9. Kapitel

128 13 5
                                    

      Da lief sie. Sorglos. Lächelnd. Sie wohnte nicht auf diesem Campingplatz. Das wusste ich. Sie hatte zwar gesagt sie würde nach Kroatien fahren, aber ein Teil in mir hatte erwartet, dass sie wieder nach Pag fahren würden. Oder nach Krk. Stattdessen schienen sie hier auf Cres zu sein. Innerlich betete ich, dass sie nicht hier wohnte. Sie sah nicht so aus. Da erkannte ich das Band um ihr Handgelenk. Das Band der Gäste. Sofort entspannte sich ein Teil in mir, die Unruhe aber blieb. Ich wollte nicht, dass sie hier war. Ich wollte es einfach nicht. Alex, der neben mir saß, musterte mich und dann sah er sie auch. »Oh nein... nicht ihr Ernst. Was will die hier? Ich dachte, sie mag Cres nicht...«
      Ja, so ratlos war ich auch. Silan, den meine Mutter wieder zum Essen eingeladen hatte, musterte Alex und mich. Doch er stellte mir keine Fragen. Das war auch gut so. Denn anstatt an uns vorbeizugehen, hielt ihre Familie an und sah zu uns. Sie hatten Freunde dabei, die anscheinend hier zu wohnen schienen, denn sie trugen keine Gästearmbänder. Und dann kamen sie auch noch auf uns zu. Jetzt bereute ich es, an der Hauptstraße zu stehen, so schön das auch sein konnte. Doch hier... doch jetzt war das... ich konnte es nicht beschreiben. Razul fing an zu knurren. Er spürte meine Anspannung. Er knurrte immer lauter, doch das schien sie nicht zurückzuschrecken. Mit einer kleinen Ermahnung hielt ich die Dogge zurück. Razul war dennoch wachsam.
      »Wir haben uns schon sehr lange nicht mehr gesehen, Toni«, sagte Alisas Mutter zu meiner Mutter. Meine Mutter sah von ihrem Teller auf und begrüßte sie trocken: »Ja, nachdem meiner Tochter gesagt wurde, sie sei nervig, dachte ich, dass ich dann nicht mehr kommen muss. Verstehst du? Denn ich verstehe unter den Worten so etwas wie: „Verpiss dich aus meinem Leben". Das habe ich deutlich verstanden. Nur du scheinst etwas auf der Leitung zu stehen, denn du bist ja doch hier, obwohl Razul geknurrt hat und obwohl wir euch nicht angesehen haben. Das ist wirklich... na ja... du stehst eben auf der Leitung.« Alex neben mir hüstelte und hielt ein Grinsen zurück, Silans Blick schnellte zu mir.
      Verdammt... er hätte das nicht erfahren sollen. Alisa sah zu mir, dann zu meiner Mutter und schnaubte. Sie schnaubte tatsächlich. »Sie sagte mir immer, dass ich ehrlich sein soll. Ist das ein Verbrechen?« Der Hunger verging mir im Bruchteil einer Sekunde. Ich wollte aufstehen, doch die leckeren Nudeln meiner Mutter würde ich fertig essen. Egal ob sie hier war oder nicht. Doch diese Wut in mir... sie entfachte ein Beben und ließ meinen Körper zittern. Ich zitterte tatsächlich. Alex neben mir stand auf. »Wenn sie so nervig ist, warum bist du dann hier? Irgendwie kommst du ja doch immer wieder zu ihr. Und jetzt solltet ihr bitte gehen, denn euer Geruch und eure... Ausstrahlung verpesten die Luft und wir wollten einen schönen Abend haben.« Verwundert hob ich den Kopf und blinzelte. In dem Moment sah Alisa aber zu Silan, der nur Augen für mich hatte und so viel... Mitleid in seinem Blick hatte.
      Mitleid war das Letzte, was ich von ihm wollte. Das wollte ich nicht. Ich wollte nicht diesen Blick, nicht dieses Mitleid. Ich wollte nur normal sein. Ich wollte nicht, dass er mich so ansah. Aber anscheinend war ihm das nicht möglich. »Ich wusste gar nicht, dass du einen so hübschen Bruder hast, Alex«, säuselte sie und zog Silan praktisch mit den Augen aus. Wobei natürlich nicht viel auszuziehen war, da er nur eine Badehose trug. Alex seufzte. »Das ist mein Bruder.« Er deutete auf Tilo. »Silan ist jemand, den wir hier kennengelernt haben und versuch es erst gar nicht, er mag Mira sehr und sieht dich nicht mal an, falls du das übersehen haben solltest.« In dem Moment sah Silan sie an und verzog missbilligend die Lippen.

     »Eigentlich bedanke ich mich immer für Komplimente aber... deins war so... schmierig.« Ihre Mutter schnappte empört nach Luft, ihr Vater spannte sich an und dann zogen sie ab ohne noch einen Ton zu sagen. Obwohl sie weg waren, war die Stimmung gekippt. Ich aß heute nur einen Teller, wobei ich eigentlich eher alles hinabwürgte. Silan sah mich weiterhin mit diesem Mitleid in den Augen an, Razul kroch unter den Tisch und legte seinen Kopf auf meinen Schoß und Alex sah auch immer wieder zu mir, so wie meine Eltern. Zum Glück fragten sie nicht danach, wie es mir ginge, denn... wenn ich ehrlich war... ich hatte keine Antwort.
        In dem Moment wusste ich wirklich nicht, wie es mir ging. In meinem Inneren fuhren meine Gefühle Achterbahn und konnten sich nicht wirklich entscheiden. Nach dem Essen entschied ich mich freiwillig fürs Abspülen. Ich schrubbte und schrubbte und schrubbte. So hart, dass sogar der letzte Dreck wegging. Ich schrubbte weiter und weiter und weiter. Der Teller war ja längst sauber, doch ich schrubbte weiter. Versuchte so ihre Worte aus meinem Kopf zu drängen, versuchte so ihr Gesicht aus meinen Erinnerungen zu bekommen. Bis sich eine Hand auf meine legte und sie sanft vom Teller zog. »Genug. Er ist schon sauber. Lass ihn mich trocknen«, hauchte Silan und nahm mir den Teller ab, ehe er stumm den Teller trocknete. Fast erwartete ich tausend Fragen, doch er... blieb stumm. Dafür dankte ich ihm im Inneren.
       Andere hätten mich mit Fragen gelöchert, er wartete. Er wartete darauf, dass ich mich ihm von allein öffnete. Dass ich ihm von mir aus erzählte, was los war. Doch heute würde ich das noch nicht tun. Sein Blick war auch nicht mehr so mitleidig wie vorhin. Bestimmt hatte ihm Alex das gesagt. »Ist es normal, dass man manchmal auf die ganze Welt sauer ist, nur auf ein paar Personen nicht?«, fragte ich nach. Silan sah zu mir und lächelte. »Ja, ganz normal.« Nun verirrte sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. »Denkst du es wäre okay, wenn ich ihr einmal eine reinhaue?« Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Verschwende deine Energie nicht, Mira. Das ist sie nicht wert. Sie scheint selbst mit sich unzufrieden. Sie ist eifersüchtig.« Ich runzelte die Stirn.
       »Worauf?« Er grinste. »Auf dich.« Ich fragte ihn, was er meinte, doch er sagte mir immer, dass ich es selbst verstehen sollte. Also beließ ich es dabei und genoss stattdessen die Ruhe, die durch ihn durch meinen Körper floss. Seine Nähe strahlte Ruhe aus. So viel Ruhe wie ich es lange nicht mehr erlebt hatte. Er war... wie Cesar Millan, der Hundeflüsterer. Er besaß diese innere Ruhe, die viele Menschen nicht hatten. Silan besaß auch diese innere Ruhe, die ich mir wünschte. Doch momentan fand ich sie einfach nicht. Weder hier, noch in Deutschland, noch in mir selbst. Ruhe war ein Fremdwort für mich. Ruhe war... existierte nicht für mich. Jedenfalls nicht wirklich.
      Der Rest des Abspülens verlief erstaunlich ruhig. Er strahlte weiterhin diese Ruhe aus, die sich auf mich übertrug. Es war fast magisch seine Nähe zu spüren. Es war ein richtig schönes Gefühl, dass ich wirklich sehr mochte. Ich liebte dieses Gefühl. Vielleicht ein bisschen zu sehr. Das war mir bewusst, denn ich durfte mich nicht davon abhängig machen, aber ich konnte es zumindest genießen. Das dachte ich zumindest. Nachdem wir fertig waren, räumten wir alles in den Eimer und gingen zurück zum Platz. Er sprach mich nicht auf Alisa an, wofür ich dankbar war. Es war ein Segen nicht auf sie angesprochen zu werden. Da sie hier nur ein Gast war, würden sie wohl bald wieder gehen. Trotzdem wurmte es mich, dass sie da war.

Adriatische Meeresbrise - Herzrasen in KroatienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt