10 Lio

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Triumphierend grinse ich sie an. Von wegen ich schaffe das nicht. Meine Atmung beginnt langsam wieder gleichmäßig zu gehen und ich streiche mir meine Haare aus der Stirn, die am Ansatz schon ganz verschwitzt sind. Hoffentlich hält mein Deo ...

"Dann lass uns gehen", meint Catelynn und mustert mich eindringlich. "Lionel."

Sie macht das nur, um mich zu ärgern. Nur, um mich zu ärgern. Nur, um mich zu ärgern. Nur, um mich zu ... "Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass ich nicht so genannt werden möchte?"

"Wie denn dann? König auf der Erbse?"

Ihre Frage entlockt mir ein trockenes, sarkastisches Lachen. Sie hat ja keine Ahnung, wie treffend das war. "Lio", entgegne ich kühl und werde schlagartig wieder ernst. Diese Art der Stimmungsänderung habe ich mir bei Vater abgeschaut, denn keiner beherrscht das so wie er.

"Lio?", fragt sie stirnrunzelnd.

"Ja." Ich fahre mit meinen Fingern den Saum meines Shirts entlang und hebe es ein Stück weit an, sodass sie einen Teil meines nackten Bauchs sehen kann. Ihre Augen weiten sich und sie starrt mich an. Nicht fassungslos, sondern fasziniert. Die Kühle verschwindet von meinem Gesicht und ich beginne wieder wissend zu grinsen. Ich mache etwas mit ihr. So wie sie etwas mit mir tut.

"Wenn es sein muss", murmelt sie und schiebt sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn. "Ich gebe zu, wir hatten keinen sonderlich guten Start, also lass uns neu anfangen."

Ich nicke und reiche ihr die Hand. "Lio."

"Cate." Sie drückt wieder kräftig zu, doch diesmal verziehe ich keine Miene. Im Gegenteil, ich ziehe ganz unbeeindruckt eine Braue hoch und runzle die Stirn. Ganz erstaunt weiten sich ihre Augen, dann nickt sie allerdings nur und zieht ihre Hand wieder weg. "Der Neustart heißt aber nicht, dass ich dich jetzt lieber mag."

"Bei mir ändert der Neustart schon etwas", entgegne ich und sie glotzt mich mit kugelfischgroßen Augen an.

"Ach wirklich?"

Ich grinse breit. "Ja, ab jetzt trägst du den Stempel menschlich. Das ist eine bahnbrechende Neuerung."

Aufmerksam betrachte ich sie, konzentriere mich ganz auf ihre Mimik und rechne damit, dass sie mich wütend anfunkelt, doch das tut sie nicht. Nein, ganz und gar nicht. Sie lacht. Lacht sie mich gerade etwa aus? Was war daran bitte schön witzig? "Ab jetzt trägst du den Stempel schlagfertiger Loser. Im Vergleich zu kindischer Loser ist das also schon mal eine erhebliche Steigerung."

Na vielen Dank auch. "Dann weiß ich jetzt, wo ich bei dir stehe."

Sie nickt. "Dasselbe kann ich auch sagen."

Und damit ist das Thema gegessen. Schon wieder. Ob sie wohl auch in der Anwesenheit anderer so wenig sagt? "Hast du eigentlich einen Freund?" Die Frage ist mir gleich peinlich, nachdem sie mir herausgerutscht ist. Mist, wieso musste ich sie das bloß fragen?

Cates Augen verengen sich zu Schlitzen, doch dann bricht sie wieder in schallendem Gelächter aus. "Selbstverständlich nicht."

"Na ja, so selbstverständlich ist das nun auch nicht", lenke ich ein und sehe sie erwartungsvoll an.

"Hast du denn eine Freundin?", will sie wissen und ich schüttle den Kopf. "Na also."

"Bei dir ist das aber auch etwas anderes", entgegne ich. Oh nein, wieso habe ich das schon wieder gesagt? Ich hoffe darauf, dass sie nicht weiter nachhakt, doch mein Schicksal ist mal wieder ein mieser Verräter.

Cate zieht eine Braue und mustert mich eindringlich. "Wieso ist das bei mir etwas anderes?"

Was soll ich darauf antworten? Dass ich der Prinz bin und meine Freundin dann die zukünftige Königin wäre? Dass meine Mutter darüber entscheiden will, mit wem ich zusammen bin und mit wem nicht? Oder lieber dass ich außer Cate kein anderes Mädchen kenne? "Du ... ist auch egal."

"Das sehe ich ein wenig anders. Jetzt sag schon, wieso ist das bei mir etwas anderes als bei dir? Du bist doch auch nur ein Mensch."

Wenn das alle so sehen würden, wäre mein Leben um einiges leichter. Dann hätte ich heute morgen nicht aus dem Fenster klettern müssen, um aus meinem goldenen Käfig auszubrechen, in den mich Mutter gestern eingesperrt hat. "Wenn ich sage, es ist egal, dann ist es auch egal!", brülle ich. Cate bekommt den ganzen Frust der letzten Wochen, letzten Tage, letzten Stunden ab. Und das alles gebündelt in einem Satz, den ich ihr ins Gesicht schreie.

Wie von einem Schlag getroffen weicht sie ein Stück zurück. "Wow." Zu mehr ist sie scheinbar in diesem Moment nicht in der Lage. "Okay, dann ist es eben egal."

Ich fühle mich schlecht. Nicht, weil ich sie angeschrien habe, nein, weil ich mich sogar darüber freue, dass sie zurückrudert. Sie hebt beschwichtigend die Hände und errötet leicht, wobei sie unglaublich heiß aussieht. "Lass uns zurück zum Trainingsplatz gehen", sagt sie, immer noch ein wenig mitgenommen und streicht sich eine Haarsträhne hinters Ohr, was ganz untypisch für sie ist. "Aber glaub nicht, dass ich dich mit meinem Bogen schießen lasse!", herrscht sie mich in dem üblichen Tonfall an.

Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie gefällt sie mir so am besten. "Mit welchem denn dann?"

"Einem aus der Sammlung."

"Und wieso lässt du mich nicht an deinen? Denkst du etwa wirklich ich könnte etwas kaputt machen?"

Sie nickt heftig. "Und wie ich das glaube, Lio." Hat sie da gerade wirklich Lio gesagt? Wow. „Ja, ich habe Lio gesagt. Ich dachte, du wolltest das."

Kann sie jetzt etwa auch noch Gedanken lesen? Hastig nicke ich. "Ich wollte es nicht nur, ich will es immer noch."

"Gut."

Zusammen stapfen wir durchs Unterholz, kleine Ästchen knacken unter meinen Füßen, während Cate fast schon wie eine kleine Fee leichtfüßig jedem Hindernis mit kleinen Sprüngen ausweicht. Cate und Fee? Nein, eher weniger. Viel eher wie ein Ninja. Ich grinse und wir verlassen den Wald, der an reife Weizenfelder grenzt.

Gerade will ich etwas sagen und ich hebe meinen Blick, als ich ein Pferdewiehern vernehmen kann. Der Boden wackelt leicht, aber nicht im selben Takt. Es müssen mehrere Pferde sein.

"Was ist los?"

"Pferde?", frage ich.

Sie nickt. "Hast du noch nie ein Pferd gesehen, Lio?"

Trocken lache ich auf. Wenn sie wüsste ... Ich konnte schon reiten, als ich noch nicht einmal laufen konnte. "Natürlich habe ich das."

"Der König reitet hier manchmal vorbei. Er jagt mit seinen Freunden. Als hätte man als König nichts Besseres zu tun ...", murmelt sie abfällig. "Die Armee schrumpft mit jedem Tag, die Grenzen sind nicht mehr richtig bewacht, falls jemand unserem Land den Krieg erklären sollte, sind wir komplett wehrlos, das Geld für neue Waffen fehlt, aber Hauptsache der König macht sich einen schönen Tag und genießt zusammen mit seinen Freunden seine Freizeit, wo er ganz nebenbei noch das Geld, von dem er ja so viel hat, verprasst."

Ich glaube in den letzten siebzehn Jahren habe ich nicht einmal jemanden so ehrlich über meine Familie sprechen hören. Zumindest keinen normalen Bürger. Wenn dann immer nur irgendwelche Baronen oder Grafen, die meinen Eltern Honig um den Mund schmieren wollten. "Und du denkst, das ist ..." Ich beiße mir schnell auf die Lippe, bevor ich das Wort Vater mit ihnen formen kann. Ich will mich noch nicht verraten. Noch nicht. Gerne behalte ich diese Anonymität noch ein Weilchen.

"Ja."

Scheiße. Was jetzt? "Ich ... ich muss kurz in die Büsche, warte auf mich."

"Du musst jetzt in die Büsche? Dein Ernst?"

Ich lasse sie einfach allein stehen und renne. Vater wird mir dieses Verhältnis zu Cate nicht kaputt machen. Denn irgendetwas sagt mir, dass es nicht so gut wäre, wenn Cate wüsste, wer ich wirklich bin. Und ich habe Angst. Riesige Angst davor, sie könnte es herausfinden. 


Hi, heute mal pünktlich zum Ende des Wochenende ein neues Kapitel. Dieses Mal sogar ein etwas längeres. Manche von euch haben schon Sommerferien, bei mir sind es noch fast zwei Wochen. Leider ... 

Über Votes und Comments freue ich mich immer.  <3

LG Seegurke14 

Cate und Lio - Mädchen kämpfen, Prinzen nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt