Kapitel 9

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Ohne ersichtlichen Grund blieb Kisame plötzlich stehen und Kakashi wäre beinahe in ihn hineingelaufen. Sie waren bereits seit zwei Stunden unterwegs und er konnte seine Kraft erneut schwinden spüren.

»Dann trennen wir uns hier«, verkündete Kisame. Seine Stimmung schien sich noch nicht gebessert zu haben.

»Ist gut.« Itachi streckte ihm die Hand entgegen und Kisame überreichte ihm das Seil, das noch immer um Kakashis Hals lag. Die beiden Männer nickten einander zu, dann verschwand Kisame zwischen den Bäumen und Itachi setzte den ursprünglichen Weg mit Kakashi im Schlepptau fort. Auch dabei würdigte er ihn keines Blickes.

Kakashi begann sich alleine mit Itachi, wie bereits am vorherigen Tag, unwohl zu fühlen und vermisste Kisame plötzlich ein wenig. Aus einem unbestimmten Grund hatte es ihm weniger ausgemacht von dem Nebelninja wie ein Hund geführt zu werden, als es das bei Itachi tat.

Sie gingen schweigend weiter und Kakashi grübelte über die Kontaktaufnahme und Kisames seltsames Verhalten nach, kam aber zu keinem scharfsinnigen Ergebnis.

Nach ungefähr einer halben weiteren Stunde traten sie auf eine ungewöhnlich große Lichtung. Je weiter sie sich ihr genähert hatten, desto mehr hatte Kakashi das Bedürfnis verspürt, auf der Stelle umzudrehen. Falls Itachi ähnlich empfunden hatte, so war es ihm zumindest nicht anzumerken gewesen, und Kakashi hatte sich nicht beschweren wollen.

Ruhig hob der Uchiha eine Hand und legte sie scheinbar willkürlich an einen Baumstamm. Kakashi konnte Umrisse von seinem Chakra ausmachen. Dann schien es, als würde sich ein Vorhang, der unbemerkt vor seinen Augen gehangen hatte, heben und auf der Lichtung tauchte ein großer Turm auf. Gleichzeitig fiel das bedrängende Gefühl, umzukehren, von Kakashi ab. Das musste das Versteck sein, von dem sie geredet hatten.

Der steinerne Turm verfügte über keinerlei Verteidigungsanlagen. Die hatte er auch nicht nötig, verstand Kakashi, denn durch das abschreckende Bedürfnis, das er offensichtlich auslöste, hätte sich ihm sicherlich niemand freiwillig genähert. Nicht einmal Tiere waren in der Umgebung zu sehen. Es musste sich um ein mächtiges Tarnjutsu handeln.

Itachi ließ die Hand langsam an der Rinde hinabgleiten und erzeugte dabei ein leises Kratzen. Eine Gänsehaut zog über Kakashis Rücken. Was war nur los mit ihm? Anschließend schritten sie weiter auf den Turm zu.

Auch wenn er von außen etwas verkümmert gewirkt hatte, so war er innen hell und warm eingerichtet. Lediglich die einheitliche dünne Staubschicht, die alles bedeckte, ließ darauf schließen, dass sich hier seit längerer Zeit keine Bewohner befunden hatten. Itachi ging zielstrebig zu dem steinernen Treppenansatz, der in die kühle Erde hinabführte und blickte in die Tiefe. Offensichtlich gab es auch ein Kellergewölbe. »Du gehst voraus.«

Kakashi schaute ihn fragend an, doch er hielt seinen Blick fest auf die Dunkelheit unter ihnen geheftet. Vermutlich ging er davon aus, dass Kakashi versuchen würde, ihn durch eine günstige erhöhte Position auf der Treppe von hinten zu überwältigen. Das hätte er auch bei einem schwächeren Gegner getan, doch bei jemandem wie Itachi würde eine derart simple Technik sicher nicht genügen. Zumal Kakashi durch den Marsch wieder sehr geschwächt war.

Bei genauerer Betrachtung fiel ihm plötzlich auf, dass auch sein Feind erschöpft wirkte. Es war nur sehr schwer zu erkennen. Doch nachdem er so viel Zeit damit verbracht hatte, über den undurchschaubaren Uchiha nachzudenken, begann er doch langsam, in den kleinen körperlichen Signalen lesen zu können. Und sei es nur an einer leicht veränderten Haltung der Schultern.

Schließlich senkte auch Kakashi den Blick und setzte sich vorsichtig in Bewegung. Hinter sich hörte er Itachis leise Schritte. Nach wenigen Stufen konnte Kakashi bereits nichts mehr erkennen.

Er hörte ein Rascheln, dann flog ein kleiner Feuerstreifen an ihm vorbei und entzündete eine Wandfackel. Itachi ging zu ihr und nahm sie aus ihrer Halterung. Dann bedeutete er ihm weiterzugehen.

Die Zelle, in die Kakashi geführt wurde, unterschied sich nicht wirklich von seiner vorherigen. So tief unter der Erde war es immer kühl und feucht. Itachi steckte die Fackel in eine der Wandhalterungen. Im tanzenden Licht erkannte Kakashi, dass sogar dieselben Ketten in die Steine eingelassen waren.

Er blieb vor der Gittertür stehen und spannte sich an, nicht bereit, wieder in einer unterirdischen Zelle angekettet, zu vergammeln. Ein Wassertropfen tropfte zu Boden. Das eigentlich harmlose Geräusch drang ihm durch Mark und Bein. Er konnte hier auf keinen Fall bleiben. Sollten seine Vermutungen bezüglich Itachis eigener Erschöpfung stimmen, hatte er vielleicht jetzt die letzte Chance, vor dem Verhör zu entkommen. Um sich zu versichern, drehte sich Kakashi langsam um und warf einen Blick in Itachis Gesicht, suchte nach weiteren Anhaltspunkten für Schwäche.

Sein unergründlicher Blick schwebte knapp neben Kakashis Kopf. Keiner der beiden rührte sich. Wieso weigerte er sich bloß, ihm in die Augen zu schauen?

Plötzlich machte Itachi einen schnellen Schritt auf ihn zu und griff in den Schnitt im Stoff an Kakashis Hals, den Kisame dort am Morgen hinterlassen hatte. Die Wunde darunter brannte auf, als Itachis Finger an ihr entlang fuhren, und Kakashi wich zurück. Itachi hielt ihn eisern fest und drückte ihn rückwärts in die Zelle. Er hatte ihn in eine instabile Körperposition gebracht, weswegen Kakashi stolperte und kaum gegensteuern konnte.

Nach einigen Schritten spürte er die kalte Wand in seinem Rücken und Itachi versuchte, ihn nach unten zu drücken. Eisern hielt er dagegen und versuchte Augenkontakt herzustellen. Doch noch immer verweilte der Blick des Uchihas knapp neben seinem Kopf. Seine Finger griffen den Stoff noch etwas fester und ein reißendes Geräusch war zu hören. Seine Knöchel bohrten sich in Kakashis Wunde, woraufhin diese erneut aufging. Das warme Blut beschmutzte seine sauberen Hände.

Er trat noch etwas dichter an Kakashi heran. »Benimm dich«, sagte er leise mit einem drohenden Unterton. Sein warmer Atem strich an Kakashis Ohr vorbei.

Dieser erstarrte. Dann antwortete er leicht außer Atem: »Erst wenn du aufhörst, meinem Blick auszuweichen.«

Einen Moment passierte nichts. Dann glitten seine dunklen Augen zur Seite und trafen auf Kakashis. Seine Beine gaben unter Itachis Druck nach und er rutschte an der Wand herab. Itachi folgte seiner Bewegung und hielt ihn weiterhin fest. War er in einem Genjutsu?

Ohne den Augenkontakt zu lösen, entfernte Itachi Kisames Seil und legte stattdessen die Ketten wieder an. Den Schmerz an seinen Handgelenken spürte Kakashi fast gar nicht.

Nachdem Itachi einen Moment neben ihm ausgeharrt hatte, stand er schließlich wieder auf und trat einen Schritt zurück. Sein Blick fiel auf seine blutverschmierte Hand. Kakashi konnte sehen, dass sie leicht zitterte. Dann drehte er sich einfach um und verließ die Zelle. Die Fackel ließ er zurück.

Kakashi x Itachi (Roman-Edition) - DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt