Kapitel 5

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Kapitel 5

Luana streifte durch den Wald, während sie nicht genau wusste, was sie tun wollte. Ragnars Worte hallten immer wieder in ihrem Kopf wider. Sie konnte nicht ganz glauben, dass sie ein magisches Wesen sein sollte.

Magie gab es in ihrer Welt nicht. Zumindest hatte sie noch nie davon gehört oder etwas gesehen. Wenn es wirklich Magie gäbe, müsste diese doch weit verbreitete sein, da war sie sich sicher. Zudem würde das den Rudeln Vorteile verschaffen, die sie sicherlich nicht einfach so aufgaben.

Vielleicht war Ragnar auch irgendwie geistig gestört? Warum sonst sollte er diese Dinge sagen? Möglicherweise hatte er sich beim Sturz mehr geschadet, als ihr und ihm klar war. Allerdings hätte sie das an seinen Augen sehen müssen. Sie hatte ihn immerhin untersucht und kannte die Anzeichen, die auf eine schwerere Kopfverletzung hindeuteten.

Luana blickte nach oben und seufzte leise. Die Sonne war schon wieder dabei, unterzugehen. Sie musste also schnell zurück, um das Abendessen mit ihrer Familie nicht zu verpassen, sonst würde sie wieder Ärger bekommen.

Sie hasste das Essen mit ihren Brüdern. Es war immer alles so gezwungen fröhlich und sie als einzige Frau am Tisch wurde sowieso oft ignoriert. Eigentlich war es nur Beron, der so mit ihr umging, doch als Alpha hatte er das Sagen und war das Vorbild. Gerade ihre jüngeren Brüder versuchten ihn nachzueifern und das ging schon bei der Behandlung der Frauen los. Diese hatten in ihrem Rudel nichts zu sagen. Sie waren nur dazu da, um möglichst viele Nachkommen zu zeugen. Man traute ihnen im Grunde nicht viel zu, weshalb sie auch Heiler waren, denn diese wurden fast nie gebraucht. Luana durfte sich nicht einmal um den Haushalt oder das Essen kümmern. Das machten ihre jüngeren Brüder. Sie war nutzlos, solange sie keinen Mann hatte. Was auch der Grund war, warum Beron unbedingt versuchte, sie an einen, in seinen Augen, guten Mann zu bringen. Das wiederrum hieß, dass sie an das Rudel verkauft wurde, das am meisten für sie bezahlte.

Luana wurde langsamer, als sie ihr Dorf erreichte und sich auf den Weg zu ihrer Familienhütte machte. Dort erwartete sie bereits der Duft von gebratenem Fleisch, doch ihr lief nicht das Wasser im Mund zusammen. Stattdessen bildete sich ein Knoten. Beron hatte sie nicht holen lassen, was hieß, sie würde die Sache beim Abendessen ansprechen. Das würde sicherlich wieder in Chaos enden, was sie nicht wollte. Allerdings konnte sie es auch nicht ignorieren. Ragnar war zwar im Moment gefesselt und wahrscheinlich nicht gefährlich, doch sie wusste nicht, was sie mit ihm machen sollte.

Sie schob den Vorhang zurück und trat in den großen Raum ihres Wohnhauses. Wie erwartet waren bereits alle da.

Beron saß am Tisch und unterhielt sich mit Heron. Scheinbar über geschäftliches, was normal war. Berons längeres, blondes Haar war zu einem Zopf gebunden und an sich wirkte er sehr gepflegt. Heron mit seinen kurzen, blonden Haaren, sah seinem älteren Bruder sehr ähnlich.

Heute schienen die Zwillingsbrüder Rudon und Grudon mit dem Abendessen dran zu sein, denn sie konnte Seydon überhaupt nicht sehen. Normalerweise war es ihr jüngster Bruder, der für sie kochte.

„Beron, ich muss mit dir reden", sagte sie höflich und sich ankündigend. Ihr Bruder machte jedoch nur eine Handbewegung, die ihr bedeutete, dass sie sich gedulden musste. Wieder einmal. „Es gibt im Moment wichtigere Probleme", sagte er, als wären alle Probleme, die sie melden konnte, nicht wichtig.

Luana seufzte. „Im Wald ist ein fremder Wolf", sagte sie mit möglichst ruhiger Stimme.

Beron sah sogar zu ihr, doch er schien ihr gar nicht zugehört zu haben. „Ich sagte doch: Es gibt gerade wichtigere Probleme. Seydon ist von einer Patrouille nicht zurückgekehrt", informierte er sie mit ruhiger Stimme. Luana rutschte das Herz in die Knie. Wie, er war nicht zurückgekehrt? Wieso gerade Seydon? Den Bruder, der ihr so viel bedeutete?

„Was ist denn passiert?", fragte Luana angstvoll. War ihm etwas zugestoßen?

Erneut erhielt sie eine wegwerfende Handbewegung seitens Beron. „Wahrscheinlich ist er mit dieser einen Wölfin aus dem Nachtwindrudel davongelaufen", sagte er, als wäre es ihm egal.

Luana senkte den Blick. Sie wusste, dass Seydon diese sehr mochte, aber dass er mit ihr wegrannte, glaubte sie nicht. „Vielleicht hat ...", begann sie, doch Beron ließ sie nicht einmal aussprachen, sondern wies sie an, sich zu setzen, damit sie essen konnten. Dabei wollte Luana vorschlagen, dass Ragnar vielleicht etwas damit zu tun hatte.

Luana schluckte ihren Ärger herunter. Sie würde nicht weitersprechen, um sich selbst nicht in Gefahr zu bringen. Beron neigte dazu, sie zu schlagen, wenn sie nicht tat, was er ihr sagte oder er das Gefühl hatte, sie würde widersprechen.

Also setzte sie sich und hörte ihren beiden Brüdern zu, wie sie sich darüber ärgerten, dass Seydon Informationen von ihrem Rudel verkaufen würde. Sie schienen sich keine Sorgen zu machen, was Luana zusätzlich ärgerte. Seydon war doch noch so jung und unerfahren. Was, wenn wirklich etwas passiert war?

Während ihre Brüder das Essen auftischten und Beron sich darüber hermachte, aß sie langsam und nicht so viel. Sie hatte keinen Hunger. Die Sorge um Seydon war zu groß. Er war ihr liebster Bruder, weil er so sanft war. Zu sanft für die meisten anderen, weshalb er immer ungern gesehen war. Also kam es Beron vielleicht sogar ganz gelegen, dass er weg war.

Als das Essen endlich beendet war, erhob sie sich, bevor sie ging. Es war nicht unüblich, dass sie lange Zeit im Wald verbrachte. Niemand schien es zu stören, denn so war sie nicht im Weg.

Heute würde sie allerdings nicht umherstreifen, sondern nach Seydon suchen. Er konnte immerhin irgendwo liegen und verletzt sein.

Luana versuchte, seinen Geruch aufzunehmen, was sogar überraschend gut klappte. Es war sehr einfach, seinem Duft zu folgen, doch irgendwann mischte sich ein weiterer, fremder Geruch darunter.

Sie schnupperte genauer. Es roch nicht wie eine Werwölfin. Eher männlich.

Langsam folgte sie diesem neuen Mischgeruch und kam so zu einer Stelle, die eigentlich nicht zum normalen Weg ihres Bruders gehörte. Der Geruch führte sie zu einem felsigen Gebiet, das eine Art Steinkreis aufwies, der mutwillig zerstört wurde. Ein altes Portal.

Was hatte ihr Bruder hier gewollt und mit wem hatte er sich getroffen?

Unsicher folgte Luana dem Geruch weiter, bis dieser ganz plötzlich am Steinkreis komplett abriss. Das ließ sie die Stirn runzeln und unweigerlich musste sie an Ragnar denken. Dieser hatte gesagt, dass er durch ein Portal gekommen war. Aber dieses hier war kaputt. Wie also war es möglich, dass Seydons Geruch hier einfach so verschwand?

Was sollte sie jetzt tun? Wenn sie keinen Geruch mehr hatte, konnte sie Seydon nicht folgen.

Angstvoll, aber voller Tatendrang, suchte sie die nahe Umgebung ab. Vielleicht war der Geruch an einer anderen Stelle wieder da und sie konnte ihm weiter folgen.

Erst, als sie keine weiteren Duftspuren fand, gab sie die Hoffnung auf.

Was sollte sie jetzt tun?

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Was haltet ihr bisher von Luanas Familie/Rudel?

Luana-Tochter des Mondes (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt