12. Kapitel

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     Mittlerweile war eine Woche verstrichen, in der die Freude noch immer nicht übergesprungen war. Ich spürte sie zwar tief in meinem Inneren, doch sie war nur ein kleiner Funke. Die Sache mit Alisa lag mir noch immer schwer im Magen. Ein Teil in mir konnte nicht wirklich glauben, dass sie hier auf der Insel war. Seit dem Tag hatte ich sie aber nicht mehr gesehen. Da es heute sehr bewölkt war und ein starker Wind ging und Regen vorausgesagt wurde, hatte mein Vater sich dazu entschieden, heute mal eine Pause vom Bootfahren einzulegen. Mir sollte es recht sein. In ein paar Tagen würde ich 18 werden. Endlich. Obwohl das ein Privileg war, spürte ich doch jetzt schon den Druck, der damit kam. Schon jetzt wusste ich, was auf mich zukommen würde.
      Doch das ignorierte ich. Stattdessen zog ich meine Badeschuhe an und schnappte mir ein Handtuch. In dieser Woche hatte Silan immer wieder versucht mehr aus mir herauszubekommen. Er hatte mich nicht gedrängt, doch er hatte versucht mit mir über alles zu sprechen. Leider ohne großen Erfolg. Noch immer hatte er mein Schloss nicht ganz geknackt und ob er das je tun würde stand in den Sternen. Denn es blieben nur noch knappe drei Wochen. Ihm blieben nur noch knappe drei Wochen, da er ein paar Tage früher als wir fahren würde. Ein Teil in mir hoffte, dass in den nächsten drei Wochen vielleicht etwas passieren würde. Dass ich mich vielleicht endlich freuen könnte. Doch die Freude kam nicht. Egal, wie sehr ich mich innerlich freute.
      Denn die Freude war nur eine kleine Flamme in meinem Inneren. So klein und unscheinbar, dass sie immer wieder im Keim erstickt wurde. Immer wieder aufs Neue. Obwohl die Sonne noch schien, hörte ich den Wind in den Bäumen, hörte das Heulen in den Mauern der Duschhäuser und das Rascheln der Äste und der Pinien. Ehe ich zum Strand laufen konnte, erstarrte ich, als Silan in Badehose gekleidet vor mir stand. In seinem Ohr steckte noch immer der Ohrring aber seine Ringe an den Fingern sowie das Lederarmband waren verschwunden. Er schenkte mir ein Lächeln, als er meinen überraschten Gesichtsausdruck sah. »Was für ein Zufall. Ich wollte dich gerade fragen, ob du mit mir zum Strand gehst, da heute ein guter Strandtag ist. Der Strand wird nicht überfüllt sein und es nicht allzu warm«, begrüßte er mich.
     Schuldgefühle machten sich in mir breit, da ich ganz und gar nicht vorgehabt hatte, ihn zu fragen, ob er mich begleiten würde. Eine Schande. Ich fühlte mich schlecht, wollte es aber nicht zeigen und lächelte ihn nur an. Das Lächeln fühlte sich falsch an und war eher eine Art Maske für mich, die zu klein war. Ich erinnerte mich daran, dass er gesagt hatte, dass ich nicht so lächeln sollte. Dass ich nicht in seiner Gegenwart falsch lächeln sollte. Deswegen ließ ich das Lächeln gleich wieder verschwinden. »Du hast sogar eine Strandmatte dabei«, sagte ich, als ich die Matte erkannte, die er sich dank der Henkel daran über die Schulter geworfen hatte. »Natürlich oder denkst du, dass ich mich auf den Kies lege?« Er lachte. »Manche jungen Leute denke, dass das uncool sei, aber ich finde es ist uncooler, wenn man die Steinabdrücke auf der Haut hat und man damit richtig komisch aussieht.«
      Unwillkürlich schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ja, das war schon etwas, wenn all die jungen Leute keine Strandmatten kauften, nur um „cool" zu sein. Razul streckte sich auf seiner Matte und schien aufzuwachen. Kaum erkannte er Silan, stand er auf, streckte seine langen Knochen und tapste dann zu Silan, um sich von ihm streicheln zu lassen. Silan lächelte und strich der Dogge über das Fell. »Wollen wir ihn vielleicht zum Hundestrand mitnehmen?«, fragte er. Mit Razul war ich noch nie am Hundestrand gewesen, da Razul eigentlich kein Wassergänger war. Aber ein Tag mit ihm am Strand könnte schön werden. Und wir hatten dann einen Wachhund. Vielleicht könnte ich Razul sogar dazu bringen seine Angst vor Wasser zu beseitigen. Obwohl ich sehr daran zweifelte. Razul war eine Dogge, die Wasser nicht zu mögen schien.

     »Wenn das für dich in Ordnung ist. Er geht aber nicht ins Wasser«, erklärte ich. Silan sah Razul überrascht an, dann sagte er: »Wir können ja trotzdem hingehen. Dann ist er nicht so alleine.« Vermutlich hatte er bemerkt, dass meine Eltern beim Einkaufen waren. Sie hatten den Motorroller genommen, den mein Vater jedes Jahr dabei hatte. Ich sperrte alles ab, sorgte dafür, dass alles weggesperrt war und dann gingen wir los. Wir gingen die Hauptstraße entlang zum Strand, bevor wir am Strand nach rechts bogen und den Weg entlangliefen. Ich wich all ihren Blicken aus und sah niemanden an. Je weiter wir liefen, desto weniger wurden die Menschen. Wir liefen an dem Schild vorbei, dass den FKK-Strand ankündigte und dann schien alles auf einmal zu passieren.
       Eine Gruppe von Jugendlichen lief an uns vorbei. Jünger als wir. Vielleicht 15 oder 14. Als sie mich sahen, nur in meinem Badeanzug gekleidet, mit einem Handtuch über der Schulter und der Strandmatte auf der anderen, lachten sie. Nicht, weil ich so viel Sachen dabei hatte, sondern wegen meiner Figur. Einer flüsterte: „Sie macht jedem Wal der Welt Konkurrenz. Sie könnte einen gestrandeten Wal spielen und keiner würde den Unterschied merken." Diese Worte versetzten mir einen Stich und ich hielt an. Mitten auf dem Weg. Razul, dessen Leine sich spannte, hielt an und sah zu mir. Silans Blick glitt zu mir. Wut glomm in seinen Augen. »Nehmt das sofort zurück«, zischte er wütend zu den Jugendlichen, die noch nicht weit weg waren. Einer von ihnen drehte sich um und grinste schief. »Warum sollten wir? Ist doch nur die Wahrheit.«
      Silan spannte sich an. Die Wut, die in seinen Augen loderte, hatte ich bei ihm noch nie gesehen. Er sah so aus als wollte er sie jeden Moment schlagen. Als wollte er sie jeden Moment erwürgen. »Wisst ihr eigentlich wie unfair und gemein das ist? Stellt euch vor ihr hättet etwas mehr auf den Rippen, dann würdet ihr das doch auch nicht hören wollen. Man behandelt seine Mitmenschen mit Respekt, egal welchen Körper sie haben, egal welche Hautfarbe, Sexualität, Religion oder andere Dinge. Wurde euch das nicht beigebracht oder wollt ihr einfach gerne kleine Arschlöcher sein, die mit diesem Verhalten in ihrem Leben nichts erreichen werden?« Die Jugendlichen stutzten.
      »Denn wisst ihr, vielleicht mögt ihr außen ganz passabel aussehen aber in eurem Inneren ist es dunkel und düster. Was im Leben wirklich zählt sind innere Werte. Ihr könnt in eurem Inneren weiterhin hässlich bleiben, aber sie ist wenigstens ein guter Mensch und darauf kommt es an. Nicht darauf wer die beste Figur hat oder wer die besten Maße hat. Im Leben geht es nicht darum. Jeder Körper ist verschieden. Das macht uns Menschen aus. Hauptsache man hat einen Körper, der funktioniert. Ist das nicht die Hauptsache? Das wir einen Körper haben, der Wunden von selbst heilt und noch auf natürliche Weise funktionier? Wenn ihr das verstanden habt wurde die Welt wieder ein bisschen besser.«

Adriatische Meeresbrise - Herzrasen in KroatienWo Geschichten leben. Entdecke jetzt