Als Cadmiel die Zeltplane zurückschlug, fühlte er sich in dem Menschenkörper noch immer benommen. So wusste er auch nicht sofort, ob er den Augen trauen konnte oder sein Geist ihn mit Minous Anblick nur einen Streich spielte. Er freute sich, ob Illusion oder nicht. Bis er den Trödelhändler erblickte. Zu nah war das Böse seines Seins an ihrer reinen Seele, die die Dunkelheit erleuchtete. Er wollte nach vorne stürzen und den alten Mann von ihr wegstoßen, doch fühlte er sich auf den Beinen noch unsicher. Augenblicklich wusste er, was ihn auf die Erde zurückgeholt hatte. Ein Schritt nach vorne. Er stolperte und musste sich an der Plane festhalten, um nicht zu fallen. Erschrocken wandten Minou und Tradiaboli sich um. Und obwohl es albern war, verletzte Cadmiel die Gleichheit ihrer Bewegung.
„Cadmiel." Sie sagte seinen Namen und Cadmiel hatte nie gedacht, dass es zur gleichen Zeit so wunderschön und so falsch klingen konnte. Es raubte ihm die Fassung. Es war sein Name im Himmel, sein Name in der Hölle, aber war es sein Name für das Leben auf der Erde? Oder hatte er sie längst zu einem Teil seines Lebens in Himmel und Hölle gemacht? Wie ihre weiche Stimme das Wort formte, ließ den Ort egal sein. Er wollte sie seinen Namen sagen hören. Wieder und wieder das Gefühl auskosten, zu wissen wer er war. Engel, Verstoßener, Diener, Krieger. Er würde seine Antwort in ihr finden.
„Cad? Geht es dir gut?", vorsichtig war Minou auf ihn zugegangen und versuchte, seinen leeren Blick zu fangen. Nur langsam erlangte er die Kontrolle über den menschlichen Körper zurück. Er schwankte.
„Ja klar, alles gut", mit finsterer Miene sah Cadmiel zu Tradiaboli, dann übergab er sich auf den Boden.
Minou saß neben ihm auf der alten Matratze. Obwohl Tradiaboli sie zunächst nicht ins Zelt lassen wollte und auch Cadmiel es für keine gute Idee hielt, hatte sie sich geweigert, zu gehen. Sorgenvoll beobachtete er ihre umherwandernden Augen, im Licht der Öllampe strahlend. Er schämte sich für die Tatsache, an diesem Ort zu leben. Er wollte nicht, dass sie es sah. So wie er nie gewollt hatte, dass sie ein Teil dessen wird, was im Jenseits vor sich ging. Für beides war es nun zu spät. Als sie merkte, dass er sie beobachtete, lächelte sie. Wie ein ahnungsloses Reh, das in des Jägers Flinte schaute.
„Weshalb hast du mir nie deinen richtigen Namen gesagt?", sie hatte es nicht ausgesprochen, doch wusste Cadmiel, dass sie beschlossen hatte, ihm zu glauben. Als hätte sie eine Wahl gehabt. Und nicht nur das. Sie hatte ihm Glauben geschenkt und war trotzdem zu ihm zurückgekehrt. Doch jetzt, da sie es getan hatte, wünschte er fast, sie würde ihn noch immer für einen Spinner halten. Sich von ihm abwenden und sein Leben verlassen. Ein letzter Ausweg in das normale Leben zurück.
„Ich wollte dich von all dem fernhalten, da musste ein etwas menschlicherer Name her", der Versuch eines Lächelns misslang. Zu falsch waren diese Worte angesichts dessen, was er dem Teufel versprochen hatte.
Sie zog die Augenbrauen hoch. „Du weißt es vielleicht nicht, aber auch Cad ist hier nicht gerade der üblichste Name."
Wie um alles in der Welt sollte er es anstellen, dass ihre Gefühle für ihn auch nur annähernd so stark wurden wie die, die er für sie empfand?
Wie sollte ein Wesen wie Minou eine gebrochene Seele wie die seine lieben?
Sie war Licht. Sie war Licht und alles was er wollte war, dass ein paar ihrer Strahlen auf ihn fielen.
Der Auftrag des Teufels schlug sich seinen Weg in das Vordere seines Bewusstseins. Kurz schloss er die Augen. Es war so falsch. „Würdest du... hast du Lust, morgen mit mir den Tag zu verbringen?" Er konnte sie kaum ansehen, denn er wusste, wie viel von dieser Frage abhing. Es ging nicht darum, ob Minou morgen den Tag mit ihm verbringen würde. Die Frage war, ob sie ihm wieder vertrauen konnte.
Minou ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Lange musterte sie Cad.
„Ja, ich denke, das würde ich", sagte sie dann. „Wenn du von nun an ehrlich zu mir bist."
Cadmiel atmete auf und ihm war, als klinge ein Echo aus dem Jenseits zurück. Jetzt musste es ihm nur noch gelingen, dass ein Mensch sich in einen gefallenen Engel verliebt, damit dieser dem Teufel auf Erden dienen konnte. Wie schwer konnte das schon werden?
Wirklich alles in Cadmiel hatte sich dagegen gesträubt, auch nur ein Wort mit Tradiaboli zu wechseln, doch hatte er frustriert feststellen müssen, dass ihm keine andere Wahl blieb. Er war der einzige an diesem Ort, mit dem er über die Pläne des Teufels reden und den er um Rat in menschlichen Angelegenheiten bitten konnte. Mühsam presste er die Pläne des Teufels hervor und als Tradiaboli bei der Nennung Minous Namen listig grinste, knirschten seine Zähne so stark übereinander, dass es schmerzte. Was für eine Demütigung es war, ausgerechnet ihn danach zu fragen, wie man ein Menschenmädchen verführen konnte. Abgesehen davon war sich Cad ziemlich sicher, dass Tradiaboli in seinem Leben nicht eine Frau verführt hatte. Der hatte Trödelhändler vorgeschlagen, Cadmiel solle mit Minou essen gehen, weil man das so mache. Cadmiel hatte skeptisch die Augenbrauen zusammengezogen. Zwar war die Erfahrung des Essens eine der angenehmsten, die er auf der Erde machen durfte, aber er zweifelte, ob das reichen würde, um Minous Gefühle für ihn zu entfachen. Tradiaboli hatte auf diesen Einwand hin nur geseufzt und gesagt, er würde sich kümmern.
Als er nun die Tür zu dem von Tradiaboli ausgewählten Restaurant öffnete, sah er ein, dass der alte Mann Recht gehabt hatte. Er würde sich vielleicht bei ihm bedanken müssen. Auch für das Hemd und die neue Hose, die kommentarlos auf seiner Matratze gelegen hatten.
Er bedeutete Minou, einzutreten. Sie trug unter ihrer dünnen Jacke ein rotes Kleid, das ihre Knie umspielte, obwohl es dafür bereits viel zu kalt und strahlte wie immer. Als Cad sie angerufen hatte und zum Essen eingeladen hatte, hatte sie gefragt ob er sich sicher sei und auch jetzt sah sie noch ungläubig aus. Ihre großen Augen wanderten in dem Raum umher, in dem das Licht gedimmt und Tische vornehm eingedeckt waren.
„Wodurch komme ich denn zu dieser Ehre?" Fragte sie nur halb scherzend, als Cad für sie den Stuhl zurechtrückte.
„Na ja, angesichts der letzten Tage habe ich so einiges wiedergutzumachen, meinst du nicht?" Cad setzte sich ihr gegenüber. Der Tisch war schmal. Ihre Hand lag nicht weit entfernt von seiner.
„Dass du dir keine Mühe geben würdest, kann man dir zumindest nicht vorhalten", bewundernd ließ sie ihren Blick zu der prunkvoll beleuchteten Decke wandern. „Das Essen hier muss doch ein Vermögen kosten."
Cad winkte ab. Wovon dieses Essen bezahlt werden würde, sollte Minou besser nicht erfahren.
Ein Kellner kam zu ihnen herüber, um ihnen die Speisekarten zu bringen und die Kerzen anzuzünden.
„Sag mal", Minou rückte mit ihrem Stuhl ein Stück nach vorne. „Kann es sein, dass du versuchst, mich zu verführen?" Das Rot ihrer Wangen schimmerte im Kerzenlicht.
Cad grinste. „Komm schon, Minou - über den Punkt des Versuchens sind wir doch schon lange hinaus."
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Wenn Engel fallen
FantasyHimmel oder Hölle? Richtig oder Falsch? Vernunft oder Gefühl? Liebe oder Leben? - Wie würdest du entscheiden? ___ Seit Minou vor einem halben Jahr in die Stadt zog, um ihr Volontariat bei der örtlichen Tageszeitung anzutreten, läuft alles anders als...