1. Kapitel

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"Ann Christianson", prüfend hebe ich meinen Blick von der Klassenliste und blicke in die Gesichter meiner Schüler.
Christianson... Wie sehr ich diesen Namen verabscheue und jetzt, fünfzehn Jahre später holte er mich auch noch am anderen Ende Deutschlands ein...
Ein Mädchen hebt unsicher die Hand. Sie sitzt schüchtern in der letzten Reihe, ich nicke und klappe den Hefter zu. Klar, dass sie Ann Christianson ist...

"I-", ich räuspert mich, "Mein Name ist Lucia Fin und ich werde euch dieses Jahr in Deutsch und Biologie unterrichten."
Mit der linken Hand fahre ich mir durch die langen blonden Locken, steht dabei auf und lege meinen Blick wieder auf Ann.
Ihre roten Haare fallen ihr glatt über die Schultern, die grünen Augen stechen durch die schmale, schwarze Brille, die Sommersprossen sprenkeln sich über ihre Nase.

Sie sieht ihrer Mutter wirklich verdammt ähnlich.
Die selben wunderschönen Augen, das selbe stechende kupferrot der Haare, die Sommersprossen. Ich spüre diesen kleinen Stich in der Brust, der sich immer bemerkbar macht, wenn ich an die Frau erinnert werde, die ich so unendlich geliebt hatte.
"Äh... Kennenlernspiel also... Ich fand das in eurem Alter immer toll um der ersten Unterrichtsstunde im Jahr zu entkommen... Eine...", ich beiße mir auf die Unterlippe um das Lächeln nicht von meinen Lippen fallen zu lassen, als sich Emys wunderschönes Gesicht in meinem Kopf breit macht, "Eine meiner Lehrerinnen hat uns in ihrer ersten Stunde Fragen gestellt und wir durften dann Fragen zurück stellen... Also wenn ihr wollt."
Sie war so eine bemerkenswerte Lehrerin... Wenn nur nicht jeder Gedanke an sie so, so unendlich schmerzen würde.
Und jetzt war sie auch noch hier.
Warum zum Teufel war sie hier?!
Okay ssssh Luc beruhig dich. Wir fluchen nicht mehr, das weißt du doch.
Weitere 70 Minuten später, Ann ignorierend packe ich meine Sachen zurück in meine Tasche. In die Tasche weswegen jeder Mensch Lehrer werden wollte. Oder sich über Lehrer lustig machte. Wer weiß das schon so genau aber ich für meinen Teil liebe diese alten Ledertaschen die einem sofort zeigen, wer ein Lehrer ist. Und dann kam dazu, dass Emilia auch so eine hatte. In dunkelbraunem Wildleder.

"Shhh leise", zische ich meiner besten Freundin Fey zu als sie mir gerade von so einer neuen Serie erzählen will, die sie wohl letzte Nacht auf Netflix entdeckt hatte. Ich liege mit dem Bauch auf dem trockenen Rasen, den Kopf in die Hände gestützt.
Der Geruch von frisch gemähter Wiese hängt in der warmen Sommeluft eines Dienstagnachmittags.
Mein Blick liegt auf ihr. Einer schlanken Fau die mit großen Schritten über den Rasen des Englichen Gartens läuft und freudig einem jungen Mann zuwinkt.
Ihre schlanke Figur wird von einem luftigen, blauen Sommerkleid betont, sie hält ihre weißen Stoffschuhe in der einen Hand, mit der Anderen umklammert sie den Träger ihrer Tasche die bei jedem Schritt an ihr sonnengebräuntes Bein schlägt und den Stoff ihres Kleides leicht hochrutschen lässt.
Barfuß also. Schmunzelnd lege ich den Kopf schief.
Die kupfernen Haare die in sanften Locken über ihre Schultern fallen werden vom seichten Sommerwind leicht zerzaust, ihre Brille ist am Ausschnitt ihres Kleides befestigt.
"Hey ist das nicht die Neue? Wie hieß die noch gleich? Christianson?", Fey lässt sich neben mich auf die Wiese fallen und beobachtet gemeinsam mit mir wie die Frau und der Mann sich freudig umarmen. Erst als sie sich aus dieser lösen legt er liebevoll seine Lippen auf die ihrem.
"Daaaas ist iiiiiihr Mann?", Fey zieht ihre Frage ironisch in die Länge. Offensichtlich war er das und anders als Fey gefällt sie mir bedeutend besser als er und ich frage mich eher, warum sie mit einem Mann wie ihm verheiratet ist und nicht anders herum.
Seine schwarzen Haare waren bereits leicht grau meliert, seine Augen schienen einen langweiligen Braunton zu haben, sein schwarzer Anzug mit blauer Krawatte war langweilig. Was will sie bitte von ihm?
Eine Frohnatur und ein... Und ihr Ehemann.
Sie stellt ihre Tasche ab und lässt sich auf die Wiese fallen, was ihr ihr Mann gleich tut. Wow mit dem Anzug? Vielleicht ist er garnicht so ein Spießer?
"Sie gefällt dir, hm?", Fey reicht mir grinsend mein Feuerzeug das in meinen Vans gelegen hat und ich zünde meine Zigarette die soeben ausgegangen war erneut an. Ich nicke leicht und schiebe ein nachdenkliches 'mhmm" nach. Gefällt sie mir? Was für eine Frage sie ist wunderschön und ich erinnere mich noch genau daran, wie sie letzte Woche am ersten Schultag mein Klassenzimmer betreten hat und mir die Luft wegblieb. Wie sie beim Erstellen des Sitzplanes meinen Namen ausgesprochen hat. Mit diesem süßen Dialekt den ich nicht zuordnen kann. Lou-cie-á. Schmunzelnd greife ich nach der fast leeren Bierflasche die neben mir steht und nehme einen großen Schluck. Seufzend fahre ich mit dem Daumen über das Augustiner Logo und lasse die nun leere Flasche zurück auf den Boden fallen. Na super. Es ist Dienstag in einer Schulwoche und ich möchte mich schon wieder betrinken.
"Du ich will dich nicht stressen aber es braut sich ganz schön was zusammen", meine beste Freundin deutet zum Himmel und seufzend erhebe ich mich vom Boden. Großartig Fußballtraining im Regen. Kurzerhand stopfe ich die leeren Bierflaschen in meine ebenso leere Schultasche, schlüpfe in meine schwarzen Vans und stecke mein Handy in die Hosentasche meiner alten Jeans. Die ersten Tropfen fallen auf meine braunen Haare die nur einige Zentimeter über meinen Schultern enden. Nach und nach fallen mehr Tropfen vom Himmel und ich spüre, wie sich mein weißes Tshirt an meinen Körper klebt.
Die Menschen die soeben noch fröhlich ihren Nachmittag im Englischen Garten verbracht haben verziehen sich in nach und nach in naheliegende Cafes, nach Hause oder wohin auch immer.
"Fey ich muss los, wir sehen uns heute Abend, hab dich lieb!", lächelnd knuffe ich der Blonden in die Seite und jogge los. Meine Gedanken beginnen Karussell in meinem Kopf zu fahren, der Geschmack meiner vier Flaschen Bier bereitet mir ein ekelhaftes Gefühl in meinem Mund. Der Regen und Wind peitschen mir ins Gesicht.

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