff ertönten die ersten Töne von „You'll Never Walk Alone" und die Fans stimmten selbstverständlich sofort mit ein.
„Hoffentlich klappt alles." murmelte Leon leise neben uns. Lennard zog so gut es ging seine Augenbrauen zusammen: „Was soll denn klappen?" fragte er misstrauisch. „Sieh einfach zu!" zischte Jenny angespannt. Ich grinste, als die Banner und Farben so langsam in die Höhe gehalten wurden und die penibel geplante Choreo seinen Lauf nahm. Es dauerte keine fünf Minuten, bis die Südtribüne in einem riesigen Regenbogen erstrahle und in der Mitte ein riesiges Banner verlief auf dem Stand: „BVB gegen Homophobie" als ich merkte, dass alles klappte, wanderte mein Blick unauffällig zu Lennard. Er schluckte stark und schaute seinen Freund kurzzeitig sprachlos an, bevor seine Augen wieder zur Südtribüne wanderten, erschlagen von den hallenden Fangesängen gepaart mit der starken Message. Kurz darauf erschienen weitere Statements, die den Regenbogen durchbrachen: „Jede Liebe ist Echte Liebe" las Lennard eines der Statements laut vor. „W-w-war das deine Idee?" fragte Lennard Leon stotternd und unterbrach damit kurzzeitig die Fangesänge in meinen Ohren. Leon schüttele aber wortlos seinen Kopf und nickte in meine Richtung. „Deine?" fragte mich mein Bruder dann irritiert. Ich nickte: „Nach den Bildern im Netz von dir und Leon sind beim Verein ohnehin total viele Anfragen eingegangen, etwas gegen Homophobie auf die Beine zu stellen und Jenny und ich haben es dann zusammen durchgesetzt. Mit ein Paar ehemalige Sponsoren des alten Shops und dem Verein." grinste ich meinen Bruder vorsichtig an. Er schaute noch etwas fragend, wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte, weshalb in Blick zurück zur Südtribüne wanderte. „Och habe dem Verein vorgeschlagen, dass mein Shop eine Kampagne für Vielfalt im Fußball leitet. In ganz Dortmund hängen Plakate über genau dieses Thema ab heute Abend. Wir wollten dich unterstützen ohne, dass du dich zu irgendetwas rechtfertigen musst und ein Zeichen setzen, damit der Profifußball endlich ein ernstes Zeichen gegen Homophobie setzt. Das war dem Verein genauso wichtig wie uns und deinen Freunden." erklärte ich weiter. Ich wusste nicht so recht, wie ich seine diskrete Reaktion deuten sollte. Plötzlich hatte ich Angst, dass ihm meine Idee doch zu viel war und es ihm unangenehm war, dass ich über seinem Kopf hinweg entschieden hatte. Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Er blieb ruhig, lange. Plötzlich begangen seine Augen gefährlich an zu glitzern: „Wow, Yve ich-" begann er sprachlos: „weiß gar nicht was ich sagen soll." beendete er seinen angefangenen Satz und begann endlich zu strahlen. Schnell fiel er mir um den Hals: „Das fühlt sich gut an." grinste er daraufhin. „Das ist noch nicht alles." schmunzelte Jenny und nickte zu seiner Mannschaft, die gerade ins Stadion einlief. Seine Mannschaftskameraden trugen Trikots, die ebenfalls in dem Hintergrund des großen Werbeemblems vorne auf der Brust mit einem Regenbogen hinterlegt worden waren. Marco, der sich schnell nach seinem Wechsel die in der Saison anfänglich noch wandernde Kapitänsbinde unter den Nagel gerissen hatte, trug eine die ebenfalls in Regenbogenfarben erstrahlte. Er zwinkerte mir zu, nachdem ein aussagekräftiges Mannschaftsfoto vor der Südtribüne gemacht wurde und er an mir vorbei auf den Platz lief. „Hier" Leon verteilte an jeden von uns ein solches Trikot. Ich zog es mir sofort über das enge Kleid und ließ es locker herunter fallen, während Jenny ihres vorne zuknotete. „Hier ist ja sogar euer neues Shop-Logo drauf gestickt." staunte Lennard plötzlich, bevor er es sich vorsichtig anzog. „Dieses Sondertrikot gibt es nur bei uns zu kaufen, am Anfang der nächsten Saison." erklärte ihm Jenny stolz: „Das war alles Yves Idee.", „Schwesterherz du bist manchmal echt ein Engel auf Erden. Stell dir doch Mal vor - das ist euer Logo und es wird auch in der nächsten Saison auf unseren neuen Trikots sein. Ist das nicht der Hammer?" Lennard war total euphorisch. Ich nickte begeistert: „Das ist mehr als ich mir je erträumt habe.", „Du hast es dir verdient. Die werden euch die Hütte einrennen." murmelte mein kleiner Bruder und drückte mir einen dankbaren Kuss auf die Wange. „Nein Großer, du hast es dir verdient, dich so wohl zu fühlen, wie du wirklich bist." murmelte ich gerührt.
Lennard war eben nie ein Mensch, der abseits vom Fußball im Mittelpunkt stehen wollte. Deswegen wollte er sich nicht outen. Ich hatte es lange nicht verstanden, doch umso länger ich darüber nachdachte wusste ich auch warum. Es musste sich essenziell etwas im ganzen Fußball ändern und das konnte er mit einem Outing nicht. Er würde danach nur im Schussfeuer stehen und ändern würde sich nichts. Lennard musste den Weg für andere Generationen ebnen, denen es dann leicht fallen würde sich zu outen. Es war eine Sache der Vereine und des Fußballbunds. Die Kampagne unterstützte ihn also nicht nur auf privater Ebene sondern auch sein öffentliches Anliegen. Außerdem sagte genau diese Reaktion vom Verein hoffentlich sogar mehr aus, als ein offizielles Outing von Lennard, dass wochenlang die Presse zierte und ihm irgendwann in die Hacken rannte. Wen er liebte war reine Privatsache, egal ob Mann oder Frau.
Die Mannschaft trennte sich von den Gegnern mit einem Unentschieden, aber das war in Ordnung so. Später in den Spielfeld-Interviews war nämlich weniger die Leistung der Spieler und Vizemeister das Thema, sondern natürlich die überraschende Kampagne.
Marcos Blick wanderte immer wieder zu mir herüber, als er in seinem Sky Interview darüber sprach, dass er selbstverständlich involviert in die Kampagne war und als ich nochmal hörte, dass er betonte, dass er hundertprozentig dahinter stand, war es wie eine Liebeserklärung an mich und meinen Bruder. Meine Schwangerschaftshormone spielten direkt verrückt, am liebsten hätte ich schon wieder losgeheult, aber ich konnte es mir glücklicherweise ganz gut verkneifen. Dennoch konnte ich nicht anders als ihm verliebte Blicke zu zuwerfen. Er hatte sogar für ein Paar der Bilder für die Kampagne Modell gestanden, wie viele andere Spieler der Mannschaft. Ich hörte daraufhin ein schnelles „Nichts zu danken." bevor er dem Reporter ein souveränes Lächeln schenkte und schnell auf mich zu kam. Erleichtert und euphorisch zugleich legte er seine Hände auf seine Arme um meine Mitte und küsste mich liebevoll. Mir war es total egal, dass er so verschwitzt war und unangenehm roch. Als wir uns lösten strahlte er mich an: „Das hat ja eingeschlagen wie eine Bombe." staunte er zufrieden. Derweil versammelten sich plötzlich Marcel, Mats und Julian um Lennard herum und umarmten ihn zufrieden. Er strahlte seine Freunde an und bedankte sich, ziemlich überwältigt von allem. Ich sah ihm von hier aus seine wachsende Erschöpfung an. Er war total blass und zitterte sogar ein wenig, trotz fast dreißig Grad im Schatten. Ich warf Marco einen vielsagenden Blick zu. Wir sollten ihn schnell zum Ausruhen ins Krankenhaus zurück bringen, damit die Erholung in Ibiza nicht in Gefahr geriet. Die Reise würde uns allen gut tun.
Marco verschränkte kurzerhand unsere Finger miteinander und zog mich sanft mit sich zu unseren Freunden. „Yve, Meisterleistung." zwinkerte Schmelle mir wortkarg zu und tätschelte mir auf die Schulter. Mats zwinkerte mir zu: „Besser hätte man es nicht machen können."
Meine Wangen wurden rot und unglaublich heiß vor so viel Anerkennung. Gerade wollte ich mich bei meinen Freunden bedanken, da riss Jennys Lachen mich aus dem Konzept: „Sag Mal Yve, warum steht auf deinem Trikot eine 3 unter dem Reus anstatt einer 11. Das macht doch gar keinen Sinn, Lennard hat doch auch die 9!" fragte sie amüsiert, während immer noch ein leises Lachen ihre Lippen verließ.

Schmetterlingseffekt IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt