„Etwas Spaß kannst du dir ruhig gönnen, aber verlieb dich bloß nicht in ihn. Eine Beziehung ist Gift für die Karriere." Bettys belehrender Ton glich einem Achselzucken. Als wäre es ihr gleichgültig. Minou wusste, dass diese abgeklärte Miene nur Fassade war. Betty war es alles andere als egal und Minou wusste nicht warum. War es ihr Hunger nach Skandal und Dingen, die sie nichts angingen oder war es bloßes Interesse an ihrer Mitbewohnerin im Sinne einer aufkeimenden Freundschaft? Minou hegte ein solches Misstrauen gegen Betty, dass ihr eine jegliche Freundschaft zwischen ihnen mehr als abwegig erschien.
Zu Beginn hatte es wie eine gute Idee geklungen, sich eine Wohnung mit einer Kollegin zu teilen. Man verstand sich. Die absurden Arbeitszeiten. Dass man Abstand brauchte. Dass Partys nicht erwünscht waren. Es war ein stilles Nebeneinanderherleben, mit dem jeder zufrieden war. Erst der wachsende Druck in der Redaktion, das Wissen darum, dass nach dem Volontariat nur für eine die Festanstellung folgen würde, hatten Anspannung in das Zusammenleben gebracht. Man war weniger offen. Man beobachtete den Anderen. Wo waren seine Schwächen? Würde er aufgeben? Doch wo lag dann der Sinn in ihrem Rat? Minou hatte das Gefühl, sie nicht durchschauen zu können und es verärgerte sie. Sie fühlte sich unterlegen. Also schwieg sie und führte eine weitere Gabel an ihren Mund.
Spät in der Nacht oder früh am Morgen war sie zurück in die Wohnung gekehrt. Aus der Küche war ihr der feinherbe Geruch nach Tomatensoße entgegengekommen. Für einen Moment hatte sie sich an Zuhause erinnert gefühlt. Wie sie nach der Schule nach Hause gekommen war und schon im Flur erraten konnte, was es zum Mittag gab. Wie ihre Mutter sich nach ihrem Tag erkundigt hatte. Ihr fehlte diese Geborgenheit mehr als sie zugeben wollte.
„Hey, willst du mitessen?", hatte Betty gefragt, ohne sich vom Herd wegzudrehen.
Skeptisch hatte Minou die Nudeln beäugt, dann einen Blick auf die Uhr geworfen.
„Ich weiß", hatte Betty gesagt. „Aber ich habe bis eben noch an einem Artikel gesessen und seit einer gefühlten Ewigkeit nichts Warmes gegessen."
Minou setzte sich an den Tisch. „Ich denke, das rechtfertigt Nudeln um fünf Uhr morgens."
Betty blickte sie noch immer an als erwarte sie eine Antwort. Ungeduldig spießte sie Nudeln auf ihre Gabel.
„Ich habe weder Zeit für eine Beziehung, noch für Spaß." Die Wahrheit.
„Was ist das zwischen euch dann?"
Minou wusste es nicht. „Eine Bekanntschaft."
Betty hob die Augenbrauen.
„Was? Bekanntschaften sind in unserem Beruf wichtig. Kennt man Leute, kennt man Geschichten."
„Schon gut." Lächelnd senkte Betty ihren Blick. Und Minou wusste, dass sie verloren hatte.
Warum war in dieser Nacht keine weitere Frau gestorben? Diese Frage ließ Minou an diesem Tag nicht mehr los. Mit ihren Spekulationen ließ sich noch der heutige Artikel ihrer Kolumne füllen. Es war sogar eine willkommene Abwechslung, für die Fisher ihr ein anerkennendes Nicken schenkte. Es erleichterte Minou, doch was, wenn auch morgen niemand sterben würde? Wenn die rätselhaften Morde zu einem plötzlichen Ende kommen würden? Erschrocken ertappte sie sich bei dem Gedanken, zu hoffen, dass es in der kommenden Nacht wieder zu einem Mord kommen würde.
Sie blickte auf die Uhr. Ihr Körper sehnte sich bereits nach einer Zigarette. Nach der flüchtigen Ruhe, die sie mit sich brachte. Auch Betty hatte diese Nacht kaum geschlafen, doch schien es ihr nichts auszumachen. Sowohl Make-Up als auch Frisur saßen perfekt und sobald jemand ins Büro trat und einen weiteren Stapel Praktikantenarbeit auf den Tisch knallte, saß in ihrem Gesicht ein höfliches Lächeln. Und Minou war nur müde. Tat, was zu tun war. Neben der Tastatur lag ihr Handy. Immer wieder öffnete sie Cads Kontaktprofil, schloss es jedoch jedes Mal. Unruhig rutschte sie auf ihrem Stuhl vor und zurück. Ruckartig erhob sie sich schließlich, zog sich die Jacke über, griff in ihre Tasche und nach dem Handy.
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Wenn Engel fallen
FantasyHimmel oder Hölle? Richtig oder Falsch? Vernunft oder Gefühl? Liebe oder Leben? - Wie würdest du entscheiden? ___ Seit Minou vor einem halben Jahr in die Stadt zog, um ihr Volontariat bei der örtlichen Tageszeitung anzutreten, läuft alles anders als...