Kapitel 3

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Kakashi wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er plötzlich leise Schritte auf dem kalten Steinboden wahrnahm. Sie hielten vor seiner Zelle inne, dann schwang die Tür auf.

Schwach hob er seinen Kopf an, wobei ihm jeder Teil seines geschundenen Körpers schmerzte. Er blickte in das alte Gesicht einer Frau, deren Augen ihn besorgt musterten, während sie die Zelle durchquerte. »Wie gut, dass Ihr bei Bewusstsein seid, Kakashi-san«, hörte er ihre warme Stimme sagen. »Hier, trinkt das.«

Er spürte eine warme Flüssigkeit an seinen Lippen, die den Stoff seiner Maske tränkte, und stürzte diese gierig durch den Stoff herunter. Sofort spürte er, wie wieder etwas Kraft in seine gefrorenen Glieder drang und er richtete sich ein wenig auf. »Vielen Dank«, sagte Kakashi mit kratziger Stimme und beäugte die alte Frau. Er kannte sie nicht. »Wer sind Sie und was tun Sie hier?«

Ihr furchiges Gesicht nahm einen warmen Ausdruck an. »Ich schulde Euch ein Leben.« Ehe Kakashi nachfragen konnte, fuhr sie fort: »Mein Sohn war einer der Männer, die Euer Vater rettete, als er sich damals dafür entschied, die Mission nicht auszuführen. Als ich erfuhr, dass Ihr gefangen genommen wurdet, wusste ich sofort, dass es nun an der Zeit ist, mich dafür zu revanchieren. Ein Sohn für einen Sohn.« Sie begann an Kakashis Ketten herumzufummeln.

Kakashi schüttelte den Kopf und schob die alte Dame sanft von sich, soweit es seine kurzen Ketten erlaubten. »Das kann ich nicht zulassen. Sie würden dafür getötet werden.«

»Selbstlos wie der Vater.« Die Frau lächelte selig. »Ich bin schon alt und ein Leben als Sklavin der Akatsuki ist für mich nicht lebenswert. Ich würde lieber meine Schuld begleichen und bei etwas Gutem sterben, als irgendwann vor Überarbeitung umzukippen.« Sie ballte entschlossen die Fäuste, wobei sich die alten Sehnen unter der pergamentähnlichen Haut zeigten. Dann fing sie erneut an, an den Fesseln zu hantieren.

In Kakashi regten sich widerspüchliche Gefühle. Er wollte noch unendlich viele Fragen stellen, aber dafür war keine Zeit. Mit einem leisen Klirren glitten die Fesseln von Kakashis Handgelenken. Sie waren von blutigen Kreisen umrundet. Vermutlich hatte er während Kisames Verhör zu sehr an seinen Fesseln gezogen. Beim Gedanken daran, drehte sich sein Magen um.

Stöhnend stützte der sich an der Wand ab und kam langsam auf die Beine. Seine Klamotten und der Boden waren mit Blut bespritzt und er wunderte sich ernsthaft, dass er hatte aufstehen können. Sein Blick glitt zu der Schüssel, die ihm die alte Frau an die Lippen gehalten hatte. In dem Sud musste wohl ein starkes Schmerzmittel gewesen sein.

Die alte Dame blickte fordernd zu ihm auf. »Na los! Verschwindet!« Dabei versetzte sie ihm einen leichten Stoß. Vor Schmerz biss er die Zähne zusammen.

Was sollte er tun? Er konnte die Frau nicht ihrem Schicksal überlassen, war aber definitiv nicht in der Verfassung, um sie mit sich zu nehmen. Ihm kam eine Idee. Sie war nicht optimal, aber dennoch besser als nichts. Er hob den Arm und betäubte sie mit einem gezielten Schlag auf den Hinterkopf. Dann fing er sie auf und legte sie vorsichtig auf dem Boden ab. Vielleicht würden die Akatsuki so denken, dass er die Dame lediglich überwältigt hatte. Das würden sie ihr nicht zum Vorwurf machen können. Er nahm sich fest vor, zurückzukehren und die alte Frau zu retten.

Leise schlüpfte Kakashi aus seiner Zelle, löste die Fackel aus ihrer Wandhalterung und suchte den Raum, der größer war, als anfangs vermutet, nach seinen Waffen ab. Als er sie nicht finden konnte, entschied er, ohne sie zu gehen.

Es stellte sich heraus, dass er in ein sehr verzweigtes Gewölbe verschleppt worden war, durch dass er ziellos irrte. Immer wieder gab es Abzweigungen, bei denen Kakashi willkürlich abbog. In Gedanken zeichnete er eine Karte von den Gängen, die er bereits durchschritten hatte, um nicht im Kreis zu laufen. Dennoch war weit und breit kein Ausgang in Sicht. Hinzu kam, dass das Gebräu der alten Frau scheinbar eine zeitlich begrenzte Wirkkraft besaß. Mit jedem Schritt konnte er beinahe fühlen, wie sein Körper immer erschöpfter wurde. Aber Kakashi wusste, dass er auf keinen Fall stehen bleiben durfte und zwang seine Beine, immer weiter zu gehen. Die Fackel hielt er nur gesenkt in der Hand, weswegen er fast gegen eine Steinwand gelaufen wäre. Es dauerte einen Augenblick, bis er verstand, dass er in eine Sackgasse geraten war.

Kakashi raufte sich verzweifelt durch die blutverkrusteten silbergrauen Haare. Er würde den ganzen langen Gang zurücklaufen müssen. Erschöpft legte er eine zitternde Hand an die Mauer. Er wusste nicht, ob sie vor Schmerz oder Kälte zitterte. Dann erstarrte er. Auf seinem Rücken ruhend, konnte er wieder diese Augen spüren. Langsam drehte Kakashi sich um und schaute durch seine feuchten Haarsträhnen in die Dunkelheit, die sich hinter ihm befand.

Er konnte zwar nichts erkennen, aber dennoch war er sich sicher, dass jemand in den Schatten stand. Beinahe konnte er den Blick wie physische Berührung auf seiner Haut fühlen. Kakashi erschauderte. Mit zusammengebissenen Zähnen rief er: »Zeig dich!« Er erschreckte selbst darüber, wie kraftlos seine Stimme klang.

Einen Moment passierte nichts, doch dann trat Itachi in das Licht der Fackel. Kakashi hielt seinen Blick auf die Wand neben ihm geheftet, drehte sich zu seinem Gegner um und richtete sich auf.

»Du musst meinen Augen nicht ausweichen. Für dich brauche ich das Sharingan nicht.«

Kakashi ballte wütend die Fäuste, änderte ansonsten allerdings nichts an seiner Haltung. Die Erschöpfung hatte seine Reflexe verlangsamt. Im nächsten Moment spürte er eine Hand an seiner Kehle, die ihn gegen die kalte Wand drückte. Die Fackel fiel auf den Boden und sprühte Funken in alle Richtungen, erlasch jedoch nicht.

Kakashi starrte gebannt in die dunklen Augen seines Feindes, die von dichten schwarzen Wimpern umrandet und nur ein kleines Stück von seinen eigenen entfernt waren. Das flackernde Licht spiegelte sich in ihren unergründlichen Tiefen. Von seinem Körper ging eine angenehme Wärme und ein sauberer Duft aus. Sanft konnte er Itachis Atem über sein Gesicht streifen spüren. Offensichtlich hatte er wirklich nicht vor, das Sharingan einzusetzen.

Der Griff um Kakashis Hals wurde fester. »Ich hatte mit größerem Widerstand gerechnet, Kakashi-san.«

Überrascht zuckte Kakashi zusammen. Es war absurd, in der gegebenen Situation mit -san angesprochen zu werden. Ihm fiel auf, dass Itachi, widersprüchlich zu dem eigentlichen Eindruck den er erweckte, zwar distanziert, aber dennoch stets höflich aufgetreten war. Er fragte sich müde, wie diese Verhaltensweise in das restliche Bild des furchterregenden Clanmörders passte.

In seinem Gesicht suchte Kakashi nach Anhaltspunkten zur Beantwortung dieser Frage, hatte dabei allerdings das Gefühl, nur eine Maske zu betrachten. Die Augen seines Gegenübers schienen zu verschwimmen, nur um sich anschließend zu verdoppeln.

Es fiel ihm zunehmend schwerer einen klaren Gedanken zu fassen. Die Schatten schienen sich immer weiter auszudehnen. Wie war er noch einmal in diese Situation gekommen?

»Ich hatte mit weniger Gängen gerechnet«, nuschelte Kakashi wirr. Er meinte zu sehen, wie Itachis Mundwinkel zuckte. Dann erreichten ihn die Schatten und zogen ihn in die Bewusstlosigkeit.

Der entsetzliche Schmerz, als sich die Ketten wieder um seine blutigen Handgelenke schlossen, weckte Kakashi erneut. Er konnte nur verschwommen sehen und spürte jede einzelne Verletzung seines Körpers. Irgendwie fand er seine angekratzte Stimme: »Ihr könnt mit mir tun und lassen, was ihr wollt. Ich werde Konoha und meine Kameraden niemals verraten.«

Die Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, doch Itachi musste sie verstanden haben, denn er umfasste Kakashis Kinn und zwang ihn, in seine schwarzen Augen zu blicken. Dort schien er nach etwas zu suchen. Die Zeit schien still zu stehen, während Kakashi in seinem hypnotisierenden Blick gefangen war.

Schließlich richtete er sich wieder auf und verkündete kalt: »Das werden wir noch sehen.« 

Kakashi x Itachi (Roman-Edition) - DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt