14 | Boote am Horizont

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Mein Weg auf die Bühne scheint in einem einzigen Wirbel aus Farben, Geräuschen und Lichtern zu vergehen. Grelles Scheinwerferlicht blendet mich, kaum, dass ich die Stufen hinaufgestiegen bin. Der tosende Applaus des Publikums überrollt mich wie eine Flutwelle.

Meine Wahrnehmung scheint vernebelt, als wäre ich unter der Wasseroberfläche, sobald ich der jubelnden Menge zuwinke und schließlich Caesar Flickerman die Hand gebe. Erst, als ich mich gesetzt habe und der Jubel wieder völlig verstummt ist, tauche ich wieder auf.

Ich spüre, wie alle der tausenden Augenpaare hier im Saal allein auf mich gerichtet sind. Prompt beginnt Caesar mit der ersten Frage.

„Wie schön, dass du hier bist, Librae. Nun, ich bin mir sicher, wir alle brennen darauf, deine Einschätzung über den morgigen Tag zu hören. Also, was denkst du, hat dein Distrikt eine Chance?"

Es ist tatsächlich eine der Fragen, die ich mit Saphire durchgegangen bin und trotzdem scheint alles, was ich mir eingeprägt habe, nun bloß wild in meinem Kopf hin - und her zu wirbeln. Einige Sekunden lang herrscht eine bedrückende Stille, als Caesar mir das Mikrofon hinhält und mich erwartungsvoll anstrahlt.

„Ähm...Sie haben ja schon gesehen, dass Jacek und ich eine relativ hohe Punktzahl erhalten haben." beginne ich, doch Caesar unterbricht mich.

„Relativ? Keine falsche Bescheidenheit, meine Liebe! Mit einer Neun gehörst du schließlich zu den am besten bewerteten Tributen in diesem Jahr!" lacht er. Nervös verknote ich meine Hände ineinander und nicke.

„Ja, ja - das stimmt. Eine Chance haben wir deshalb auf jeden Fall. Aber wie wir es zuhause sagen - die kleinsten Fische entkommen dem Netz. Ich weiß nicht, was morgen geschehen wird, und wer ich in der Arena sein werde. Das einzige, dass ich weiß, ist, dass ich zurück zu meiner Familie möchte."

Ein gerührtes Seufzen geht durch die Menge.

„Das verstehe ich natürlich." sagt Caesar und legt mir verständnisvoll einen Arm auf die Schulter.

„Wie steht es denn um deine Familie, wo sie dir so wichtig zu sein scheint? Wie denken beispielsweise deine Eltern über deine Chancen?" Die letzte Frage trifft mich wie ein Schlag in den Magen.

„Meine Eltern sind tot." entfährt es mir leise und tonlos.

Erschrocken schnappt die Menge nach Luft und ich muss aufpassen, dass ich nicht genervt den Kopf schüttele. Insgeheim warten sie doch nur alle darauf, dass mir in der Arena das selbe widerfährt.

„Oh - das zu hören, bedaure ich sehr." raunt Caesar und ich sehe einen Anflug von Nervosität unter seiner so kameraperfekten Fassade. Offenbar ist es ihm unangenehm, das angesprochen zu haben und schon beinahe tut mir der Moderator leid.

„Schon gut, ich habe mich daran gewöhnt, ohne sie zu leben. Zurück zu Ihrer Frage, ich kann sie ja trotzdem beantworten. Meine Eltern sind gestorben, als ich noch jünger war und ich vermisse sie seitdem jeden Tag. Aber mit der Zeit ist mir aufgefallen, dass ich ihnen sehr ähnlich bin - das hoffe ich zumindest. Jedenfalls hat meine Mutter immer gesagt, ich solle dem Sturm trotzen und weiterkämpfen, egal, was kommen wird. Und das werde ich tun."

Ohrenbetäubend laut jubelt die Menge auf. Ich habe tatsächlich die Wahrheit gesagt, und die Zuschauer nicht mit süßem Lügen umsponnen. Vielleicht ist an Jakes Worten ja tatsächlich etwas dran. Nachdem der Jubel wieder verstummt ist, fährt Caesar fort.

„Das ist natürlich eine großartige Motivation. Kommen wir aber mal zu einem anderen Thema. Nun, ich denke, ich bin nicht der einzige hier, der findet, dass dir dein Kleid heute Abend ausgezeichnet steht. Ohnehin bin ich von deinem guten Aussehen geblendet. Daher möchte ich unbedingt wissen - gibt es in deinem Zuhause jemanden, den du besonders gerne magst - du weißt sicher, was ich meine!"

Tribute von Panem | Flüsternder OzeanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt