Eine flache, sandige Ebene erstreckt sich vor uns, bloß abgetrennt durch eine Schlucht einige Meter von uns entfernt. Ich bin mir sicher, dass dort hinter das Kraftfeld lauert, mit dem die Spielmacher eine Art unsichtbare Abgrenzung der Arena geschaffen haben. Erst im letzten Jahr hat der Junge aus Distrikt zwölf dadurch die Spiele gewonnen, dass er es sich zur Nutze gemacht hat.
Der einzige Weg, der sich Willow und mir also bietet, ist besetzt mit spitzen Felsen, die den gesamten Pfad auf der Felswand zieren. Ich spüre, wie die Erschöpfung an jedem einzelnen meine Glieder zieht - wie lange werde ich das noch durchhalten?
Willow scheint den gleichen Gedanken gefasst zu haben, denn mit einem Mal bremst sie abrupt ab, sodass rötliche Sandkörner unter ihren Füßen aufwirbeln.
„Librae! Wir haben keine Kraft mehr! Sie werden uns einholen!"
Ihr Ruf reißt mich sofort wieder aus den Gedanken und die Panik, die in ihrer Stimme mitschwingt, macht mich so nervös wie noch nie.
Im selben Moment höre ich einen gedämpften Ruf durch den Wind unter mir pfeifen- die Karrieros. Sie könnten jeden Moment über die Felskante geklettert kommen und uns töten - und dieses Mal können wir wirklich nicht weit fliehen, ohne, dass sie uns entdecken werden.
Verzweifelt werfe ich einen Blick zu meiner Verbündeten, doch es ist das erste mal, dass selbst sie ideenlos zu sein scheint. Doch eine Lösung muss her!
Meine Gedanken scheinen sich schon beinahe zu überschlagen ... was Mags wohl gerade denkt? Jede unserer Bewegungen wird live ins Kapitol gesendet. Sieht meine Mentorin die Panik in meinen Augen und rauft sich womöglich schon die Haare, weil ich bloß so tatenlos auf meinen Tod warte?
Doch mit einem Mal flammt eine Idee in mir auf. Sofort wende ich mich zu meiner Verbündeten.„Willow, gib mir etwas von dir ... deinen Gürtel, schnell!" zische ich ihr zu. Einen Moment lang zögert Willow, doch dann scheint sie beschlossen zu haben, meinem Plan zu folgen. Vermutlich ist es unsere letzte Hoffnung.
Sobald Willow ihren an Füllhorn ergatterten Gurt, der zur Verstauung von Waffen dient, abgestreift hat, wirft sie ihn mir zu. Als das Leder in meinen Händen landet, hechte ich zu einer Felsspitze ein paar Meter hinter uns. Keine Sekunde später hänge ich das Kleidungsstück so über das rötliche Gestein, dass man es nicht übersehen kann.
„Sie sind hier irgendwo!" tönt plötzlich ein Ruf hinter uns und versetzt mich in nur noch hellere Aufregung. Mit letzter Kraft sprinte ich zurück zu Willow und packe sie am Arm. Vermutlich viel zu grob, doch umso wirksamer, ziehe ich sie hinter einen krummen Felsen, der nur gerade so ihren Kopf überragt. Ich muss mich schon ducken.
Willow sieht mich mit großen Augen an und sofort presse ich einen Finger auf die Lippen. Doch sie weiß genau, dass wir kein einziges Geräusch verursachen dürfen. Denn genau in diesem Moment hört man Schritte, immer lauter und lauter - dann bleiben sie stehen.
„Wo sind sie?" höre ich Cooper energisch rufen, und für ein paar Sekunden ist bloß das Pfeifen des Windes und mein pochender Herzschlag zu hören. Offenbar suchen die Karrieros gerade jeden Zentimeter der Umgebung nach einem Anzeichen von uns ab.
„Hey, Coop!"
Es ist Jaceks Stimme. Er scheint etwas entdeckt zu haben.
„Siehst du das? Da hinten, über dem Felsen! Das gehört Sieben. Hat sie mir am Füllhorn vor der Nase weggeschnappt, ich hab's eben noch bei ihr gesehen."
Wieder einen Moment lang Stille. Instinktiv erwarte ich den Klang von Coras Stimme zu hören, da sie sonst immer die erste war, die sich an Diskussionen mit ihren Verbündeten lauthals beteiligt hat. Und tatsächlich habe ich recht, nach einer Weile höre ich sie. Doch Cora klingt anders als sonst, kühler, leiser, verletzter.
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Tribute von Panem | Flüsternder Ozean
Fanfiction»Das ist der einzige Vorteil, den ich habe. Das Wasser.« Was tust du, wenn du für die Hungerspiele ausgewählt wirst und von nun an das Schicksal deiner gesamten Familie allein von dir abhängt? Das Glück verlässt Librae Olgivy, eine Waise aus Distri...