Cadmiel schlief in dieser Nacht nicht, auch wenn alles seiner menschlichen Hülle danach schrie. Es war eine schreckliche Nacht. Er hatte Angst.
Sobald die Sonne vom Himmel verschwunden war, hatte ein grässliches Gefühl von ihm Besitz ergriffen. Etwas riss tief an seinem Inneren. Zog. Wie Krallen, die mit aller Kraft versuchten, die Seele aus dem Körper zu zerren. Cadmiel glaubte, fernes Kreischen zu vernehmen. Ihm war schwindelig. Die Maschine, sein Werk, sprühte Funken. Rote Blitze zuckten durch die mühsamen Feinheiten. Es bebte.
Tradiaboli war ins Hinterzelt gestürmt. Bei Cadmiel kamen seine wirren Rufe nicht an. „Teufel", „endlich", „Worauf wartest du, Junge?". Bevor der Händler ihn erreichen und packen konnte, schien sich eine dämonische Kraft in Cadmiel zu entfachen. Der Zorn in seinen Augen – rot. Er bleckte die Zähne wie ein wildes Tier.
„Verschwinde!" Die Stimme, nicht länger die seine. Ein bedrohliches Zischen. Laut. Er wollte den alten Mann packen, ihn seine Wut spüren lassen. Leid, er wollte ihn leiden sehen.
Doch er ließ ihn zurücktaumeln. Aus dem Zelt hinaus. Die Güte eines Engels.
Dann war er wieder allein. Mit der Angst. Seine menschliche Hülle fühlte sich brüchig an. Die Funken aus der Maschine stoben bis an die Decke des Zeltes, wo sie dunkle Löcher hineinbrannten.
Cadmiel wusste, dass man ihn rief. Auch war er sich sicher, dass dieser Ruf nicht aus dem Himmel kam. Es musste er sein. Der Teufel. Er schien, ihn holen zu wollen. Wochen hatte Cad darauf hingearbeitet. Er war bereit. Doch etwas stimmte nicht. Die Dreizehnte - sie war noch nicht gestorben.
Er sank zu Boden, am anderen Ende des Zeltes. Soweit wie möglich entfernt von der schwarzen Magie, die ihn rief. Wie er dort saß, voller Furcht, zusammengekauert in einer Ecke, man hätte wohl nichts ahnen können von der unglaublichen Kraft, die an diesem Vormittag in ihn gefahren war.
Er nicht.
Doch sie, sie wussten es.
Am nächsten Tag war es in den Nachrichten. Überall wurde spekuliert über die seltsamen Phänomene am Himmel. Die Wahrheit natürlich zog niemand in Erwägung. Auch Minou nicht. Kritisch las sie die Berichte in Zeitungen und online. Nicht mehr als bloße Vermutungen über eine meteorologische Anomalie. Wäre gestern nicht diese Sache gewesen, so hätte Minou wohl die Zeitung beiseitegelegt und sich wieder anderen Dingen zugewandt. Doch nun konnte sie nicht aufhören, an Gestern zu denken. Die Sache mit Cad. Die Erinnerung war schön. Sie empfand keine Reue für das, was sie getan hatte. Es war schön. Es war richtig. Wenn das Unerklärliche nicht genau in dieser Sekunde passiert wäre.
Danach war es anders gewesen. Cad hatte gelächelt als sei alles gut, doch sie hatte die Mühe bemerkt, die es ihm machte. Sie hatte bemerkt, wie seine Stimme kratzte als er sich von ihr verabschiedete, weil er sich wieder an die Arbeit machen musste. Auch sie hatte das Zucken gespürt, das kurz vor dem Donner durch ihn gefahren war. Das ihn zurückgerissen hatte. Bei ihrem Kuss. Etwas war geschehen, für das sie keine Erklärung wusste. Sicher war nur, dass sie an einen Zufall nicht glauben wollte.
Nervös kaute Minou auf ihrer Lippe. Sie schmeckte Blut. Es war noch früh. Betty war eben aus dem Haus gegangen. Minou hatte ihr eine Grippe vorgespielt. Es war überraschend einfach. Nicht, weil Betty ihr geglaubt hätte, sondern weil es ihr egal war. Sie hatte sich für ihre eigene Wahrheit entschieden. Es war Cads Schuld. Sie hatte Minou über den Kopf gestreichelt und mitfühlend genickt. Wie eine Mutter. Bestimmt war sie erleichtert, dass Minou nicht arbeiten ging. Es fiel Minou schwer, Selbstlosigkeit in Bettys Taten zu finden. Sie wollte es nicht.
Minou hatte ihren Mantel angezogen, ausgezogen und wieder angezogen. War im Flur auf und abgelaufen. Sie wollte zurück zum Trödelmarkt. Zu Cad. Noch einmal der Blick zur Uhr. Es war noch zu früh. Sie wollte ihm nicht nachlaufen, nicht aufdringlich sein. Wenn da das Herz nicht wäre.

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Wenn Engel fallen
FantasyHimmel oder Hölle? Richtig oder Falsch? Vernunft oder Gefühl? Liebe oder Leben? - Wie würdest du entscheiden? ___ Seit Minou vor einem halben Jahr in die Stadt zog, um ihr Volontariat bei der örtlichen Tageszeitung anzutreten, läuft alles anders als...