Es ist der Tag der Prüfung.
Heute werde ich vor die Spielmacher treten und mein Können beweisen müssen - sollte das nicht funktionieren, habe ich so gut wie keine Chance mehr in der Arena.
Nach dem Frühstück schlüpfe ich ein letztes Mal in die glänzende Trainingskleidung. Einige Minuten später sitzen Jacek und ich bereits mit den anderen zweiundzwanzig Tributen, nach Distrikt geordnet, in einem schmalen Raum.
Nervös blicke ich mich um, und selbst in den Gesichtern der Karrieros entdecke ich Anspannung. Wahrscheinlich sind sie sich ziemlich sicher, dass sie die höchsten Punktzahlen erhalten werden, doch trotzdem müssen sie mit allem rechnen. Schließlich hatten die Karrieros, die in den letzten Jahren eine vergleichsweise niedrige Zahl erhalten hatten, direkt jegliche Bewunderung und Unterstützung der Zuschauer verloren.
Schließlich wird Jacek aufgerufen und meine Prüfung rückt in bedrohliche Nähe. Noch immer habe ich keine Idee für meine Präsentation, ich werde in diesen fünfzehn Minuten wohl improvisieren müssen. Welche Punktzahl mir das wohl bringen wird?
Vielleicht eine fünf oder eine sechs? Oder vielleicht sogar eine sieben? Mit einer höheren Punktzahl rechne ich jedenfalls nicht. Das höchste, was erreicht werden kann, ist eine zwölf, doch das ist so gut, dass es in der Geschichte der Hungerspiele noch kein Tribut erlangt hat. Eine eins hingegen ist so schlecht, dass nicht mal ein zwölfjähriges Kind diese jemals erreicht hat.
Meine Finger sind schon seit einer gefühlten Ewigkeit ineinander verknotet, als eine metallene Stimme mich endlich aufruft.
„Librae Olgivy, Distrikt vier."
Wie im Traum erhebe ich mich.
In der Trainingshalle ist es so leise, dass man das Flüstern der Wellen hören könnte. Obwohl sich der Raum nicht verändert hat, erscheint er mir auf einmal viel größer und kälter. Ich blicke hinauf zur Lounge der Spielmacher, die ein jeder ein frisch gefülltes Champagnerglas in der Hand halten und ihre Augen gebannt auf mich richten.
Als Vertreterin für Distrikt vier habe ich wohl noch ziemliches Glück - ich kann mir gut vorstellen, dass sie bei den späteren Distrikten kaum noch so aufmerksam sein werden. Die arme Sky.
Schnell verdränge ich jegliche Gedanken wieder - jetzt geht es bloß um mich, es geht bloß um diesen einen Moment. Was kann ich tun? Wie Möwen über der See kreisen die Gedanken in meinem Kopf - der Kampf mit dem Dreizack.
Das habe ich nicht nur hier genug geübt, sondern auch seit siebzehn Jahren in meiner Heimat. Bei der Waffenstation angelangt, ziehe ich den Dreizack aus der Halterung.
Ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, doch er liegt viel schwerer in der Hand, als in den vergangenen Tagen. Mit einem tiefen Atemzug trete ich hinter die Wurflinie und hebe den Dreizack.
Zwei Schritte zurück. Zielen. Anlauf. Arm ausstrecken. Loslassen.
Mit einem dumpfen Knall landet der Dreizack in der Zielscheibe, nicht ganz in der Mitte.
Du musst auf dich selbst vertrauen.
Mags' Stimme halt in meinem Kopf wider. Ich kann das! Entschlossen werfe ich ich erneut und erneut. Treffer. Und noch einer. Und noch einer. Alle in die Mitte der Zielscheibe. Angespornt von meinem Erfolg wage ich mich schließlich zu einer anderen Station - dem Kletternetz.
Doch kurz davor halte ich inne - ich habe eine Idee.
Ich eile zu der Tarnungsstation und schnappe mir ein dickes Fischernetz. Ich schaffe es, einige seiner Knoten zu lösen, sodass es an einer Seite an einer langen Schnur hängt. Danach platziere einen Dummy eng unter die Kletterstation und schlinge das Fischernetz fest um die Figur. Bloß das unverknotete Ende behalte ich in der Hand und wage schließlich den Klettergang.
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Tribute von Panem | Flüsternder Ozean
Fanfiction»Das ist der einzige Vorteil, den ich habe. Das Wasser.« Was tust du, wenn du für die Hungerspiele ausgewählt wirst und von nun an das Schicksal deiner gesamten Familie allein von dir abhängt? Das Glück verlässt Librae Olgivy, eine Waise aus Distri...