8 Lio

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 Am nächsten Morgen bin ich schon vor Catelynn am Treffpunkt. Ich sehe auf mein Handy, zehn vor halb. Definitiv zu früh. Wahrscheinlich wird sie so oder so zu spät kommen, um mir eins auszuwischen. Zumindest schätze ich sie nach dem ersten Training so ein. Training, nein, das ist definitiv der falsche Begriff. Folter durch eine angeberische Barbie trifft es besser.

Und natürlich habe ich mit meiner Einschätzung recht. Als sie endlich fünf nach halb aufkreuzt, verdrehe ich nur genervt die Augen.

"Ich hoffe, du wartest noch nicht allzu lange", begrüßt sie mich zuckersüß mit einem sonnigem Lächeln. Was für ein Drache ... Unglaublich, dass ein Teufel solche Engelshaare und so ein warmherziges Lächeln haben kann. Wahrscheinlich reine Erbanlage. "Und? Bereit zu schwitzen?"

"Das werden wir ja sehen, Mädchen", meine ich und betone das letzte Wort ganz besonders.

"Für diesen Kommentar zwanzig Liegestütze", gibt sie trocken zurück und leckt sich über die trockenen Lippen. Sofort heftet mein Blick auf ihnen. Sie sind ganz prall, zart und ... "Worauf wartest du? Fang an." Jetzt schon entnervt ich ihrem Wunsch nach, bekomme allerdings schon nach den ersten zehn kaum Luft mehr. "Nicht mogeln hier", dröhnt mir ihre schrille Stimme ins Ohr und ich verziehe das Gesicht. "Schön weit runter." Noch bevor ich etwas sagen kann, spüre ich etwas auf meinem Rücken. Ihr Fuß. Ihr Ernst? "Schau den Boden an, nicht mich." Mit ganzem Körpergewicht drückt sie mir auf den Rücken, sodass meine Atmung immer schwerer wird. Eine Liegestütze mehr und ich werde wahrscheinlich zusammenklappen. Und das tue ich auch. Scheiße.

"Für einen Jungen ...", beginnt sie und betonte besonders das letzte Wort, genau so, wie ich es vorhin auch bei ihr getan habe. "... bist du ziemlich schwach", merkt sie an und begutachtet mich, wie ich hilflos vor ihren Füßen liege und zu ihr aufsehe. "Was ist? Steh endlich auf oder willst du den ganzen Tag im Dreck vor dich hingammeln?"

Einen Moment habe ich noch die Hoffnung, sie würde mir vielleicht die Hand reichen und aufhelfen, doch da habe ich mich wohl geschnitten. Ihre Blicke werden stattdessen nur noch schärfer. Also rapple ich mich allein auf.

"Gut. Los. Bis zum Mittagessen will ich zurück sein."

Mit diesen Worten beginnt sie in einem Tempo zu joggen, von dem ich jetzt schon weiß, dass ich niemals mithalten werden kann. Catelynn steckt sich ihre Ohrenhörer in die Ohren. Ab jetzt heißt es wohl einfach nur schweigend Schritt zu halten. Öde ...

"Erzähl mir was über dich", meine ich und ernte erstaunte Blicke.

"Etwas über mich? Wieso sollte ich? Ich kenne dich doch gar nicht! Um ehrlich zu sein, kenne ich nicht mal mehr deinen Namen!", entgegnet sie und erhöht schlagartig ihr Tempo.

"Lio."

"Gut Lionel. Ich kenne dich trotzdem nicht und habe auch nicht die Absicht, dich kennenzulernen. Du bist nicht mehr als ein Job, okay? Ich werde für dich von meinem Vater bezahlt. Das ist alles."

Autsch. "Ich heiße Lionel und bin achtzehn Jahre alt. Ich habe keine Geschwister, keine Lieblingsfarbe und kein Lieblingsbuch und auch keinen Lieblingsfilm. Ich spiele Geige und Klavier, aber nur auf Zwang. Meine Mutter hat mich dazu verdonnert und das tut sie schon, seit ich drei bin. Ich war noch nie betrunken, habe keinen Führerschein und wohne noch zu Hause. Noch Fragen?"

Catelynn zuckt nur gleichgültig mit den Achseln. "Einzelkind?", hakt sie nach und ich nicke. "Oh Mann, womit habe ich das eigentlich verdient? Wieso muss Vater mir immer die eingebildeten, völlig verzogenen Rotznasen überlassen?"

Autsch. "Also als eingebildet und verzogen würde ich mich jetzt nicht bezeichnen ..."

"Du dich vielleicht nicht, aber ich dich."

Doppelt autsch. "Du kannst ganz schön unhöflich sein, weißt du das eigentlich?" Wenn sie schießt, schieße ich zurück. Doch sie zuckt wieder nur mit den Achseln.

"Es gibt keinen Grund, höflich zu dir zu sein. Außerdem beruht diese Unhöflichkeit auf Gegenseitigkeit. Man sagt einer Dame nämlich nicht, dass sie unhöflich ist. Selbst wenn sie es tatsächlich wäre, würde man ihr es nicht sagen. Hat dir das denn keiner beigebracht?"

"Hat dir denn keiner beigebracht, dass man einen Mann nicht als verzogene Rotznasen bezeichnet?", entgegne ich und vermeide ein teuflisches, triumphierendes Grinsen.

"Einen Mann!?", widerholt sie ungläubig. "Du bist nicht mehr als ein pubertierendes Kind, das seine Zunge nicht unter Kontrolle hat, aber keine Sorge, ich bekomme dich noch irgendwie hin."

"Du bekommst mich noch irgendwie hin!?" Hat die noch alle?

"Tu mir den Gefallen und halt einfach ganz nett und charmant den Rand, ja? Damit wäre uns beiden geholfen. Außerdem schnaufst du schon nach wenigen Minuten wie ein Mops mit Asthmaanfall."

Danke ... "Wieso bist du eigentlich so gemein, Catelynn?"

"Gemein? Ich bin nicht gemein. Aber du nervst", entgegnete sie und erhöhte ihr Tempo erneut.

"Ach ja? Wie würdest du dich denn sonst nennen?"

"Da wo ich herkomme ..." Sie hält kurz inne. "...da werden die Engel unterdrückt und die Teufel sind an der Macht."

Okay ... Gut zu wissen ... "Dann will ich erst gar nicht wissen, aus welchem Loch du kommst."

Unbeeindruckt hebt sie eine Braue. "Das beruht auf voller Gegenseitigkeit." Mit einem kurzen, laserscharfen Blick mustert sie mich abfällig, dann sehe ich, wie sie ihr Handy aus der Tasche ihrer Shorts zieht. Nur einen winzigen Teil ihrer wunderschönen, leicht gebräunten Teil ihrer Haut verdeckt der blaue Stoff, der ihre oberen Schenkel umspielt. Kurz gesagt: sie sitzt perfekt. Catelynn sieht perfekt aus. Zu perfekt. "Übrigens. Ich bin nicht blind und sehe, wenn du mir so offensichtlich auf den Arsch glotzt."

"Ich bin ein Gentleman, ich würde so etwas niemals tun", entgegne ich entrüstet und bleibe kurz auf der Stelle stehen, bevor ich mich wieder an ihre Fersen hefte. Aufgeben: keine Option. Dann hätte sie ihr Ziel nämlich erreicht.

"Du, ein Gentleman!?", fragt sie und lacht lauthals. "Ich glaube, ich krieg einen Würgereiz."

Ihre Reaktion zeigt mir, dass sie wirklich keine Ahnung davon hat, mit wem sie gerade durch den Wald joggt. Gut. Das gefällt mir. Sehr sogar. Mein Blick wandert wieder an ihr herab, während ich aufpasse nicht über eine der taudicken Wurzeln zu stolpern, die den Boden säumen.

Es ist ewig her, dass jemand nicht wusste, dass ich der Thronfolger bin. Die meisten Menschen kennen mich. Nur sie scheinbar nicht. Obwohl ihr Vater ja eigentlich für meinen arbeitet. Nun gut, so kann ich wenigstens einmal in meinem Leben ein ganz normaler Mensch sein.

Vorausgesetzt ich überlebe das joggen ...  

Hi, das war es schon wieder von mir. Lass doch bitte einen Kommentar oder ein Vote da, wenn dir das Chap gefällt. Und erzähl doch auch anderen von der Geschichte, ich freue mich immer über neue Leser :) 

schönes Wochenende :) 

Cate und Lio - Mädchen kämpfen, Prinzen nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt