Die Besuche in der Karaokebar wurden nun zu unserem Ritual. Jeden Samstag holte mich Noe um acht ab und wir fuhrem zu dem Club. Ab dem vierten Mal begleiteten Sus und Terry uns und zu viert machte es noch mehr Spaß. Irgendwann musste ich nicht mal etwas trinken, um mich auf die Bühne zu stellen. Ich ging nach vorn und einige der älteren Gäste, die jede Woche kamen, jubelten mir zu. Manchmal sang ich im Duett mit Sus oder Terry und ein Mal sogar mit Noe. Wir sangen Final Masquerade von Linkin Park. Ich musste festellen, dass Noe ein ausgezeichneter Sänger war - was wohl an seinen spanischen Wurzeln lag -, wenn gleich auch nicht so ausgezeichnet wie Edward. Als mich dieser Gedanke erreichte, schob ich ihn so weit wie möglich von mir. Ich war immer noch nicht über ihn hinweg, auch wenn ich eine Menge Zeit mit Noe verbrachte.
Seit unsehe ersten Abend in der Karaokebar hatten wir uns nicht noch einmal geküsst und wir waren auch nicht offiziell zusammen, aber ich hatte zu Noe eine Bindung aufgebaut, die ich seit Langem zu niemanden mehr hatte.
Noe verstand mich, schätzte meine Nähe und war ein Engel mir gegenüber. Er bettete mich in Watte, auch wenn ich das nicht immer guthieß. Manchmal war er viel zu nett und ich fragte mich, ob er wirklich das Temperament eines echten Südstaatlers besaß.
Doch einmal wurde ich eines besseren belehrt. Nämlich als wir am dritten Abend in der Karaokebar saßen. Noe war gerade an der Bar um etwas zu trinken zu holen und ich saß an unserem gewohnten Tisch und lauschte zwei kleinen Mädchen - etwa 12 Jahre alt -, die Fly to your Heart von Selena Gomez sangen. Plötzlich pöbelte mich von der Seite jemand an. Ich drehte mich und 90 Grad, um nach den Unruhestifter zu sehen und mein Blick fiel auf einen Mann, Mitte 40, der mich mit seinen, von buschigen Brauen umringten, grauen Augen anglotzte. Und wirklich glotzte. An dem Tag hatte ich mir extra etwas leichteres angezogen, weil ich aus Erfahrung mittlerweile wusste, dass es in der Bar mit der Zeit unerträglich heiß wurde. Aber als ich da so saß, mit dem engen, weißen Top, bei dem der Ausschnitt etwas zu gut zu sehen war, kam ich mir schon etwas unbehaglich vor. Als der Mann, mir gegenüber, sich auch noch genüsslich über die Lippen leckte und mich von oben bis unten begutachete, wie ein Auto, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Schnell drehte ich mich in meine vorherige Position zurück und hoffte, den Mann somit abschütteln zu können.
Doch ich lag falsch. Kaum saß ich wieder gerade auf meinem Stuhl, stand er mir auch schon gegenüber und grabschte mit seinen fetten Händen nach mir. Ich wich mit aufgerissenen Augen zurück, wobei mein Stuhl umkippte und ich auf dem Boden landete. Dadurch wurden einige der Besucher auf mich aufmerksam. Aber noch bevor sich jemand von ihnen bewegen konnte, wurde ich an den Schultern nach oben gezogen und von einer schützenden Hand an einen warmen Körper gedrückt. Ich sah auf und beobachtet Noe's wutverzehrtes Gesicht. Kurz erwiderte er meinen Blick und seine Gesichtszüge wurden für einen Moment weich, bevor er mich hinter sich schob und auf den Typen stürzte.
Ich drehte mich um und kniff die Augen zusammen. Ich fühlte mich plötzlich unwohl. Dreckig und benutzt. Ein Schauer lief mir über den Rücken, bevor mich Noe von hinten in seine Arme zog.
»Shh«, machte er über meine Schulter hinweg und strich mir über die Haare. »Lass uns gehen.«
Er nahm meine Hand und zog mich nach draußen. Beim Vorbeigehen warf ich einen Blick auf den Haufen am Boden. Das Gesicht des Mannes war blutverklebt und er krümmte und zitterte vor Schmerz. Seit diesem Anblick hatte ich riesigen Respekt vor Noe.
An dem einen Abend, der 17 Karaokeabend, war alles irgendwie anders. Die Stimmung war betrügend. Noe lag mit Fieber im Bett, hatte mich aber los geschickt um etwas Spaß zu haben, also ging ich mit Sus und Terry allein. Natürlich liebte ich meine Schwester und meine beste Freundin, aber ihnen beim Flirten zuzusehen entsprach nicht gerade meiner Definition von »Spaß«. Aber mit zunehmender Zeit und einer zunehmenden Menge an Alkohol, wurde ich etwas lockerer und ließ mich von Terry auf die Bühne schicken.
»Ich weiß doch gar nicht, was ich singen soll!« Meine Stimme klang quängelnd und ich lallte ein wenig. Trotzdem schoben die Mädchen mich auf die Bühne und drückten mir ein Mikro in die Hand.
»Wir haben was für dich ausgesucht, keine Sorge«, sprach mir Sus aufmunternd zu. Sie gab den DJ ein Zeichen und er spielte das nächste Lied ab.
Ich hörte die ersten Klänge der Gitarre. Und stöhnte.
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Everything Has Changed || Ed Sheeran ✔️
Fanfiction»Ich hörte ihn. Ich hörte ihn jeden Tag. Ich schaltete das Radio ein und da war er. Ich schaltete den Fernseher ein und da war er. Ich konnte nicht einmal ins Ausland fahren, ohne ihn zu hören.« Wenn man abserviert wird will man sich eigentlich von...