6. Erinnerung

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"Hey scary Scrapy, bleib doch stehen !" :schallte eine Stimme hinter mir. Ängstlich zuckte ich zusammen. Mit geschlossenen Augen wendete ich mein Gesicht zu ihr, um meinem alltäglichen Schicksal nicht ins Auge blicken zu müssen.

Dicke, füllige aufgespritzte Lippen zu einem fiesen Grinsen geformt bewegen sich im Rhythmus ihrer wie immer verletzenden Worte: "Heute mal keinen Müllsack zum Anziehen gehabt ?"

Ich schluckte den Schmerz hinunter und sehe Rylee ausweichend an. Um uns herum versammelt sich die Menge der eintreffenden Schüler die durch die Schulflure drängten. Scham überfiel mich und das Blut schoss mir ins Gesicht woraufhin meine Wangen unangenehm zu brennen begannen.

Rylee war so ungefähr das beliebteste Mädchen der ganzen Schule, sie war hübsch, reich und nahm sich das was sie wollte. Sie wusste wer sie war und vorallem wusste sie wer ich war. Sie wusste um unsere bescheidenen Lebensverhältnisse, um unsere eigene Familienprobleme, sie wusste alles. Und wieso ? Weil Travor sich übernommen hatte ! Als er vor zwei Jahren mit zusammen kam als Teamcapitan der Footballmannschaft und von da an jede Minute mit ihr verbrachte bis er sich von ihr trennte. Da er jedoch ohnehin bald die Schule verlässt bleibt Rylee nichts anderes übrig als ihren Frust an mir auszulassen.

Ihr eisblondes Haar schlug mir entgegen und streift mein Gesicht als sie sich erfreut zu ihrer Cliuqe wendet und ihr ein keckerndes Lachen entfährt: "Du dachtest wohl du wärst heute sicher, was ?" Ihr Stimme erklang voll Hohn und Missachtung und ihre Worten erschlugen mich förmlich doch ich musste es einfach an mir abperlen lassen. Wenn ich jetzt Schwäche zeigen würde, wäre das mein Ende, dann würden heute alle von dem Mädchen aus der Oberstufe reden dass sich den ganzen Schultag in der Toilette zurückgezogen hatte und selbst die Lehrer genießen anscheinend die tägliche Abfuhr die mir Rylee erteilte. Obwohl meine Tränen schon vor langer Zeit versiegt sind. Um was sollte ich trauern ? Das ich nicht beliebt war wie sie ? Das ich weder Freunde noch sonst jemanden hatte der mich beschützte ?

Desinteressiert sehe ich zu ihr hinauf. Sie war großgewachsen, schlank und sportlich mit perfekt gestyltem Haar, ein Luxus und ein Leben von dem ich nicht mal zu träumen wagen würde und Travor hat sich einfach an sie ran geschmissen. Nur wegen ihm muss ich ihrem Zorn standhalten und er denkt nicht einmal daran mir in solch einer Situation beizustehen. Einige aus unserer Schule wissen noch nichteinmal das wir Geschwister sind, geschweige denn das es mich überhaupt gibt. Nur Rylee's Angriffe lassen etwas Aufmerksamkeit auf mich fallen, doch auf die könnte ich gut verzichten.

Das Klingeln ertönte einige Momente zu spät als Rylee den gesamten Inhalt meines Schulrucksacks bereits auf den Boden fallen ließ und sie sich mit schwungvollem Gang in den Klassenraum zurückzieht und mich keines Blickes mehr würdigt. Sechs Paar Designer-Schuhe schritten über meine Aufzeichnungen hinweg an mir vorbei wobei ich von unzählige Blicken aus dem Klassenraum beäugt wurde.

Zu meinem großen Glück tastete ich nach einer klitschnassen Tasche, worraus ich schließ das mein Wasservorrat für heute wohl auch vernichtet ist, genau wie meine Hausaufgabe in Physik. Verdammt wie ich dieses Leben hasste ! Jeden Tag ist es doch immer dasselbe, jeden verdammten Tag bis an mein scheiß Lebensende, es wird sich nie etwas daran ändern, denke ich und sortiere alles irgendwie zu einem unerkenntlichen Haufen zusammen, denn ich anschließend im Abfall entsorgte. Danach nahm ich meine Wasserflasche und hielt sie unter den Getränkespender, um wenigstens noch was zum Trinken abzubekommen, denn der Hunger plagte mich bereits jetzt schon.

Der Unterricht hatte bereits begonnen als ich mich wieder dazu entschloß in den Physikraum zu tretten und ich mitten in einer von Herr Jonsons Vorträgen hineinplatzte. Mit einem strengem und irgendwie genervten Blick funkelt er mich über den Rand seiner Brille an und deutet auf meinen Platz in der vorderen Reihe: "Setzen Sie sich, Scrott." Bei meinem Namen hebte er überflüßiger Weise seine Stimme, woraufhin alle auf mich aufmerksam wurden und mich belustig angrinsten. Ein Tuscheln dringt durch die hinteren Sitzreihen und ich vernehme die Worte: "....schau sie hat sich ja ihre ganze Secondhand Kleidung voll geheult." "Der ist echt nicht mehr zu helfen..."

Mit meiner nassen Tasche schlurfe ich auf meinen Platz und lasse kraftlos die Schultern hängen, fortwährend begleitet von einem unheilvollen Gemurmel meiner Mitschüler, dass sich jedoch immer mehr in meinen Gedanken verschwimmt. Müdigkeit erfasste mich und mir fielen die Augen zu. Die Mückenstiche brannten, meine Haut brannte, meine Augen brannten...wann würde das alles vorbei seien ?

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Bevor ich die Augen wieder öffnen konnte switchen alle Gefühle wieder an mir vorbei und die Erinnerung entgleitet mir. Vor mir erstreckt sich eine kleine Siedlung und sogar ein paar Menschen kann ich von ihr bereit ausmachen. Hawlkins Holow, entfährt es mir und ich sah zum ersten Mal seit langem meine alte Heimat. Die selben kaputten Stromleitungen der Vorstadt, der selber abbrökelnde Asphalt der Straßen und die selben unerforschten Wälder drum herum. Alles ist so wie vorher, wie aus meinen Erinnerungen.  Aber was ist nur passiert ? Wieso bin ich hier ?

Ghost story - Wispern des TodesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt