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Tae

Er hat mir sein Gedicht gezeigt.
Noch nie zuvor hat mir jemand etwas so Kostbares anvertraut.
Es ist schon komisch, und ich will auch nicht abgedroschen klingen, aber es fühlt sich an, als hätte ich Jungkook heute zum ersten Mal wirklich gesehen.
In den lustigen Filmideen, die er sich notiert hat, war sein Humor zu sehen, und in dem krassen Gedicht über den Food-Truck aus der Hölle seine Bissigkeit.
Aber dieses Gedicht war anders.
Wahrhaftig.

In meinem Leben gibt es sonst keine Menschen, die Gedichte schreiben.
Joon macht Slam-Poetry, aber eher politisches Zeug, was ja auch okay ist.
Es ist nur nicht so... persönlich.
Mehr so, als würde er sich aufregen, aber ohne, dass seine Worte je einen Teil seiner Seele offenbaren.

Allerdings frage ich mich, ob ein Typ wie Jungkook, der so zierlich ist und geht, als würde er tanzen, jemanden mögen könnte, der so plump und schwerfällig ist wie ich.

Kann er durch meine harte Schale hindurchsehen und erkennen, dass auch ich ein Herz habe?

So einer wie ich, einer, der Baseball spielt und mit seinen Kumpels abhängt, darf kein weiches Herz haben.
Aber insgeheim steh ich auf zart.
Mehr als mir lieb ist.

Ich wünschte, ich könnte ihm mein Herz offenbaren.
Aber das ist gefährlich.
Du zeigst Gefühle, und schon lachen die Leute.
Nichts ist schlimmer, als ausgelacht zu werden, wenn man jemandem sein Herz öffnet.
Darum machen Schwule das wahrscheinlich nicht so häufig.
Das ist auch der Grund, weshalb ich nicht recht glauben kann, dass Jungkook mir genug vertraut, um mir seins zu zeigen.

Ich will es wert sein.

Also mache ich, sobald ich zu Hause angekommen bin, die Zimmertür hinter mir zu und überzeuge mich davon, dass sie wirklich abgeschlossen ist.
Ich weiß nicht, warum.
Ich will einfach nicht, dass Mom hereinspaziert und mich so sieht.
Nicht, dass es irgendwie schlimm wäre, aber das alles fühlt sich so... persönlich an.

Ich setze mich an meinen Schreibtisch, schließe die Augen und denke an Jungkooks einsames Gedicht.

Eine Schaufel, die sich nach oben rausgräbt.
Wow.
Und die Luft, die wegbleibt.
Wow.
Mit geschlossenen Augen stelle ich mir Jungkook vor, der sich hochschaufelt, und plötzlich hoffe ich, dass oben jemand ist, der sich ihm entgegengräbt.

Ich hole mein Malzubehör aus der untersten Schublade.
Das habe ich seit der neunten Klasse nicht mehr gemacht, als Mr Yeon meine Saguaro-Kaktee als Beispiel dafür herumgezeigt hat, wie man es nicht machen sollte.
„Vielleicht bist du doch eher ein Sportler, Kim.“ sagte er, und ich grinste bloß, als mich alle auslachten.

Das Malzubehör ist in einem schwarzen Beutel mit Reißverschluss, in dem ungefähr fünfzig Stifte in verschiedenen Farben und Stärken von hart bis weich liegen.
Außerdem ein Radiergummi, mit dem man nicht nur Fehler ausradieren, sondern den man auch kneten kann.
Das habe ich immer gemacht, wenn ich nervös wurde.
Selten vergingen zwei Sekunden, ohne dass ich den grauen Radierer zwischen meinen Fingern zu einer Kugel rollte, um ihn dann in die Länge zu ziehen und wieder zusammenzudrücken.

Ich schlage mein altes Notizbuch auf und blättere durch die Seiten.
Natürlich sehe ich auf der letzten Seite den Saguaro wieder.
Für mich sieht er gar nicht so übel aus, mit seinen sechs Armen in unterschiedlicher Höhe und mit der stacheligen Oberfläche, wie bei dem Kaktus in unserem Vorgarten.
Die Grünschattierungen scheinen mir auch gut getroffen zu sein.
Ich weiß nicht, was Mr Yeon gesehen hat.
Vielleicht wollte er auch bloß einen Witz reißen.
Wie auch immer, jedenfalls hat es dazu geführt, dass ich mit dem Malen aufgehört habe.
Ich habe sogar den kompletten Zeichenkurs sausen lassen.
Aber in diesem Moment ist mir das egal.

The sound of what happened //a Taekook Story//Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt