16. Kapitel

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     Silan tauchte nicht auf. Weder um uns allen einen guten Morgen zu wünschen, noch um zu fragen ob er mit Boot fahren durfte. Meine Eltern wunderten sich, doch ich sagte ihnen, dass es ihm heute nicht so gut ging. Meine Mutter kaufte mir das natürlich nicht ab, hakte aber zu meinem Glück nicht weiter nach. Der heutige Tag strich eher so an mir vorbei. Immer wieder hörte ich Kieras Worte in meinem Kopf. Ich stellte mir sogar vor, wie Silan mich nackt sehen würde und dann eher weglaufen würde, anstatt mich schön zu finden. Noch immer glaubte ich nicht, dass mein Körper schön war. Mein Gesicht war hübsch, aber das war es schon. Für die Gesellschaft war ich nicht schön.
      Menschen mit Übergewicht? Waren nicht normal und nicht hübsch. Das lernte man so, wenn man all die Models im Fernsehen sah. Sie brauchten die perfekten Maße, das perfekte Aussehen, kein Gramm Fett an ihrem Körper, kein einziges dunkles Haar, sie magerten sich ab und durften keinen Gramm zu viel haben. Das war die Realität. Mädchen wollten so sein wie sie. Auch ich wollte so sein wie sie nur um dazu zu gehören. Lange Zeit hatte ich dazugehören wollen, mittlerweile wollte ich das nicht mehr. Wenn mich jemand nicht so mochte wie ich war, dann war das sein Problem. Ich hatte mich damit abgefunden nie einen Freund zu haben. Ich hatte mich damit einfach abgefunden, weil ich genau wusste, was die Leute dachten, wenn sie mich sahen. Sie sahen ein Mädchen mit Übergewicht, dass dann nicht mehr schön war.
      Kiera hatte recht. Kein Junge der Welt würde einen Ständer bekommen, wenn er mich sah. Das glaubte ich ihr aufs Wort, denn daran konnte ich beim besten Willen nichts ändern. Das würde ich auch niemals können. Es war die Realität und würde sie immer sein. Egal, was andere versuchten mir zu sagen. Silan konnte das noch so sehr denken, aber er hatte mich noch nicht nackt gesehen. Wenn er es tun würde, würde er das sehen, was er nicht sehen wollte. Da war ich mir sicher. Der heutige Tag zog sich schleppend dahin. Ich war wieder unglücklich und wollte mich im Wohnmobil verkriechen. Doch dank Razul und Alex konnte ich das nicht. Alex fragte nicht nach, was los war, obwohl ihm die Neugier ins Gesicht geschrieben stand.
      Razul munterte mich immer wieder auf, doch die Freude hielt nicht lange. Es war ein langer Tag gewesen. Ein fast zu langer Tag, der noch jetzt an mir nagte. Ich konnte nicht glauben, dass ich bereit gewesen war, mich einer Illusion hinzugeben. Nach dem Abendessen entschied ich mich dazu einen Spaziergang ohne Razul zu machen. Träge schleppte ich mich über den Campingplatz und dachte nach. Mit Silan war es leicht gewesen sich der Illusion hinzugeben, dass das mit uns etwas werden könnte. Er hatte mir versucht klar zu machen, dass ihm das egal war. Dass er mein Übergewicht nicht sah, wenn er mich ansah. Doch das konnte nicht sein. Jeder sah es doch, wenn er mich ansah. Selbst ich sah es. Wie konnte er mir dann einfach sagen, dass es nicht so war. Dass er es nicht sah.

     Gestern und in den Tagen davor war es leicht gewesen ihm zu glauben, doch Kieras Worte hatten mich in die Realität zurückversetzt. Kein Junge der Welt würde mich wirklich hübsch finden, wenn er mich einmal nackt gesehen hatte. Ich selbst fand meine Figur nicht einmal richtig hübsch aber das nur weil die Gesellschaft mir früh dieses Bild vermittelt hatte. Das Bild von einer dünnen Frau, mit den perfekten Brüsten und dem perfekten Po. Das war ich nicht und würde es auch nie sein. Mittlerweile konnte ich gut mit dieser Erkenntnis leben. Als ich beim Bäcker abbog, musste ich feststellen, dass der Campingplatz kleiner war, als erwartet. Kiera lief dort mit ihren Freundinnen. Als sie mich erblickte, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen und sie kam direkt auf mich zu.
      Ohne Razul und Alex wollte ich mich sofort verstecken. Ich hatte nicht mehr die Kraft, die ich eigentlich brauchte, um ihr in den Weg zu treten. Die Kraft verließ mich mit jedem Schritt, den sie näherkam. »Ich hoffe du verstehst, dass Silan zuerst an mir interessiert war. Vermutlich tust du ihm einfach leid. Deswegen hat er Zeit mit dir verbracht. Aber ich denke er hat verstanden, dass er nie wirklich glück-« Sie wurde unterbrochen, als sich jemand hinter ihr räusperte. Alles in mir erstarrte zu Eis. Es war nicht Silan, aber eine ihrer Freundinnen. »Kiera hör doch auf damit. Silan hat dir noch einmal gesagt, dass er dich nicht will. Warum lügst du sie an? Er hat dir doch gesagt, dass er sie wunderschön findet und er sich keine Sorgen darum macht, ob er einen hoch kriegt oder nicht. Versteh du das doch endlich. Nur weil sie mehr Gewicht hat, heißt das nicht, dass sie hässlich ist. Außerdem weißt du genau, dass er sie will und nicht dich. Also lass sie doch in Ruhe und hör auf ihr sagen zu wollen, dass sie hässlich ist.«
      Überrascht blinzelte ich, als Kiera empört schnaubte. »Das hat er nicht getan. Er-« Sie wurde wieder unterbrochen. »Er hat wortwörtlich gesagt, das habe ich gehört, nachdem er nach deinen Worten so perplex war, dass er im ersten Moment nicht wusste, was er sagen sollte: „Mira ist wunderschön. Ich mag sie und sie hat einen besseren Charakter als du je haben wirst. Nimm deine dreckigen Finger von mir und wag es nicht je wieder zu mir zu kommen. Mira hat mein Interesse und nicht du. Und da ihr Hund gerade weg ist, werde ich ihn jetzt suchen gehen, bevor sie zurückkommt, damit ich sie danach mit einem schönen Frühstück verwöhnen kann. Es wäre schön, wenn du jetzt gehst." Das hat er gesagt, Kiera. Er hat nicht gesagt, dass er kein Interesse an Mira hat.«
      Ich starrte alle drei an und ehe ich mich versah trugen mich meine Füße einfach weiter. Ich lief an ihnen vorbei. Kieras Freundinnen schenkte ich ein dankbares Lächeln, dann rannte ich fast. Die düsteren Gedanken vertrieb ich dabei aus meinem Kopf. Sie verpufften innerhalb ein paar Sekunden, als mir klar wurde, dass ich etwas ungerecht zu Silan gewesen war. Silan war immer ehrlich zu mir gewesen. Er hatte nie gelogen und ich hatte einfach geglaubt er hätte mich nicht verteidigt. In dem Moment war es mir einfach leicht gefallen eine Ausrede dafür zu finden, dass ich mich nicht auf ihn einlassen musste. Meine Beine trugen mich immer schneller in die Richtung seines Stellplatzes. Immer und immer schneller, bis ich fast rannte. Der Weg bis dorthin kam mir unerträglich lang vor. Viel zu lang. Immer wieder musste ich anhalten, da meine Ausdauer beschränkt war.
      Keuchend und mit Schweiß im Nacken und auf der Stirn kam ich bei ihm an. Suchend sah ich mich um, doch ich konnte niemanden sehen. Alles war dunkel. Frustration machte sich in mir breit, doch vielleicht war er einfach auf dem Klo. Unschlüssig entschied ich mich dazu im Stehen zu warten, da ich mich nicht auf Piniennadeln setzten wollte und riskieren wollte, dass Ameisen in meine Hose krochen. Das wäre nicht von Vorteil. Also wartete ich. Und wartete. Und wartete. Mein Herz pochte wild in meiner Brust und so langsam schien ich fast die Geduld zu verlieren. Er kam nicht. Nervös kaute ich auf meiner Lippe herum und überlegte mir sogar, gleich zu gehen.

Adriatische Meeresbrise - Herzrasen in KroatienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt