1. Erinnerung

13 2 0
                                    

Ich führte ein einfaches Leben. Nichts besonderes. Ich wohnte in diesem kleinen, heruntergekommenen Haus am Ende der Straße zur nächstgelgenen Ortschaft. Die Autobahn lag nur wenige hunderte Meter von uns entfernt und der Verkehr ist je nach Windrichtung sehr deutlich wahrzunehmen. Der weiße Zaun mit der abblätterten Farbe und dem spröden Lack umrang die kleine grüngraue Wiese um mein Zuhause. Der Vorgarten mit dem verwelkten Rasen bildete das Reich meiner gesamten Kindheit bis zur Vorschule. Stundenlang spielte ich dort und hing Tagträumen hinterher die mir den Alltag gewissermaßen angenehmer bereiteten. Doch aus diesen Träumen wurden Alpträume und die blieben nicht lange nur Fantasien in meinen Kopf, nein, sie wurden lebendig. Ängste und Verzweiflung hielten mich in der Hand und Stück für Stück verließ mich diese sorglose Kindheit.

Gedämpfte Stimmen dringen an mein Ohr und ich wende mich wieder der Einfahrt zu, deren Risse sich im Asphalt bereits schachbrettartig darüber zogen. Als ich noch klein war haben ich und Travor, mein älterer Bruder, uns immer davor gefürchtet diese Spalte zubetretten, sodass wir uns immer ein Spiel daraus machten und darüber sprangen. Doch das machten wir schon seit bestimmt 10 Jahren nicht mehr.

Es waren die Stimmen meiner Eltern die mich aufschauen ließen. Ihr Streitereien wurden jeden Tag schlimmer und ich bin mir sicher man hört uns durch die gesamte Stadt Halkwins Hollow. Aber mir war egal was anderere über mich dachten oder genauer gesagt, das Bild was andere von mir hatten und den Ruf der in meinem Namen mitschwang konnte ohnehin nicht geändert werden.

Die Stimmen wurden lauter und Mums Kreischen erklingt markerschütternd als etwas metallisches zu Boden polltert. Ich verharre reglos und lauschte was sich hinter den von Holzwürmern zerfressenen Wänden abspielte. Dad konnte manchmal zu Gewalt neigen und wenn man nicht aufpasste konnte man sich leicht eine unerwartete Backpfeife einfangen. Besonders seitdem unser Geld knapp wurde und Dad nicht wie gewohnt jeden Abend zur nächsten Kneipe torkeln konnte. Der Streit entfacht erneut und mir schien, als seie ein Inferno im Haus ausgebrochen. Dem hinabstürzenden Gegenstand folgten weitere und es hörte sich an, als wäre es eine ganze Lawinen. Mum schreite in schrillen Tönen etwas wie: "Bist du jetzt völlig wahnsinnig geworden Gerald ?"

Mein Vater brüllte laut auf sodass ich kurz zusammen zuckte bei dem Klang seiner Stimme. Er klang äußerst erzürnt, was bei seinem Temperament nicht gerade ein seltener Anblick war. Das nächste woran ich mich noch allszu gut erinnere war die auffliegende Gartentür und das vor Wut schäumende Gesicht meines Vaters. In seinen Händen hielt er die ehemalige Tischdecke die er zu einem Bündel zerknüllt in den Händen hielt. Geschirr stieß durch den löchrigen, dünnen Stoff und mir kam der Gedanke, dass Dad wohl das Abräumen für heute übernommen hatte. Mit angespannten Oberarm schleudert er es in den Garten, wo es mit einem lauten Knall auseinander sprang und sich der gesamte Inhalt verteilte. Porzellan zersprang klirrend und das billige Besteck verbog unter dem Gewicht des daraufstürzenden Geschirrs.

Müde blickte ich ihm dabei zu bis sich schließlich unsere Blicke kreuzten. Feurige braunrote Augen erfassen mich und sein Zorn dringt tief in mich ein, doch ich verziehe keine Miene. Solche Wutausbrüche überraschten mich nicht mehr. Mit einem verächtlichen Schnauben zieht er sich zurück und wirft die Tür in die Angeln, wobei das Fliegengitter gefährlich hervorschwang und letztendlich ebenfalls zu Boden fiel. Ich blinzelte noch ein paar Mal und betrachte das Chaos im Garten. Der entstandene Schaden beläuft sich allein für den Nachmittag also auf unser gesamtes Geschirr, vermutlich unser Mittagessen (das einzige was ich nach dem Lunch in der Schule überhaupt noch zusehen bekomme) und einer Tür, die wohl für jeden Einbrecher eine willkommene Einladung für einen Raub darstellte, wobei, niemand bei den Scrott's einbrechen würde. Unsere Familie war nie sonderlich reich und ich muss mit traurigem Ernst sagen, eher neigten wir zu Diebstahl und sonstigen Straftaten.

Ich blicke ein letztes Mal zu der Tür und überlegte mir, wie ich wohl am gesündesten, ohne von meinem Vater in Empfang genommen zu werden, in das Haus gelange. Wobei es wohl das beste wäre, für den Rest des Tages nicht auf den wenigen Quadratmetern zu verweile, mit der ständigen Sorge eines weiteren Wutausbruchs. Also mache ich kehrt, schlendere die rissige Einfahrt entlang über die Straße und laufe ein wenig in Richtung ortsauswärts.

In letzter Zeit genoss ich mehr als alles anderere die Ruhe in den Wäldern. Es waren schäbige Wälder, stark betroffen von saurem Regen und Borkenkäfern und nicht ansatzweise weitgenug um den Lärm der Autobahn zu entgehen, aber ich genoss es dort dennoch. Jeden Tag wagte ich mich weiter hinein und blieb jedes Mal ein wenig länger dort.

Ein Wispern erklingt in den Baumkronen weit über meinem Haupt und erfüllt den Wald in einem klagenvollen Lied. Trockene Äste knarzten unter dem leichten Wind und brachen in sich zusammen. Ich liebte diesen Wald, er war wie ich. Kaputt und am sterben, nichts könnte ihn retten. Überall roch es morsch und nass doch solange diese Gegend andere abschreckte gab ich mich damit zufrieden, denn insgesamt stinkt mir die Welt ohnehin bis zum Himmel.

Mit schweren Schritten schlurfte ich zu einem gestürzten Baum und setzte mich auf die kratzige Rinde. Sanft strich ich mit meinen Fingern über das weiche, kräuselige Moos und schloss die Augen. Und dann geschah es.

Bei jeden Besuch in diesen Wäldern suchten mich Gedanken heim. Es waren Visionen, Bilder. Und alle zeigten sie mich. Ich sah dieses blasse unscheinbare Mädchen mit den dunklen Augenringen und den schmalen Lippen. Glanzlose graue Augen starren mich an und ich schlucke schwer. Ich will sie in den Arm nehmen doch da entgleitet sie mir.

Alles um mich herum verschwimmt und verwischt in sich. Der Wald verstreicht vor meinen Augen und der Mond erscheint wieder vor mir. Grübelnd starre ich ihn an. War es das was mich auf der Erde hielt ? Musste ich diesen Wald finden oder gar mein altes Zuhause ?


Ghost story - Wispern des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt