Kapitel 10

499 25 0
                                    

Nach unerwartet kurzer Zeit - es konnte sich nur um wenige Stunden gehandelt haben, die Fackel brannte noch - hörte Kakashi wieder die leisen Schritte, die ihm mittlerweile schon fast vertraut vorkamen. Ob er sich allerdings über sie freuen oder sie fürchten sollte, wusste er nicht. Sehr wohl wusste er hingegen, was sie von ihm wollten. Er schloss die Augen und atmete tief durch.

Itachi erschien im Licht der Fackel, durchquerte den Raum und öffnete die quietschende Zelltür, schloss sie aber nicht wieder. Er hielt eine Schale in der Hand. Als er näher kam, erkannte Kakashi, dass sie mit noch dampfenden Reis gefüllt war. Sein Magen stieß ein leises Knurren hervor.

Itachi blieb einige Schritte vor ihm stehen. »Du könntest uns beiden dieses Verhör ersparen.« Sein Blick fixierte den Inhalt der Schüssel. Anders als Kisame wirkte er tatsächlich, als würde ihm der Gedanke an das Verhör missfallen.

»Ich weiß«, antwortete Kakashi. »Aber manche Shinobis bleiben ihrem Dorf treu.« In seiner Stimme schwang ein gewisser Vorwurf mit. Er konnte sehen, wie sich Itachis Schultern etwas versteiften. Dann schlossen sich seine Augen. »Konoha hat Glück, Menschen wie dich in den eigenen Reihen zu wissen.«

Mit dieser Antwort hatte Kakashi nicht gerechnet. Er hatte das Gefühl, dass sich noch mehr hinter diesen Worten verbarg. Aber was? Ihm schossen etliche Fragen durch den Kopf, aber, einer plötzlichen Eingebung folgend, stellte er nur eine: »Was ist damals in jener Nacht wirklich passiert?« Es war beiden klar, dass er von dem Clan-Massaker sprach.

Eine Weile herrschte Schweigen. »Du wurdest sicher über die Tatumstände unterrichtet«, antwortete er schließlich distanziert. Es klang nicht, als würde er weiterreden wollen. Aber Kakashi wusste, dass er vermutlich nie wieder eine ähnliche Gelegenheit bekommen würde. Bestimmt fragte er weiter: »Und es ist wahr, was uns allen erzählt wurde?« Die Geschichte, dass er alle außer Sasuke ermordet hat, um seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, war Kakashi schon immer etwas seltsam erschienen. Er hatte es jedoch nie weiter hinterfragt.

Die Zeit schien still zu stehen. Itachi bewegte keinen Muskel, er war wie versteinert. Dann öffnete er die Augen. Sie waren eiskalt und ohne jegliches Gefühl. »Ja.«

Kakashi zuckte zusammen. War Itachi wirklich nichts weiter als ein Mörder aus Spaß, so wie er es immer angenommen hatte?

»Du bist ein guter Lügner.« Die Worte waren über Kakashis Lippen gekommen, ohne dass er sie bewusst geformt hätte. Aber er wusste sofort, dass sie seine wahren Gedanken widerspiegelten. Als er Itachis leeren schwarzen Blick sah, fügte er etwas ruhiger hinzu: »Bis jetzt hatte ich nie an dem Bild gezweifelt, dass uns von dir gegeben wurde. Auch du scheinst den Titel des abtrünnigen Ninjas widerstandslos anzunehmen und nach seinem Vorbild zu handeln. Aber jetzt, da ich einige nähere Eindrücke von dir sammeln konnte, glaube ich nicht mehr -«

Itachi unterbrach ihn mit einem bitteren Unterton in der Stimme: »Du solltest dich aus den Angelegenheiten anderer heraushalten.«

Dann schien er in Gedanken zu versinken und diese Gedanken schienen nicht sehr angenehm zu sein. Kakashi betrachtete ihn genau. Plötzlich erschien ein schmerzerfüllter Zug um seinen Mundwinkel. Ein ungeübtes Auge hätte ihn wohl nicht erkannt. Für Kakashi war der Ausdruck eine Bestätigung. Aber was hatte das zu bedeuten? Was war wirklich in jener Nacht geschehen? Wer kannte die Wahrheit noch? Kakashi musste noch mehr darüber herausfinden, brachte es aber jetzt, wo sein eigentlicher Feind so mitgenommen wirkte, nicht über sich.

Ohne zu wissen, weshalb, verspürte er den Drang, Itachi aufzumuntern. Er richtete den Blick schnell auf die Reisschüssel, die mittlerweile etwas abgekühlt war, und fragte: »Ist die für mich?« Er hoffte, Itachi so aus seinen düsteren Erinnerungen reißen zu können.

Kakashi x Itachi (Roman-Edition) - DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt